vonImma Luise Harms 05.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Auf dem Skulpturenworkshop schnitzen Männer und eine Frau aus Baumstämmen hübsche und sinnreiche Figuren – eine Froschdame, überlebensgroße Biber und das MöHRe-Symbol, der dicke Vogel auf der Möhre. Der Hauptakt ist aber der Kinderworkshop; sie basteln unter Anleitung alle möglichen Sachen aus Holz, Stoff und Farbe. Die MöHRe-Vereinsmitglieder versorgen Kinder und Erwachsene mit belegten Brötchen, Kuchen und Getränken.

Da geh ich nicht mit dem Bauchladen durch. Das finden die quadratkomisch, schon Wahlen und Wahlkampf ist ihnen eine fremde Welt, erst recht diese Bauchladenidee. Der wird also auf einem mitgebrachten Projektionstisch aufgebockt und in eine Ecke gestellt. Er fällt kaum auf, kommt mir jedenfalls so vor. Die MöHRe-Frauen machen witzige Bemerkungen; die Kinder nehmen die Buttons widerstrebend. Die Inhalte sind noch nicht da. Die müssen noch diskutiert und dann gedruckt werden. Nur die Überschriften hab ich auf Zettelchen extra ausgedruckt. Aber für die Inhalte interessiert sich hier sowieso niemand.

Am Abend wird die Wurst gegrillt. Ich platziere den aufgebockten Bauchladen neu. Ich müsste vielleicht was sagen. Aber das kommt mir so alien-mäßig vor, dass ich das lasse, mich stattdessen verlegen an den Tischen rumdrücke und froh jedes unverbindliche Gespräch annehme. Hier scheidet sich das Professionelle vom Amateurhaften im politische Auftritt. Notwendig wäre eine gewisse Ledrigkeit gegenüber der Gestimmtheit in einer Menschenansammlung. Hier kann nur punkten, wer in der Lage ist, Wählerstimmen statt Mitmenschen wahrzunehmen. Gut, dass Thomas dabei ist.

Thomas kriegt manchmal so einen Rappel und macht einen unvermittelten Ausfallschritt. Jetzt stülpt er sich plötzlich den Trageriemen über und geht mit dem Bauchladen herum, Buttons verkaufen. Aber es gibt starke Konkurrenz. R. hat hübsche dunkelrote Schirmmützen eingekauft und daran einen hübschen kleinen Button mit MöHRe-Logo befestigt. Die gibt es umsonst. Die MöHRe-Mitglieder müssen gewonnen werden, das ist mal klar, und die Leute aus dem Gemeinderat auch, aber nicht hier und nicht jetzt.

In Neulietzegöricke beim “Feuchten Willi” ist ein Konzert der Oderbruch-Kultband “Livingroom”. Neulietzegöricke ist mein Wahlkreis und die Fans dieser Band aus 10 Menschen, von denen ich die Hälfte persönlich kenne, sind meine Wähler, meine potentiellen Wähler. Ich müsste ihnen sagen, dass sie mich wählen können. In der Aufschwung- und Mutphase meiner Motivationskurve hab ich mit Band-Mitgliedern abgesprochen, dass ich vor ihrem Konzert auf die Bühne und was sagen darf.

Thomas kommt mit. Wir haben den Bauchladen dabei, der jetzt noch viel peinlicher ist. Vor dem Eingang treffen wir A., eine der wetter-gegerbten Künstlerinnen aus dem Oderbruch. Als ich ihr erkläre, warum ich hier bin, guckt sie mich entgeistert an. Politik? Die versucht man zu umgehen wie einen Hundescheißhaufen! Ich hätte genauso gut sagen können, dass ich hier für die Heilsarmee sammle. Ok, da muss ich durch. Darum will ich ja auf die Bühne. Das werde ich schon erklären können, warum die mich in den Kreistag reinwählen sollen, warum ich ihre Kandidatin bin.

