vonImma Luise Harms 11.04.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

Mehr über diesen Blog

Neureetz besteht aus zwei Straßen, die T-förmig aufeinander stoßen: Königlich Reetz und Adlig Reetz; früher, das heißt zwischendurch, hießen sie August-Bebel-Straße und Ernst-Thälmann-Straße. Jetzt greift das Geschichtsbewusstsein weiter zurück und inthronisiert mit dem Alten-Fritz-Gedöns auch das ganze Siedler-Chi-chi, zum Beispiel die altdeutsche Sütterlin-Schrift auf den neu angebrachten Straßenschildern. Man muss aufpassen – auch ich muss aufpassen – dass man bei den neu eingeschlagenen Wegen der Lokalpolitik nicht in die darunter liegenden alten Gleise der deutschtümelnden, obrigkeitshörigen Bodenständigkeit gerät.

An der Ecke Adlig-/Königlich Reetz liegt das Bürgerhaus, ein realsozialistischer Zweckbau. Die Straße ist bis zur Kreuzung zugeparkt. Im Versammlungssaal des Bürgerhauses ist es voll. Es gibt keine Fischgrät-Tischeordnung sondern vielfältig ineinander geschobene Stuhlkreise mit einer leeren Mitte. Diese muss ich jetzt durchqueren, um zu den an die Wand geschobenen Tischen zu gelangen. Nur dort gibt es noch Platz zum Sitzen.

Die Vorstellungsrunde hat schon begonnen. Udo Sch., ein nach Altwustrow zugezogener pensionierter Arzt, hat die Moderation übernommen. Der über alle Maßen engagierte K. hat sich geschickt eingereiht und ist hier nur einer von zehn. Sein Blick liegt aufmerksam auf den jeweils redenden Kadidaten, erwartungsvoll und ein bisschen besorgt, ob die Inszenierung auch gelingt. Sie gelingt unbedingt. Es sind noch andere Prominente vertreten, so der Theatermacher T. vom Theater am Rand, M., der Betreiber des Ziegenhofs, der 2013 zum Bürger des Jahres gewählt worden war und jetzt auch als Bürgermeister für die Gemeinde Oderaue kandidiert. Außerdem sind alle möglichen Berufsstände und alle möglichen Dörfer aus der Gemeinde vertreten. Das vorgestellteProgramm bewegt sich im moderaten Bürgerbewegungs-Mittelfeld, ohne dabei konturlos zu sein. Aber auch hier wird davon ausgegangen, dass der viel zitierte demografische Wandel Rationalisierungsmaßnahmen auf Gemeinde- und Ämterebene unausweichlich macht. Es wird auch von der parallel im Amt statt findenden Gemeinderatsversammlung gesprochen, wo über diese Fragen verhandelt wird.

Jetzt melde ich mich auch hier zu Wort. K. hatte vorher angefragt, ob ich mich als Kreistagskandidatin auf dieser Veranstaltung vorstellen dürfte. Das hatten die anderen Listenmitglieder nicht so gut gefunden, lieber erstmal das eigene Milieu aufbauen. Deshalb rede ich nicht von meiner Kandidatur, sondern erzähle nur, dass ich eben von der Wriezener Veranstaltung komme und dass dort – für mich unverständlich – im vorauseilenden Gehorsam über die Selbstabschaffung des Amtes debattiert wird. Das wird nicht weiter aufgegriffen, nur Frau V. vom regionalen Zeitungsmonopol macht sich Notizen.

K. spielt mir noch einmal einen Ball zu. Er erzählt, dass die Wählergemeinschaft plant, eine Dorf- Zeitung nach dem Vorbild unseres “Kleinen Zeigers” herauszugeben, zunächst für den Wahlkampf, dann aber auch gerne weiter, wenn es möglich ist. Ein älterer Herr, der mir bekannt vorkommt, begrüßt das euphorisch und stellt Gelder für die Unterstützung dieses Projektes in Aussicht. Die Frau, die neben mir auf dem Tisch an der Wand sitzt, zischelt mir zu: “Das ist der Zoodirektor aus Altreetz. Der soll bloß ruhig sein! So ein Unsinn, die haben doch selber kein Geld, hängen total am Tropf vom Landkreis.” Stimmt, der Zoo aus Altreetz ist einer der großen Posten im Kreishaushalt, das ist mir auch aufgefallen. Und jetzt weiß ich auch wieder, woher ich den Herrn kenne. Er war 2008 einer von den entschiedenen Gegnern der Oderbruchszenarien, die auch auf K. zurückgehen, und hatte sich bei einer Veranstaltung im Schloss Altranft mächtig aufgeregt. Damals trug er eine rosa getönte Brille und fand es einen Skandal, dass das Szenario auch noch mit öffentlichen Geldern unterstützt wird.  Jetzt will er also K.’s neues Projekt sogar sponsern, und zwar mit Geldern, die ihm aus der Kreiskasse zugeschoben werden, die wiederum durch die Kreisumlagen aus den Gemeinden abgezogen werden. Auf dem Umweg über des Zoodirektors gute Beziehungen zur Kreisverwaltung würde dann also die Gemeinde selbst die zu gründende Zeitung unterstützen. Interessant. Und eigentlich auch ganz richtig so.

Die Teilnahme an der Diskussion ist rege. Auch der bisherige Gemeinderat ist erschienen und hält wenig konfrontative Redebeiträge. Alle sind vorsichtigm, weil niemand weiß, mit wem er und sie sich nach dem 25. Mai dann vertragen muss. Ein alter Mann ergreift aus den hinteren Reihen mehrmals das Wort, um die Schrecken der Oderbruch-Überschwemmung aus dem Jahr 1947 zu beschwören, um wieder einmal gegen den Hauptfeind, den Biber, zu polemisieren, und gegen seine Helfershelfer in den Naturschutzbehörden. Da hat er den meisten etwas voraus, sie können nur auf die Schrecken des Jahres 1997 verweisen, wo es fast zum Deichbruch gekommen wäre. Ja, der Biber eint die Menschen im Oderbruch. Bei den Wahlen wird er keine Lobby haben, auch die Wählergruppe “Weitblick Oderaue” erteilt ihm eine Absage. Ich muss mir das merken, kluge Formulierungen sind gefragt. Ebenso moderat ist die Haltung zur Windenergie. Hier wird die Position vertreten, die Energieproduktion  muss den Gemeinden, in denen sie betrieben wird, mehr nützen. Das finde ich auch, hätte ich auch so gesagt. Überhaupt ist das hier ganz klar meine Basis; sie weiß es bloß noch nicht. (wird ortgesetzt)

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/04/11/mein-letztes-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-8/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert