vonImma Luise Harms 22.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Bevor die Suche nach verladefähigen Klapprädern zu einem Ergebnis führt, machen wir schon mal Neutrebbin. Das ist ein typisches Oderbruch-Siedlungsdorf, das sich an zwei, drei gepflasterten Straßen beidseitig entlang streckt.

Von seinem planerischen und baulichen Auftitt her ist Neutrebbin eine Stadt, eine Kleinststadt, könnte man sagen. Es gibt einen Kreisverkehr am Ortseingang, eine Straße, die zum Bahnhof der Oderbruchlinie führt, ein, zwei kleine Geschäfte und Dienstleister-Büros und einen mittelkleinen Supermarkt in der Hauptstraße. Dann einen Platz mit Denkmal, vom Alten Fritz natürlich, einer Eisdiele und einer etwas zurück gesetzten Kirche, außerdem einen kleinen Stadtpark mit Spielgeräten und Parkbänken. Irgendwo ist auch eine Oberschule, die natürlich von Schließung bedroht ist. Da bin ich mit meinem Wahlprogramm also richtig.

Am östlichen Stadtrand liegt das Gewerbegebiet, bestehend aus einer Entenmastanlage der Firma Erlenhof, deren umzäuntes Firmengelände die eine der parallel verlaufenden innerörtlichen Straßenzüge einfach abschnürt, so dass wir nach Beschickung der Briefkästen an der einen Straße nicht, wie geplant, weiter verteilend in der anderen zurückgehen können, sondern zuerst zum Platz zurück marschieren müssen.

Die alten Fachwerk-Fassaden der eingeschossigen Bauten sind längst hinter Dämmschutzmatten und einer Schicht Putz oder Klinker verschwunden. Die Häuser sind durch die blickdichten Hofeinfahrten aus altem Holz oder neuer Metallwand miteinander verbunden. An den Hofeinfahrten hängen die Briefkästen, links für das linke Haus, rechts für das rechte Haus. Beim Zeitung-Einholen könnten sich die Bewohner Guten Morgen sagen. Aber vielleicht schleichen sie sich auch möglichst ungesehen zum Kasten, um nicht angesprochen zu werden. Dann werden sie also auch nicht, den Zettel mit der aufmüpfigen Überschrift “Opposition im Kreistag – aber imma!” in der Hand, zum Nachbarn sagen: “Wasn dette?” Und der auch: “Hab i oh jekriejt. Meener is jelb”. “Zwee vaschiedene Themn?” Dann tritt der eine Nachbar an den anderen heran. Sie vergleichen die Überschriften. Auf dem einen steht “Für kleinteilige Regionalwirtschaft” und dahinter noch ein Zettel “Für ein Leben mit der Natur”.  Bei dem anderen “Gegen Entmündingungspolitik” und der zweite Zettel “Für zivilgesellschaftliches Engagement”. Sie rätseln, warum der eine diese Themen, der andere die anderen zugeordnet gekriegt hat. Sie lesen, dass die restlichen Wahlbausteine im Internet zu finden sind. Der linke Nachbar: “Internet habick nich”. Der rechte: “Icke aba. Komm ma rüber. Ick hab ooch schon Kaffe fertich.”

Aber so wird es wohl nicht sein. Die zusammen getackerte Zettelsendung schiebt sich in das noch nicht aus dem Kasten geholte Anzeigenblatt und wird mit diesem unbeachtet weg geworfen. Wer weiß. Vielleicht auch nicht. So kann man da nicht rangehen. Klapp, macht die Briefkastenklappe. Und weiter.

Die Rollläden vor den Fenstern sind geschlossen. Die Straßen liegen leer in der Dämmerung. Der getrimmte Rasen in den Straßengräben zwischen Gehweg und Straßenpflaster erinnert an ausrasierte Achselhöhlen. An den Laternenpfählen hängt Wahlwerbung für die NPD, die hier niemand herunter geholt hat. Über die Straße hinweg sich zurufend zu unterhalten, wäre zwar möglich, wirkt hier aber unpassend; man spürt die Störung, die Anwohner empfinden würden, am eigenen Körper und schleicht sich weiter. Man fühlt sich als Fremdkörper und will die Tour hinter sich bringen.

Bei den freistehenden Häusern am Ende der Straße sind die Kästen manchmal schwer zu finden. Irgendwo unterm Fliederbusch oder etwas zurückliegend am Carport. Ich geh dann einfach weiter, Thomas achtet darauf, keinen Kasten auszulassen. Keine Stimme wird verschenkt. (wird fortgesetzt)

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/05/22/mein-letztes-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-18/

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