vonImma Luise Harms 28.08.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Auf der Lichtseite meines Daseins möchte ich gerne ein verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft sein. Ich möchte geliebt und geachtet werden und ich möchte einen Beitrag leisten, einen erkennbaren, für die, die ich liebe und achte, und für die, die ich vielleicht lieben und achten könnte, wenn ich sie kennen würde.

Aber auf der verborgenen Seite, in meinen heimlichen Wünschen: eine Maschine. Ich möchte so gern eine Maschine sein! Mit Masse und Antrieb. Eine Maschine, die kreiselnd und stampfend Energie weiterreicht, verteilt, wirksam macht. Eine Maschine die, sich bewegend, bewegt.

Wie schön ist diese Vorstellung. Meine ganze Substanz für immer in zielgerichteter Bewegung. Aufgehoben im Tanz. Ja, tanzen. In seliger Selbstvergessenheit. Für immer. Die Regeln liegen fest, liegen in mir fest. Keine Entscheidungen fällen, keine Unwägbarkeiten, alles hat Sinn. Die eigene Wucht spüren, die stoßweise weitergegeben und abgenommen wird. Jeder Augenblick ist eingebunden in eine Ewigkeit von Kinetik, zu der ich Ja sagen kann, weil ich das selbst bin.

Beim Frühstückmachen spiele ich Maschine. Alle Bewegungen sind genau abgezirkelt, ihre Dauer greift exakt ineinander. Das hat sich so ergeben. Und ich spiele es jeden Morgen nach.

Kaffeemühle anschalten, 20 Sekunden laufen runter. Dinge fürs Frühstück aus dem Kühlschrank nehmen. Milch, Butter, die Brotkiste, den Camembert, den Johannisbeer-Gélée. Nachzählen. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Dann hab ich alles. Scheibe Brot abschneiden. In den Toaster. Espressokanne öffnen, Prütt raus, sauber machen. Wasser rein. Sieb drauf. Schublade mit Kaffeepulver aus der Mühle. Pulver in die Espressokanne. Mit kleinem Löffel, der im Glas daneben bereit steht. Zweieinhalb Löffel. Espressokanne zu. Auf den Gasherd. Milch in Milchschäumer. Auf die andere Flamme. Flamme auf klein stellen.

Genau jetzt springt das Brot aus dem Toaster. Teller, Messer, Löffel raus. Butter auf Brot, den stinkenden Camembert, den Johannisbeergélée  drauf. Einmal durchschneiden. Am Messer lang lecken. Denken: leck doch nicht immer am Messer lang! Auch dieser Gedanke ist Teil des Ablaufs.

Die Dosen wieder zumachen. Jetzt entsteht ein Schlupf von ein paar Sekunden. Vor die Küchentür treten. Die Zeitung von gestern aus der Röhre holen, die Thomas da immer reinsteckt, wenn er die Zeitung von heute holen kommt. Mir ist egal, ob ich die Zeitung von heute oder von gestern lese. Hauptsache, ich kann sie morgens aus der Röhre nehmen.

Jetzt blubbert die Espressokanne. Dann ist die Milch auch so weit. Kaffee ausstellen. Milchschäumer in das Spülbecken stellen. Mit dem Stempel rein und rausfahren. Ich weiß nicht, wie oft. Das mache ich intuitiv. Jetzt kommt eine Klippe. Erst die Tasse rausnehmen, die mit dem appen Henkel, und die grad geschäumte Milch reinfüllen? Der Schaum kommt vollständiger aus dem Gefäß, wenn man die Milch sofort umgießt. Dann muss man so lange den Stempel an die Seite legen. Den kriegt man aber nur durch bloßes Abspülen wieder sauber, wenn man das sofort macht, also bevor man den Milchschaum umgießt. Und in beiden Fällen heißt sofort SOFORT. Da, muss ich zugeben, entscheide ich mich mal so, mal so. Ich habe keine Kriterien, um das im Algorithmus zu vereindeutigen. Fatal für eine Maschine. Also heute Variante 1. Schaum sofort in die Tasse umgießen, dann erst den Stempel abspülen, sehen, dass da noch Milchreste dran hängen. Die Spülbürste zu Hilfe nehmen. Stempel in den Ablauf, den Schäumer ausspülen, reinfassen, ob noch angesetzte Milchreste drin sind, nochmal mit der Spülbürste durch. Nochmal reinfassen. Na ja, geht.

Jetzt den Espresso in den Milchschaum laufen lassen. Der hebt sich dabei. Der Espresso versinkt und hinterlässt dabei eine schneckenförmige, leicht eingesunkene braune Spur. Jetzt kommt die Erinnerung, wie mein Wiener Freund Volker und sein Sohn das mal angesehen haben und dann grinsend gemeint haben, das sähe wie Pinkelspuren im Schnee aus. Aber das haben sie nicht ausgesprochen sondern nur angedeutet. Grinsend. So sind sie, die Wiener. Zu vornehm für nen derben Spruch. Aber grinsen.

Also dieser Gedanke kommt auch immer hoch, jeden Morgen. Jeden Morgen muss ich an den grinsenden Volker denken. Das will ich nicht. Aber ich muss es an dieser Stelle. Das ist wie ein Zwang. Und da bricht sich dann die Fantasie, eine Maschine sein zu wollen. Denn ich muss es auch immer und alles wollen, bereit sein, es mit jeder Faser zu verkörpern.  Sonst bin ich in der Maschine gefesselt. Bin mir selbst ein Panzer. Widerstand ist zwecklos, oder vielmehr, Widerstand schafft das Problem, bringt den Tanz zum Kollaps. Nein, diesmal nicht an Volkers Grinsen denken! Zu spät!

Zurück im Bett mit Kaffee, Brot und der Zeitung von gestern. Ich schlage die Zeitung nicht auf, sondern versinke in Gedanken, wie es möglich sein könnte, in einem Leben, das einem Entscheidungen abgelangt, das einem Hindernisse in den Weg legt und einen immer wieder mit Überraschungen konfrontiert, also in einem solchen Leben sich trotzdem geborgen zu fühlen.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/08/28/die-morgenmaschine/

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