vonImma Luise Harms 10.04.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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(Fortsetzung) In der Ausstellung, die übrigens „Revision“ heißt, verlieren C.,G. und ich uns unter den umher gehenden Besuchern immer wieder aus den Augen, weil sich jede von uns in Details vertieft und die anderen erst wieder zu suchen beginnt, wenn sie ihnen unbedingt was zeigen muss. C. fotografiert alle Details mit ihrem Handy. G. stößt kleine quiekende Seufzer des Entzückens aus.

Warum sind diese Herrenzimmer bloß immer so duster?“ fragt C. Im Obergeschoss ist eine Art Arbeitszimmer eingerichtet, dunkle gedrechselte Holzmöbel auf dunkel gewordenem Dielenboden vor dunkel gemusterten Tapeten mit schweren gerafften Samtvorhängen vor den Fenstern. Die Vorhänge sind zu lang, die Enden liegen auf dem Boden drapiert. Später erzählt uns K., dass nichts zusammen passt. Die Möbel sind das Sammelsurium von Charlotte von Mahlsdorf, aus Bürgerhaushalten und Schlössern von Mahlsdorf bis Ostpreußen zusammengestellt, was so kam. Und die Repräsentationszimmer waren natürlich auch nicht im Obergeschoss, sondern in den hohen Räumen im Erdgeschoss, deswegen der überlappende Vorhang. Und bei den Umzügen wurden ja auch die Wände nicht mit umgezogen. Also sind die Tapeten wiederum Assoziationen der Museumseinrichter. Und dabei wird Ganze immer düsterer, weil man es sich eben so vorstellt. Und die Ausstellung gewordene Vorstellung scheint die Vorstellung zu bestätigen. Geschichte wird gemacht.

Im Flur stehen an die zwanzig Nähmaschinen – mit Fußantritt, mit Handkurbel,elektrisch, versenkbar oder mit Intarsien-verzierter Hauben. Sie stehen nicht in Reih und Glied, zur Musterung gleichmütig ausgerichtet, den Aussonderungsbefehl erwartend. Nein, sie drängen der Besucherin, die aus einem der krude eingerichteten Mahlsdorf-Zimmer auf den Flur zurücktritt, entgegen, dicht an dicht, in ungeordneter Form sich gegenseitig über die Schulter schauend. Jede versucht, auf sich aufmerksam zu machen, ihren geschichtsträchtigen Vorteil herauszustreichen. Denn jetzt, das wissen sie, kommt es ganz auf die Eigeninitiative an, auf die Wettbewerbsfähigkeit in Hinsicht auf das zeitgeschichtlich Typische.

Anders die Bügeleisen, die ein paar Tische weiter zusammenstehen. Ob gusseisern oder Aluminium, auf geschmiedetem Untersatz oder mit modernem Plastegriff – ihre Spitzen sind alle längs der Tischkante ausgerichtet. So sehen sie aus wie ein Schwarm von Möwen, der sich unter dem aufkommenden Wind eng zusammen­duckt: Was jetzt kommt, trifft sie alle.

Geschirr in geöffneten Küchenschränken. Eines der Kännchen mit stilisiertem aufgemaltem Blumenmuster sieht mir sehr nach dem volkstümlichen Geschirr aus, das ich früher bei einer Reise nach Prag als irgendwie typisch gekauft und in den Westen gebracht habe. Was soll es hier repräsentieren? Was ist der Aspekt des Echten daran – das nachgemachte Echte oder das echt Nachgemachte? Ein Besucher hat einen Zettel hinterlassen. Es ist einer der Vordrucke für die Ausstellungsbesucher, auf denen sie ihr Wissen oder ihre Assoziationen notieren und den Gegenständen anheften können. Dieser Besucher hat geschrieben, dass seine Tante Enne genau dieses Geschirr hatte und dass es immer Plinsen gab, wenn er bei ihr zu Besuch war, und dass an diesem Kännchen für ihn immer der Geruch der Butter hängt, in der die Plinsen gebacken wurden. Das ist echt, aber eben nur für ihn. Ist nicht Geschichte für jeden Menschen etwas anderes?

Mit K., den ich auf dem Flur treffe, gehe ich nochmal in die Werkzeugräume. Ich will ihm etwas zeigen. Ich habe eine sogenannte Winkelzwinge gesehen und verstehe nicht, wie sie funktionieren kann. Ich nehme sie aus dem Regal, das darf man hier, und zeige K., dass die beiden Leisten, die damit rechtwinkling aneinander fixiert werden sollen, mit der hölzernen Schraube unweigerlich auseinander gedrückt würden. Da stimmt was nicht. Ein Besucher mischt sich ein, gibt sich als Tischler zu erkennen und beguckt mit uns das hölzerne Werkzeug. „Ja, da fehlt was“, sagt er, „da fehlt so ein Dreieick. Und das Ganze ist sowieso ein Nachbau. Das würde so nicht funktionieren.“ Warum wurde es gebaut? Als Anschauungsobjekt für den Unterricht? Als Platzhalter im Museum, bis man eine richtige Winkelzwinge hat? Oder hatten diejenigen, die das Werkzeug gebracht haben, und die, die es entgegen genommen haben, eben einfach keine Ahnung? „Sowas muss dann wahrscheinlich aussortiert werden“, erklärt mir K. Dafür haben sie eine Kommission gebildet, die demnächst ihre Arbeit beginnen und dabei wohl auch die von den Besuchern hinterlassenen Zettel auswerten wird. Der Tischler und ich hinterlassen keinen Zettel, auf dem unsere Zweifel stehen.

