vonImma Luise Harms 22.08.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ein Bein liegt auf weißem Kies. Der Vorderlauf eines Hirsches. Im Gelenk gebrochen. Das kurze Fell auf dem schlanken Knochen ist graubraun, rehbraun, hirschbraun. Der schmale Huf ist ein wenig abgeknickt. Es sieht aus, als hätte der Hirsch unterm weißen Kies im Laufen inne gehalten, um Witterung aufzunehmen, dabei den einen Vorderlauf leichtfüßig angehoben.

Der Hund ist satt. Er hat das Bein, das ihm zugefallen war, unter dem Tisch abgelegt. Überfluss unterm Tisch, Überfluss auf dem Tisch. Das Wildbret, dry aged, wird in dünnen Scheibchen verkostet. Könnte noch länger. Hätte man besser. Korbmöbel auf weißem Kies. Im Hintergrund die gläserne Küche.

Am andern Morgen. Erwachen ohne Zuversicht. Die Verzweiflung kommt aus dem Zweifel. Der Zweifel ist der Nicht-Ort, der zerrissene.  Nur in der Einsamkeit kommt er zu sich, die Einsamkeit des Nicht-Verstehens, des nicht-verstanden-Werdens, des Nicht-einverstanden-Seins. Was ist das? Der neue Feudalismus? Aus dem Verdienst (hart erarbeitet) wird Vorrecht, aus dem Vorrecht wird Privileg. Auf den Privilegien wächst Willkür, aber auch Großzügigkeit, sie wird zur Gnade. Die verdient Dankbarkeit, Ergebenheit. Und dann kommt Gott, das Recht der Natur, die Marktgesetze oder eine andere höhere Ordnung ins Spiel. Wie dagegen stehen, wie darin überleben? Wie bei sich bleiben? Unter dem Pflaster liegt der wilde märkische Sand, unter dem weißen Kies liegt der Hirsch begraben; das Hirschbein hat mir im Traum gewunken.

 

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