vonImma Luise Harms 30.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Auf dem Gutshof haben sich zwei Klappräder finden lassen. Thomas hat sie ein bisschen geschraubt und bepumpt und ins Auto verladen. Wir fahren nach Bliesdorf. Wir fahren mit den Wolken. Sie tragen den Regen in dicken dunklen Schläuchen hinter uns her. Ich habe eine Regenjacke und eine Regenhose angezogen, von mir aus kann der Regen kommen.

Wir stellen das Auto am Ortsschild ab und besteigen die Klappräder. Thomas fährt rechts, ich links. Auf meiner Seite kommen zuerst die 4-WEs. Überall in den Dörfern stehen sie am Ortsrand, Kästen aus vier Wohneinheiten, manchmal auch acht, mit den genormten 3-Zimmer-Wohnungen für die genormten Familien nach sozialistischem Plan. Der sozialistischen Staat war ein Versorgungsstaat. Na, immerhin hat er versorgt. Auch die Autos, wenns denn welche gab. Hinter den Wohnblocks, dort wo früher Ställe für Schweine oder Gartenschuppen waren, sind die Garagentrakte, dazwischen ein bisschen Rasen mit kollektiven Wäscheleinen. Gepflasterte Wege, die zu den Hauseingängen führen. Klingel und Briefkästen sind neben der Haustür. Klapp, klapp, klapp – da geht was weg an Zetteln.

Rund um die Häuser findet man, außer vielleicht mal einem Kinderfahrrad, keine Zeichen von Aneignung des äußeren Raums, keine Buddelkiste, keinen Grillplatz, nicht mal eine Bank oder so etwas. Ob die HaGeBa, die Wohnungsgesellschaft, die in den Dörfern die kommunalen Wohnungen verwaltet, sowas untersagt? Oder ob die Menschen, die hier leben, ihre Gleichgültigkeit gegenüber ihren Lebensumständen behalten haben, auch 25 Jahre nach der Wende keinen Versuch machen, sich außerhalb ihrer Wohnungstür einzurichten? Ich suche unter den Wahlbaustein-Zetteln den mit der Überschrift “Für zivilgesellschaftliches Engagement” heraus, in dem Eigeninitiative und Selbstorganisation herauf beschworen und zu fördern versprochen werden.

Die ersten Tropfen fallen. Als ich hinter dem letzten Wohnblock auf die Straße zurück komme, ist Thomas nicht mehr zu sehen. Sein Rad lehnt am Auto; er hat sich, den Regenguss erwartend, ins Wageninnere zurück gezogen. Ich vertraue auf mein Regenzeug und radele weiter zum nächsten Grundstück. Die Tropfen fallen schwer und werden dichter. Ich habe keine Tasche für meine Flyer. Den aufgehefteten Papierstreifen mit der Aufschrift “Lassen Sie die Stimme im Dorf” haben wir auf unserem Tintenstrahldrucker ausgedruckt. Die Schrift fängt an zu bluten. Die Flyer müssen ins Trockene.

Wir sitzen im Auto nebeneinander, dampfend vor Feuchtigkeit, und schauen die Straße entlang, auf der das Wasser aufprallt und zerspringt. Über uns schiebt sich die dunkle Wolkenlandschaft langsam weiter nach Osten. Das kann nicht lange dauern. Die dichten Regenfäden färben sich von bleigrau zu silberhell. Hinter uns scheint wieder die Sonne. Sie macht den Platzregen zu einer Theaterinszenierung, die sich langsam hinter die Dorfkulisse zurückzieht. “Da müsste doch jetzt eigentlich ein Regenbogen kommen”, sagen wir uns. Und während wir es uns sagen, sehen wir schon den zarten Rosa-Schimmer, sehen, wie er sich auffächert in gelb und lila, blau und grün, wie er sich rundet, sich wie ein breit lächelnder Mund über Bliesdorf spannt, vom Sportplatz bis zu den alten Tabak-Trockenschuppen, über dem Bliesdorf, das wir wenig kennen, das uns eigentlich auch ziemlich egal ist. Wir sind auf der Durchreise und hinterlassen Wahlwerbung. Sollen sie mich wählen, wenn sie wollen. Oder sonst sollen sie es bleiben lassen. Der Regen hat aufgehört, wir besteigen die Räder und fahren die nasse Straße entlang.

Bliesdorf hat mal einen Preis für besondere Dorfschönheit bekommen. Dorfanger, Kirche, Kneipe, Bushaltestelle, Kriegerdenkmal. Viel Fachwerk, Vorgärten, in denen sich der erblühte Rhododendron feucht und vornehm breit macht. Thomas klappert sich nach rechts in die Seitenwege rein, ich nach links.

Es tun sich Nebenstraßen mit kleinen Villen auf. Häuser wie aus dem Manufaktum-Katalog für gehobenes Wohnen. Überdachte Hauseingänge, zurück gesetzte Garage, Terrasse mit mediterranem Flair. Skulpturen aus Stein oder Holz im Garten. Beete mit blau und gelb blühenden Stauden. Schmiedeeiserne Zäune, die den Hund zurück halten, aber den Blick freigeben. Vor dem Eingangstor der geräumige Briefkasten aus schimmerndem Edelmetall.

Was tun die Leute mit dieser Gartenpracht, wie bewohnen sie ihr Grundstück? Ist es mehr als repräsentativer Zwischenraum zwischen dem Haus, in dem sich ihr Leben entfaltet, und dem öffentlichen  Straßenland, in das sie aufbrechen, wenn sie mit ihrem Auto  das große Gartentor passieren? Jetzt ist es ja feucht, aber auch an den warmen trockenen Maienabenden sehen wir keine Menschen in den Gärten. Jemanden, der auf einer Bank sitzt und in die Baumwipfel sieht. Oder ein Buch liest, oder die Zeitung. Stattdessen sehen wir vor einem Haus eine Gartenbank, auf der Opa und Oma als Attrappen nebeneinander sitzen. Sie genießen stellvertretend für die Bewohner draußen den Abend, während die Familie drinnen vor dem Fernseher sitzt und sich eine Serie ansieht, in der die Fernsehfamilie glücklich durch den Garten tollt. (wird fortgesetzt)

 

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