vonImma Luise Harms 08.06.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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„Hast du die Sache über den Sebastian Heiser in der taz gelesen?“ fragt meinte Freundin A., während sie die gekochten Kartoffeln pellt.

„Das war doch nicht zu übersehen“, sag ich, „das waren ja fünf Seiten.“

„Kennst du den eigentlich noch von früher?“ fragt A. weiter.

„Nein, als der angefangen hat, war ich schon lange weg von der taz. Nicht in den Müll! Auf den Kompost kommen die Kartoffelschalen, in den eckigen Eimer da.“

„Und eure Schweine fressen die nicht, die Schalen?“ „Nee, auch wenn das eigentlich Schweinekartoffeln sind. Nur die Schalen wollen die auch nicht.“

„Wo hast du denn Mayonnaise?“

„Na, die mach ich selber. Gib mal ein Ei aus dem Kühlschrank. Eigelb, Senf, und dann langsam Öl drunter rühren. Komisch, die Geschichte mit dem Heiser. Das war ja einer von den linken, von den investigativen. Der hat sich immer wieder richtig reingekniet in die Geschichten.“

„Und wieso hat der nun eigentlich seine Kollegen bespitzelt?“

„Keine Ahnung, steht auch nicht in dem Artikel drin. Im Grunde wissen sie nichts. Haben auch nichts rausgekriegt, obwohl sie extra nach Ostasien gereist sind.“

„Meinst du, das ist China, wo der sich hingeflüchtet hat?“ A. schneidet die Kartoffeln in kleine Würfel. Ich hätte Scheiben besser gefunden, aber ist ja auch eigentlich egal, dann schneiden wir den Rest eben auch in Würfel. „Wieso verkriecht der sich denn auf der anderen Seite der Erde, wenn eigentlich nichts weiter war, als dass er die Rechner seiner Kollegen angezapft hat?“ denkt A. weiter, „die Anklage hätte doch allenfalls zu einer Geldstrafe geführt…“ Der Rest ihrer Überlegungen wird vom Jaulen des Mixers übertönt. Die Mayonnaise wird schön dick und gelb, so wie sie soll. Jetzt Essig.

„Na ja, irgendwie scheint er sich ja nur für die jungen Kolleginnen interessiert zu haben“, sage ich, den Faden weiter spinnend, „große Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse in der taz kann er da nicht gesucht haben.“

„Vielleicht war’s wirklich nur was Privates, Peeping Tom statt Walraff. Aber warum macht die taz dann so eine große Geschichte daraus?“

Ich schiebe A. an die Seite, um Joghurt aus dem Kühlschrank zu holen. „Vielleicht, weil sie die teure Recherchereise bis nach Vietnam bezahlt haben und dann muss da auch ne ordentliche Story bei abfallen.“

„Tust du etwa Joghurt in die Mayonnaise?“ „Na klar, kennst du das nicht? Dann ist sie doch nicht so fett.“ A. hat angefangen die Gurken zu schneiden. Die schneidet sie jetzt in Scheiben. Sieht sie das nicht, dass das nicht zusammen passt? Ach, egal. Ich sag nichts. Ich stell mir die Situation in der taz vor, die Flurgespräche und Konferenzen, die Spekulationen, das Insiderwissen, das man nicht weitergeben darf. Von einem Geheimdienstverdacht war nicht die Rede. Wer auch, und für wen? „Ein Stasispitzel kann er jedenfalls nicht mehr gewesen sein, wär ja früher wahrscheinlich der erste Verdacht gewesen, bei seiner linken Position“, fahre ich fort.

„Hattet ihr denn Stasispitzel in der taz?“, fragt A.

Ich staune. „Weißt du das denn nicht? Ein paar sind doch später aufgeflogen. Aber wir hatten in den 80er Jahren wahrscheinlich jede Menge Spitzel in der taz.“ A. ist zwanzig Jahre jünger als ich und die 80er Jahre sind Vergangenheit. A. pellt eine Zwiebel und ich denk mich in die Zeit zurück.

„In den letzten Jahren in der Wattstraße hatten wir schon eine ziemliche Lagerbildung in der Redaktion. Die Realpolitischen, die stolz auf ihre Kontakte zu den Prominenten aus der Politik waren, die Linken, die sich weiterhin den sozialen Bewegungen verpflichtet gefühlt haben, und die Technokratischen, die einfach Journalismus als Handwerk betreiben wollten. Die Lager haben sich gegenseitig misstraut. Ich gehörte ja eher zum linken Lager, und wir hatten dauernd einen Verdacht gegen irgendjemanden, der vielleicht für den Verfassungsschutz oder sogar einen ausländischen Dienst Informationen in der taz sammeln könnte.“

Die Zwiebeln liegen fein gewürfelt auf den Kartoffeln und den Gurkenscheibchen. A. schält einen Apfel. „Woran dachtet ihr denn, dass ihr das erkennen könnt? Oder habt ihr die Kollegen damals auch ausspioniert? Als Gegenspionage sozusagen?“

„Nee, das haben wir nicht. Aber es war so ein Klima der gegenseitigen Beobachtung. Der Kollege MTM, mit dem ich sonst ganz gut ausgekommen bin, der aber eine große Nähe zur herrschenden Politik pflegte, hatte einen  verschlossenen Registerschrank, was damals ganz unüblich war. Er machte auch manchmal so Andeutungen über andere; er hatte also selbst welche im Verdacht. Es waren ja auch Ex-Militante aus der RAF oder vom 2. Juni in der taz oder gingen da ein und aus. Und da dachte man schon, dass der Verfassungsschutz sich dafür interessiert.“

„Und warst du auch unter Verdacht?“

„Weiß ich nicht. Wahrscheinlich nicht, weil ich ja meine Positionen immer ziemlich offen vertreten habe. Wir haben uns Spitzel jedenfalls immer eher als unauffällig vorgestellt. Und danach haben wir auch geguckt. Also wer positioniert selbst möglichst wenig, fragt viel und hat Informationen aus unbekannten Quellen, die er gezielt einsetzt. In das Schema hab ich nicht so reingepasst. Also die Äpfel kannst du jetzt aber nicht einfach in Scheiben schneiden. Schneid die doch lieber auch in Würfel.“
A. holt die Apfelscheiben wieder aus der Schüssel und halbiert sie. „So? Oder noch kleiner?“

„Ja, fänd ich besser. Bei den nächsten.“ Die Mayonnaise ist fertig. Der Dill bildet ein feines grünes Muster in der weißlichen Masse. Immer Verdacht haben, ist auch furchtbar.

