vonImma Luise Harms 30.10.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Lesung. Der Ungehemmte, der sich die Brille rauf und runter reißt. Der ohne Pferde aus der Normandie, der während der Lesung eine Suppe isst. Die Bücherstubenbesitzerin mit Kindern, die sich Notizen zu Büchern macht (Frauen und Feigen). Ihr Mund wie eine aufgebrochene Feige, fällt mir aus einem anderen Buch ein. Und ich sage das, obwohl ich es nicht will.
Das Ehepaar im Hintergrund setzt leise die Kaffeetassen ab.
Das Bücherzelt auf dem Platz. Ghaddafis grünes Buch. Eins mit alten Strickmustern. Das Buch über Tanner, der mit dem Jonas-Film.
Gang durch den Ort. Der Ort für das geplante Bücherhaus. Erinnerung an den Film Adaptation (es passiert nichts). Kein Brot. Treffen mit Mirelle und Luc geplatzt. Kein Problem, Pläne für Waldbesuch. Suche nach einem Platz, um die Karte auszubreiten. Bank hinter dem Bücherzelt. Die große Frau mit dem bunten Socken und dem schief sitzenden Pferdeschwanz, die Gürkchen und ein Mus aus einem Glas isst. Lust, ihr was anzubieten. Ich hole die Datteln raus. Esse die Datteln parallel, esse also mit ihr zusammen.
Mireille kommt doch noch. Sie kennt alle, auch die Frau mit dem Pferdeschwanz, eine Deutsche, die merkwürdigerweise von ihrer Schwester erzählt, die auch hier lebt. Essen mit Luc und Mireille bei ihnen zuhause. Auch den Rest der Datteln. Mireille erzählt von einer Buchtherapie, das ist aus einer Abtipp-Arbeit, die sie gerade bekommen hat.
Sie malt schöne keltische Buchstaben als kleine Bilder, sie zeigt mir, wie man Gold in Bilder einarbeitet. Ich spiele mit Luc Gitarre und Banjo, die üblichen Folksongs. Ich bin berauscht von meiner Stimme, die aber nicht richtig raus will. Darüber ist die Goldschrift vergessen.
Das Konzert am Abend, mit dem berühmten bretonischen Sänger, klein, schmal, in einer braunen Wachsjacke (außen braun, innen grau), kahl rasiert, mit runder Hornbrille (wie früher Steinmeier), Ohrringen, Ringen an den Händen. Er singt aus einem Ordner. Am Cello ein weißhaariger Kollege, dessen Locke bei heftigen Strichen ins Gesicht fällt. Der Viola-da-Gamba-Spieler (Gamba mit sieben Seiten), ganz ernst, ganz entspannt, mit dunklen Locken, auf dem Kopf zu einem lockeren Knoten gebüschelt, der weiche Haaransatz im Nacken, dunkler flaumiger Bart, ganz weiche Gesichtszüge, manchmal zuckt die rechte Augenbraue nach oben vor Konzentration. Alles andere bleibt weich. Beim Spielen wird der Bogen in einer gehuschten Bewegung immer auch über die oberen Saiten gezogen. Der Spieler hält den Bogen zärtlich vorsichtig in der Hand, wie ein kostbares Papier, von dem ein Gedicht vorgelesen wird.
Die Töne der beiden Violas umspielen sich sanft, leise, zart. Der bretonische Sänger steckt einen Finger zwischen die Seiten des Ordners und lässt ihn sinken, um der Musik Raum zu geben. Er legt den Ordner aufgeschlagen auf einen Stuhl und versucht die Ärmel der Wachsjacke hoch zu stülpen, was erst nicht gelingt, weil sie zu sperrig sind.
Dann der Übergang in den rhythmischen Teil der Musik, wobei er, der berühmte Sänger, mit den Fingern schnipst und die Zuhörenden mit ihren Füßen auf den Saalboden klopfen („dance Madeleine…“). Auf dem Rückweg spricht Mireille von der Musik ihrer Kindheit.

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