Auf dem Weg zurück ins Treppenhaus kommen wir an den bäuerlichen Geräten vorbei. Werkzeuge des Fischfangs, geflochtene Aalreusen, eine ganze Wand voller Geschirre, in die Zugtiere, Pferde oder Ochsen, eingespannt werden. „Wenn man das hier sieht“, sagt K., „begreift man, dass das Verhältnis Mensch-Tier einfach ein Zwangsverhältnis ist“. Und er seufzt dabei. Er sagt nicht „Nutzverhältnis“; das wäre verharmlosend, und nicht „Gewaltverhältnis“, das wäre polemisch; er ist schließlich auch Tierhalter, und wir sind hier auf dem Land. Er sagt „Zwangsverhältnis“, weil es eben so ist. Wir zwingen den Tieren unseren Willen auf, egal, ob der Hund an der Auszieh-Leine geht, das Schaf durch den Elektrozaun vom Sprung in die Wildnis abgehalten wird oder der Ochse sich unter das Joch beugen muss. Die Geschirre und Werkzeuge in Altranft sagen das in einer unverblümten ledern-hölzernen Sprache.

K. erzählt noch ein paar Anekdoten vom Sichten der Bestände. Da sei ein kaputter Puppentisch dabei gewesen, mit einem Schild dran: „Puppentisch, 4 Beine, 1 Bein fehlt“. Ich wills nicht glauben. Wir gehen runter in das Erdgeschoss in die Abteilung mit dem Kinderspielzeug. In der Vitrine, an der wir vorbeigehen, fällt mein Blick auf kleine elfenbeinfarbene Plastiktierchen, Pferde, Hirsche, Wölfe, Bären, schmal wie ein Doppelrelief, die auf einem durchgehenden länglichen Fuß stehen. Ein Hauch von Kindheit durchweht mich; diese Tiere gab es immer in den Haferflockentüten. Im Vorbeigehen sehe ich Baustein-Kästen und Puppen aller Art, von uninteressant bis unansehnlich. Aber wer weiß, wie es die heute Dreißigjährigen anweht. Die ganz hässlichen, alten und wertvollen sind oben in dem sogenannten Damenzimmer auf die Couch drapiert. Meine Puppe Edeltraut sah auch so erschreckend aus, mit den glubschigen Zuklappaugen, dem feisten Gesicht und Hals aus Porzellan und den affektiert abgespreizten kleinen Fingern an den Zelluloid-Armen.

Und eine Vitrine weiter ist tatsächlich der dreibeinige Puppentisch. Es steht noch mehr auf dem Anhänger: „Puppentisch, 4 Beine (1 Bein fehlt), eierschalenf., H=7,3 L=13,1 T=9,5“ Das sind auch ungefähr die Maße der Karte selbst. Die Rückseite mit dem passenden Buchtitel kann ich nicht lesen. Mir fällt ein, dass es ja vielleicht auch Sinn macht, das fehlende Bein zu vermerken, denn sonst sucht man es am Ende überall vergeblich.

Vor der Tür treffen wir L. Er hat wie K. mit der Neuausrichtung der Sammlung zu tun. L. erzählt uns, dass man nicht einfach die Sachen, die einen nicht mehr interessieren, aus einem Museum aussortieren und wegtun oder verschenken kann. Das „Entsammeln“ ist ein Verwaltungsvorgang, denn was einmal von einem Museum entgegen genommen und registriert wurde, hat einen Schutzstatus. Und das ist ja auch gut so, als kleine Bremse gegenüber den historischen Umschreibungs­prozessen. Die geschichtliche Erzählung ist ein vielstimmiger Chor, zu dem auch leicht schräge Töne wie ein dreibeiniger Puppentisch oder eine nachgebaute funktionslose Winkelzwinge gehören können.

Im Gras an der Oder erzähle ich noch ein paar Geschichten über L. und K. Wo sie überall mitmischen, welche Wellen sie mit ihren verschiedenen Initiativen im Oderbruch schon ausgelöst haben. C. kommt wieder mit einer Downton Abbey Episode, in der L. und K. allmählich verschwinden.

Jetzt gehen wir doch noch einen Kaffee trinken.

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