Der Saal füllt sich langsam, viele bekannte Gesichter, denen ich zaghaft und zerstreut zulächele. Absprache mit dem Bandleader und der Sängerin. Die hatte ich ein paar Tage vorher in meiner euphorischen Phase für mich und mein Vorhaben eingenommen, sodass sie zu der Überzeugung gekommen sind, dass ich “eine von ihnen” bin, wie sie meinten, und dass sie mir dann auch helfen sollten. Und ich habe ihnen dafür einen witzigen, professionellen Auftritt versprochen. Es waren aber nicht alle von der Band dabei. Jetzt sperrt sich einer und sagt, er findet das Scheiße, dass da vor dem Konzert ein politischer Auftritt sein soll. “Das geht schon in Ordnung, das haben wir geklärt”, sagt dér Bandleader. “Jetzt kannst du das machen”, sagt er mir. Wie? Jetzt, wo alle Gäste noch rumflanieren, sich ihr Bierchen holen, sich die Cliquen finden? In dieses Pausengewusel rein reden? Ich kriege Schweißausbrüche. Ich sage, “wir hatten doch verabredet, dass ihr schon auf der Bühne seid?” Das will der, der sowieso dagegen ist, aber auf keinen Fall. H., die Sängerin, ist bereit, mich anzumoderieren. Wir steigen zusammen auf die Bühne. Was ich vergessen habe, ist, dass man da oben nichts sieht, dass man im Scheinwerferlicht geblendet ist. Das gleißende Licht im Gesicht wirft einen ganz auf sich selbst zurück. Man kann nicht mit dem Gegenüber kommunizieren, in sein erwartungsvolles, widerstrebendes oder bestätigendes Gesicht seine Sätze hineinformulieren. Man muss sich an das imaginierte Publikum, an das Dunkel des eigenen Körperinneren wenden und man darf dabei trotzdem nicht das Echo aus dem Saal überhören.

Ich stelle mich vor, rede vom Oderbruch und von der Höhe, von den Verbindungen, die ich zum Oderbruch habe. Wie durch Nebelfetzen sehe ich das angespannt lächelnde, erwartungsvolle Gesicht von C. Geht sie mit oder schämt sie fremd? Ich rede von dem Problem mit den Parteien, die ja doch immer nur das eine wollen. Von den politischen Mächten, die uns entmündigen. Ich werde immer populistischer. So ein Scheiß! So eine Betroffenenkacke, und noch dazu ohne wirklichen Punkt! Thomas macht mir aus dem Hintergrund ein “T”-Zeichen. Timeout. Ich kriege die Kurve, indem ich nochmal betone, dass unsere Wahlinitiative ohne ihre Unterstützung zum Scheitern verurteilt ist, weise auf Email-Liste und Buttons hin, die im Schankraum bereit stehen, und dass ich da ansprechbar bin. Dann verlasse ich die Bühne unter heftigem Applaus. Ich bin nicht sicher, ob er Beifall für meine Initiative, Ermutigung für die crazy Idee, Erleichterung über meinen Abgang oder einfach freudige Begrüßung der hinter mir aufziehenden Kultband ist. Thomas sagt, “war doch gut”. Find ich nicht, ich fühl mich nicht so. “Doch”, sagt er , “wirklich. Vielleicht ein bisschen lang. Sonst gut. Kannst mir glauben.”

Im vorderen Schankraum treffe ich auf K., den umtriebigen Landschaftskommunikator und Lokalpolitiker aus Oderaue. Er erzählt mir von den schrecklichen Mühen mit seiner Wählerinitiative für die Gemeinderatswahl. Wie ängstlich, wie politikverdrossen alle sind. Wie schwer es ist, den neuen Schwung für eine andere Politik in den Gemeinden auch durchzuhalten, gegen alle Zögerlichkeiten. Das zu hören tröstet mich ein bisschen. Ich verweile noch ein Stündchen, eingekeilt und geschützt durch eine Handvoll FreundInnen und Bekannten, die mir das Gefühl eines Heimspiels geben, die sich gerne, aber sinnlos in meine Email-Liste eintragen, weil deren Emails habe ich schon. (wird fortgesetzt)

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