vonImma Luise Harms 12.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Wahlkampf – aber wie? Der ursprüngliche Plan, an bestimmten Orten – Geschäften oder anderen Entnahmestellen – jede Woche einen neuen Themenzettel zu platzieren, scheitert schon an der Zeit – es sind nur noch fünf Wochen bis zur Wahl. Außerdem, so scheel, wie die Leute auf meine Ansprache reagieren, wie würden die Geschäftsinhaber erst auf meine Zettelbox scheelen und sie dann irgendwo hinter dem Würstchenspender verstecken? Und ich kann ja nicht über jedem Kioskbesitzer ein Überzeugungsfeuerwerk niederregnen lassen. Das muss anders gehen. Irgendwie muss ein Multiplikatoreneffekt in Gang gesetzt werden. Ich spekuliere auf den Kleinen Zeiger. Wofür habe ich den, frage ich mich Berlusconi-mäßig.

“An die Gemeindebretter müssen wir natürlich was hängen”, sagt A. aus der Wählergruppe. “Ja, und da muss draufstehen, dass die Leute dir ihre drei Stimmen geben sollen”, erinnert K., “dann ist das schon bei uns in der Gemeinde die halbe Miete.” “Und ein bisschen größer wäre auch ganz gut.” “Und nicht so viel Text. Das lesen die nicht.” “Eigentlich brauchen wir doch ein Plakat.” Stimmt, ein Plakat wäre gut. Ich hatte dran gedacht, das aber gleich wieder fallen lassen, weil wir nicht solche Pappen haben, und hunderte oder gar tausende von Laternenmastpappen aufzuhängen, das ist illusorisch. Wer soll das denn machen? Mein Wahlkampfteam? Und aus welcher Kasse bezahlen? Die Gemeinsame-Ökonomie-Gruppe wurde schon etwas schmallippig, als ich angekündigt habe, dass das Kandidatur-Abenteuer sicher was kosten wird. Immerhin gibt es schon zwei Sponsoren. Thomas hat guten Grund, die Kreistagskandidatur aus seinem MObiL-Topf zu unterstützen. Schließlich gibt es beim Kreis einen Verkehrsausschuss. Bürgermeister H. hat noch Holzgeld, ein kleines Sonderportemonnaievom Verkauf der gefällten Gemeindebäume, aus dem jetzt auch ein Zuschuss kommt. Wenigstens zehn Plakate könnte ich doch in der Stephanus-Druckerei bei dem Herrn H. ausdrucken lassen. Solche, die man aufkleben kann; er hatte mir ja den Probedruck gemacht. H. hat mir auch versprochen, den dicken Packen Papier von Flyeralarm mit den tausenden von Flyern auseinander zu schneiden. Ich hatte am Telefon ein bisschen gedruckst – 12000 Flyer auseinanderschneiden! “Das sind aber ziemlich viele.” “Das kriegen wir schon.” “Vielleicht müssten Sie mir dafür ein bisschen was berechnen.” “Das lassen Sie mal meine Sorgen sein”, sagt der weichgesichtige Drucker, der weiß, was er will.

Drei Tage später kommt ein 25 kg schweres Paket mit UPS. 1000 A3-Bögen mit jeweils 12 Flyern. Ich wuchte mir den Packen ins Auto und fahre nochmal nach Altranft.

Diesmal sind die Betreuten noch da. Männer und Frauen in unterschiedlichem Alter sitzen im überdachten Innenhof und warten auf ihren Abtransport. In der Druckerei sind auch noch ein paar Leute. Ein älterer Mann und eine jüngere Frau sitzen sich an zwei leeren Schreibtischen gegenüber. Ihre Hände liegen auf den abgeräumten Schreibflächen in einem unbestimmten Wartezustand. Herr H. sitzt an einem anderen Platz und schaut mir über seinen Bildschirm hinweg entgegen. Ein anderer Mitarbeiter in blauer Latzhose kommt  in der Erwartung auf mich zu, dass ich ihm mein Anliegen vortrage. Kein Betreuter, sagt er mir habituell. “Ich wollte zu Herrn H.” “Bin gleich da”, sagt der von seinem Schreibtisch aus, “die Bögen sind schon ausgedruckt, die Folien kommen gleich.” Ich hatte die Druckdaten schon per Email voraus geschickt. “Dreissigmal auf festem Papier, zwanzig auf Klebefolie, nicht?” Genau.

Ich wollte ja erst zehn machen. Aber M., einer der wenigen aktiven Unterstützer in Reichenow, hatte sich meinen Entwurf angeguckt und gemeint, so ein Plakat könnte man doch auch noch woanders hinhängen. Ich hatte mit dem Plakattext die Bürger von Reichenow-Möglin direkt angesprochen, und zwar so: “Die Wählergruppe Reichenow-Möglin empfiehlt – drei Kreuze für unsere Kandidatin” Und dann das Bild und die Themen, alles schön übersichtlich, mit wenig Text. “Ganz schön balkig!” sagt der Hoflayouter O. später. Aber er war leider nicht da, als das Plakat gemacht werden musste. “Und wenn das ein bisschen mehr kostet, dann kriegen wir die 50 Euro oder was auch noch zusammen”, meinte M. Es darf also ein bisschen mehr sein.

