vonImma Luise Harms 09.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Altranft, das sollte man wissen, ist ein Museumsdorf, mit alter liebevoll erhaltener Bausubstanz, mit einigen alten Gewerken wie Schmiede, Korbflechterei, Holzschuhmacherei, die an Heimattagen in Betrieb gesetzt werden. Mit einem Schloss, das ein Heimatmuseum behaust. Mit einer Kirche, in der die Kanzel nach Oderbruchart über dem Altar aus der Wand wächst, von wo der Gemeinde an Sonntagen Standpauken statt Predigten gehalten werden. Ein Musterdorf also, wahrscheinlich gibt es auch irgendwo ein Storchennest.

Die Stephanus-Werkstatt ist nicht im Dorf sondern in einem etwas versteckt angelegten Industriegebiet, und zwar an der Regenbogenallee, die früher Lindenstraße hieß. Das ist eine ehemalige, jetzt mit rechtwinkligen Straßen erschlossene Brache zwischen den Feldern, einige hundert Meter vom Dorf entfernt. Warum wurde die Straße umbenannt? Weil Altranft kommunalpolitisch nicht mehr existiert. Das Dorf wurde 1993 in Bad Freienwalde eingemeindet. Und Bad Freienwalde hatte schon eine Lindenstraße. Klar, dass die Stadt ihre Straße nicht umbenennt. Altranft hat nichts mehr zu sagen; es ist also auch in dieser Hinsicht ein Museumsdorf.

Bad Freienwalde hat einiges an ehemaligen Dorfgemeinden geschluckt, mit ihnen auch deren Gemeindesäckel. Ist ja klar, mit dem gemeinsamen Topf kann man ja viel mehr ausrichten! Wie das dann aussieht, beschreibt ein gut informierter Bekannter: Der Bürgermeister von Bad Freienwalde weiß bei einer so unübersichtlichen Großgemeinde natürlich kaum noch, welche Kräfte wo am Werk sind, was sich politisch durchsetzen und juristisch aufrecht erhalten lässt. Deshalb benutzt er den Gemeindehaushalt gerne dazu, sich Expertisen anfertigen zu lassen, zum Beispiel in der Frage, ob eine umstrittene Straßenüberführung abgerissen werden sollte oder wo das für einen Kurort obligatorische Kurhotel hingebaut werden könnte. Diese Expertisen werden, wie das Wort schon sagt, von Experten angefertigt. Die Experten sitzen in Berlin. Oder in Potsdam, ganz nahe bei der Landesregierung. In einem Fall hat das Land seinen Finanzbeitrag für ein Gutachten, das 50.000 Euro kosten sollte, gleich mit dem Hinweis verbunden, welches Potsdamer Büro damit beauftragt werden soll.

So sieht das dann aus, wenn der politische Konzentrationsprozess nicht aufgehalten wird. Wir vom Land sind doch nicht blöd und betreiben diese Eingemeindungspolitik, die mit der geplanten Ämterzusammenlegung wieder auf uns zurollt, auch noch mit! Die Dorfgemeinden müssen selbstständig bleiben, sie müssen ihre Finanzhoheit behalten! Ich bin von meinem eigenen Wahlprogramm ergriffen und formuliere markige Reden, während ich auf dem Roller durch die gelben Rapsfelder kurve, in der Tasche der stick mit den Wahlaussagen, wo das alles dargelegt wird.

Der Gewerbehof ist ein eingeschossiger Neubau, heiter über das eingezäunte Gelände gestreut, mit einem Vorgarten voller nett bepflanzter Rabatten und einem teils überdachten Innenhof, in dem man zum Beispiel gut rauchen oder frühstücken kann. Ich habe Skrupel, den gepflegten Ort mit meinem ungewaschenen Roller vollzuparken. Aber ich habe es eilig.

Herr H. ist ein junger Mann mit weichen Gesichtszügen und leiser Stimme, aber so blitzschnell in seiner Auffassungsgabe, so exakt in seinen Aktionen, dass ich ihm sofort alles zutraue. Klar, er ist hier die Fachkraft, kein Betreuter. Die sind schon nach Hause gegangen. Herr H. checkt meine Daten, sieht sofort, dass die Rückseite des Druckbogens leider seitenverkehrt angelegt ist, rückt das mit seinen Layout-Programmen zurecht, schickt den Ausdruck auf die Maschine, zerlegt die Bögen an der Schneidemaschine und kassiert einen wirklich maßvollen Preis dafür. Er macht mir noch zusätzlich einen Ausdruck auf einer selbstklebenden Folie, kostenlos. Das können sie nämlich auch. Nur damit ich das weiß. Und dann bin ich schon wieder draußen.

Die Runde der Wählergruppe am Abend hat keine Einwände gegen meine Texte. Gar nicht. Eher im Gegenteil. Gut, dass das mal so deutlich gesagt wird! Ich erkenne meinen phlegmatischen Gemeinderat gar nicht wieder! Liegt es an den beiden neuen KandidatInnen, liegt es daran, dass Bürgermeister H. seine 18-jährige, politisch interessierte Tochter mitgebracht hat? Selbst D., Gemeinderatsmitglied aus Möglin, dessen politische Renitenz ich nie so richtig einordnen kann, den ich auch schon mal mit ganz anderen politischen Strömungen in Verbindung gebracht habe, ist voller Zustimmung. Die einerseits gefürchtete, andererseits erhoffte Grundsatzdebatte fällt aus. Na dann! Dann können wir ja Wahlkampf machen! (wird fortgesetzt)

 

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