„Ist denn in der Zeit mal einer aufgeflogen“, fragt A.

„Na pass auf, ich war mal dicht dran. Das muss so 86 oder 87 gewesen sein. Ich war eine der letzten mit einer entschieden linken Haltung in der Redaktion. Außer mir war da nur noch Till Meyer, ein Ex-Gefangener vom 2. Juni, der auf Freigang in der taz als Volontär gearbeitet hat. Es saß mir gegenüber und hat mir echte Räuberpistolen aus seiner illegalen Zeit erzählt.“

„Ein Ballermann…“

„Genau, ganz schön aufgeschnitten hat er. Aber er war eben auch dem bürgerlichen Trend in der taz gegenüber kritisch, deswegen hab ich ihn ein bisschen als Verbündeten angesehen. Eines Tages finde ich einen Zettel im Kopierer. Kein Zeitungsausschnitt, keine Agenturmeldung, kein Artikel. Ganz komisch im Ton. „Der XY gab an, er habe gesagt..“ Ich wusste erst gar nicht, was ich davon halten sollte. Dann kam mir die Sache verdächtig vor.
A. legt das Messer hin und sieht mich an. „Und? Was stand denn nun drin in dem Papier?“

„Das weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass von Wolfgang Grundmann die Rede war. Das war ein ehemaliger RAF-Gefangener, der eine Zeitlang in der Justizredaktion gearbeitet hat. Der Text war jedenfalls wie ein klassischer Spitzelbericht verfasst. Ich war verwirrt und wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Erst hab ich den Zettel im Kopierer liegen lassen und habe gehofft, dass der Spitzel vom Verfassungsschutz ihn sich zurückholt, also so ähnlich, wie sie es jetzt mit dem Heiser und seinem Stick gemacht haben. Eine Zeitlang habe ich mich in der Nähe des Kopierraums rumgedrückt. Dann fiel mir ein, dass ja dann der nächste, der kopieren will, auf den Zettel stößt, und ich hab keine Chance mehr, ihn auszuwerten. Ich hätte mir selbst eine Kopie machen können, für alle Fälle. Aber dann wäre ich vielleicht selbst dann verdächtigt worden.“

„Und was hast du gemacht?“

„Ich hab mich wie ein kleines Mädchen benommen und hab das Papier zu Till Meyer getragen. Guck mal, ich hab einen Text von einem Spitzel gefunden!“ Er hat den Zettel angeguckt und dann gesagt, er kümmert sich drum oder so. Genau weiß ich das nicht mehr.“
A. schüttelt den Kopf. „Also die wichtigsten Sachen in der Geschichte weißt du nicht mehr!“

„Ja, komisch, irgendwie verdrängt. Das war so merkwürdig, wie diese legendenhaften Geheimdienst-Unwesen, die man sich immer vorgestellt hat, sich dann in öder Bürokratensprache in einem leibhaftigen Kopierer materialisiert haben. Vor allem an den Ton von dem Papier kann ich mich genau erinnern.“

„Noch was?“ fragt A.

„Wie, noch was? Ja, die Sache hatte tatsächlich noch ein Nachspiel.“

„Ich mein, noch was klein schneiden?“

„Nee, eigentlich nicht. Die Würstchen bleiben am Stück. 1992, also ein paar Jahre nach Mauerfall, kam raus, dass Till Meyer selbst für die Stasi gearbeitet hat, vielleicht sogar gezielt in die taz eingeschleust wurde. Also war der Spitzelbericht, den ich gefunden habe, wahrscheinlich von ihm selbst. Ist auch genau dieser DDR-Amtston gewesen.“

„Und du bringst dem Spitzel seinen eigenen Bericht zurück an den Schreibtisch, na super! Wissen das die Kollegen aus der taz eigentlich?“

„Ich weiß nicht, ich glaub nicht, dass die das heute noch interessiert. Wahrscheinlich könnte man jetzt bei der Stasi-Aufarbeitungsbehörde nachforschen und würde da in Meyers Akte den Zettel finden, den ich ihm damals wiedergegeben habe.“

„Hat dich das nie interessiert, ob der Meyer auch über dich Sachen weitergegeben hat? ‚Die Harms gab an, gestern, am 3. April, an einer Diskussionsveranstaltung zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen teilgenommen zu haben. Nach ihren Angaben waren außerdem die taz-Mitarbeiter X, Y und Z auf der genannten Veranstaltung. Protokolle dazu werden der Behörde in den nächsten Tagen auf üblichem Wege zugeführt…’ Bist du je mal bei der Gauck-Behörde gewesen?“

„Ich hab manchmal daran gedacht. Aber ach nee. Ich will mit dieser Belauerungswelt nichts zu tun haben. Die ignorier ich“, sage ich und gieße die Mayonnaise über die Kartoffeln und die Gurken und die Zwiebeln und die Äpfel. Die Würstchen bleiben am Stück.

 

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2016/06/08/die-stasi-im-kartoffelsalat/

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