Während der Digitaldrucker im Hintergrund des Raumes die Plakatfolien sanft und leise eine nach der anderen aus sich herausschiebt, gehe ich mit Herrn H. zum Auto, um das schwere Paket mit dem Massendruck der Flyer zu holen, das er mir auseinanderschneiden wollte. Ich springe um ihm rum, will irgendwie helfen. “Das ist aber sehr schwer”, sage ich. “Geht schon.” Er hievt die 25 Kilo Wahlargumente auf den Tisch neben der Schneidemaschine. Der mit der Latzhose bleibt ihm auf den Fersen, will auch helfen. Herr H. versucht, an ihm vorbei zu arbeiten. “Lass mal, ich mach das schon.” Aber die Latzhose ist einen Kopf größer und kann über Herrn H. hinweg sehen, dass da ein fremder Druckauftrag ausgepackt und an der betriebseigenen Schneidemaschine zerteilt wird. “Offset-Druck, nich?” bemerkt er. Herrn H.’s Bewegungen bleiben flüssig. “Machen wir ja nicht. Wir haben die Plakate und die kleinere Auflage gedruckt. Das hier schneid ich nur auseinander. Geht ja schnell”, sagt er zur Schneidemaschine, während deren schimmernde Schneide mit diesem typischen satten “füüüitt” den ersten Packen Druckerzeugnisse zerteilt, als wärs Weichkäse.

Ich habe sechs Klappkisten mitgebracht, die ich an dem dritten leeren Schreibtisch neben den beiden untätigen Mitarbeitern aufbaue, um die auseinander geschnittenen Wahlbausteine gleich richtig einzuordnen. Die junge Frau wendet mir ihr regloses Gesicht zu, ihr müder Blick bleibt auf den Kisten hängen; sie registriert, was ich da mache, und registriert auch, dass es nichts mit ihr zu tun hat. Aber der Latzhosen-Kollege ist dafür umso mehr interessiert. Er nimmt einen Flyer in die Hand, prüft den Druck. Ich sage, “Flyeralarm. Ich hätts ja lieber in der Region drucken lassen. Aber ne Offsetdruckerei gibt es ja hier nicht.” Wieder muss ich mir einen Vortrag anhören, dass Flyeralarm nur deswegen so billig ist, weil da nur Maschinen am Werk sind, keinerlei Druckbetreuung, und wenn mal was schief geht, usw. Herr H. reicht mir die Flyer bündelweise rüber, ich ordne sie in die Kästen, der Latzhosen-Kollege sucht das Gespräch. “Ach Kreistagswahl. Bei uns in der Märkischen Schweiz gibt es ja jetzt auch eine unabhängige Wählerliste. Aber nur für den Gemeinderat.” Märkische Schweiz? nicht mein Wahlkreis! Ich leiste trotzdem meinen Gesprächsbeitrag. “Sie machen ja auch den Druck und das Binden vom Auflandverlag. Da haben Sie dann auch mein Buch gemacht, nicht?” “Welches war das denn?” “Dünne Haut und dickes Fell”, sage ich. Herr H. dreht den Kopf, “deswegen kam mir der Name so bekannt vor.” Ich lobe, wie das Buch gebunden ist, es fällt so schön auf, schön flexibel die Bindung. “Das hat geht ja runter wie Öl”, sagt Herr H., “das ist den geschickten Händen dieses Herrn zu verdanken”, ergänzt er und deutet auf den älteren Mitarbeiter am anderen Schreibtisch. Der schaut kurz auf; ich kann nicht erkennen, ob er sich mit dem Lob gemeint fühlt. Dann sinken seine Augen wieder auf seine geschickten Hände, die reglos da liegen, abgelegt bis auf weitere Ansagen.

Die Latzhose plaudert. Herr H. schneidet. Ich packe ein. Nachdem alles so freundlich und zugewandt abläuft, fühle ich mich ermutigt, mal nachzufragen, ob sie bei sich im Büro oder im Aufenthaltsraum auch Flyer auslegen wollen. Die Betreuten sind schließlich auch Wähler, denke ich mal. Auf jeden Fall die Betreuer und Büromitarbeiter. Nein, das geht nicht. Da müssten sie erst um Erlaubnis fragen. Und parteilich dürfen sie auch nicht sein, sie sind ja ne gemeinnützige Einrichtung. Nee, leider.

Na, hab ich mir fast gedacht. Wohin bloß mit dem ganzen Zeug? Wahrscheinlich wollen alle unparteiisch sein und kein Wahl-Material um sich rum liegen haben. Ich trage schwer an den 12000 Flyern, die ich jetzt kistenweise ins Auto verlade. Dabei zumindest hilft mir der Kollege mit der Latzhose gern. (wird fortgesetzt)

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