vonImma Luise Harms 09.10.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Während ich mich entscheide, die Bank heute am Sonntag doch nicht draußen abzuschleifen – es ist schließlich Sonntag -, sie bis Montag noch so halbfertig in der Werkstatt stehen zu lassen, vielleicht mal zu gucken, ob ich an der herausgebrochenen Stelle an der Lehne vielleicht ein passendes Stück Hartholz einsetzen kann – das ist geräuscharm, das könnte ich ja auch heute machen, zwischendurch – zwischen was? Während ich die Zeitung von gestern durchblättere und überlege, wie ich die anstehenden Tätigkeiten in den Tag einfließen lassen will, oder sollte, und welche Tätigkeiten als anstehend ich mir überhaupt ins Blickfeld ziehe, währenddessen denke ich oder wird mir bewusst, dass ich eigentlich ständig repariere.

Manchmal werde ich von alten Bekannten gefragt: Und? Was machst du inzwischen so?

Ja, was mache ich? Der Form nach bin ich Rentnerin, wenn auch praktisch ohne Bezüge. Aber das wäre ja auch keine Antwort, denn Rentnerin ist man, das macht man nicht.

Ich habe aber in meinem Leben auch kaum eine Änderung festgestellt. Vorher war mein Status freiberufliche Filmerin und später Autorin. Das sagt auch alles nichts. Die faktisch zutreffende Antwort wäre zu der Zeit wie bei praktisch allen, die ich kenne, gewesen: Ich mache Projekte.

Man hat eine Idee, man kennt Leute, man hat einen Fördertopf gerochen. Man kriegt – nach zehn abgelehnten – eine Bewilligung und macht dann halt ein Projekt. Wenn man wegen einer Antwort verlegen ist, kann man auch sagen: Ich arbeite gerade an einem neuen Projekt.

Das Projektemachen habe ich aufgegeben, vielleicht, weil weder meine Ideen noch meine Art, mich auszudrücken, in diese Antragsformulare passt. Es passt einfach nicht rein. Ich habs aufgegeben. Außerdem, wenn, wie gesagt, einem der Geruch des Fördertöpfe in die Nase steigt, verzerrt sich die kleine harmlose Idee, die als Köder für die Förderer herhalten soll. Sie bläst sich auf, dass ich sie selbst nicht mehr erkenne. Dann läuft die Sache, und ok, es gibt schönes Geld aufs Konto, gleichzeitig harte und demütigende Stunden mit der Abrechnung. Und wenn das Ganze vorbei ist, ist das Projekt zum Vorgang geworden, der bei den Geldgebern und auch bei mir selbst abgelegt wird. Wertschätzung vielleicht über ein, zwei Veranstaltung, über ein, zwei Erwähnungen in den Medien. Und dann steh ich da, wo ich vorher stand. Was soll das?

Natürlich kann man Projekte ohne Geld machen. Das mache ich ja in der Sphäre des Politischen sowieso schon die ganze Zeit, auch wenn es da nicht Projekt heißt. Im Dorfverein, hier auf dem Gutshof und sonstwo habe ich viele Projekte gemacht, an die sich kaum jemand erinnert, und auch ich nicht. Manchmal, wenn ich meine alten Ordner im Rechner nach irgendwas durchsuche, stoße ich auf solche Projekte. Ach, guck mal, das hab ich ja auch mal gemacht!

Warum fehlt mir dazu inzwischen der Antrieb? Ach, weil die Rückkopplung zwischen Prozess und Ziel nicht mehr funktioniert! Die Projekte kriegen ihre Sinnhaftigkeit ja selten aus dem angestrebten Ergebnis, sondern aus der feurigen Überzeugheit, mit der man es zu erreichen versucht, und aus Begegnungen und Gemeinsamkeiten, die dabei entstehen. Diese Erfahrung steht aber der frischen Entscheidung für ein neues Projekt gerade im Weg: Glaube ich nicht an das Ziel als Motiv, schaffe ich auch den Weg nicht. Deswegen fallen auch die nicht finanzierten Projekte mehr und mehr von mir ab, oder ich falle aus ihnen heraus. Vielen Dank, ich würde lieber nicht…

Also was sage ich dann auf die Frage: Was machst du so?

Ich müsste sagen: Ich repariere (wenn ich nicht koche, backe oder im Garten arbeite). Ich repariere alles, was in meinem Haushalt kaputt geht, alles was ich finde, alles, was andere wegwerfen wollen. Ich habe inzwischen große Fertigkeit darin, egal ob es sich um Näh-, Schraub- oder Bauarbeiten handelt. Und ich habe einen großen Fundus an möglicherweise für Reparaturen nützlichen Materialien, kleinen und großen Teilen.

Warum mache ich das?

Antwort eins: es ist eine klassische Rentnerbeschäftigung; ich bin ja auch eher ein Rentner als eine Rentnerin. Ich denke an den Opa in der alten Fernsehserie „Die Unverbesserlichen“, wo die Oma ihm zur Sinngebung und Zeitfüllung ständig neue kaputte Radios ranschafft, die angeblich für ein Altersheim wieder hergerichtet werden müssten. Es stimmt zwar, dass für mich als tatkräftigem Menschen die nackte Kontemplation eher eine jenseitige, für mich schwer zu erreichende Daseinsform ist. Das war aber schon immer so. Und es ist nur ein Aspekt.

Antwort zwei: Weil ich keine Projekte mehr machen will, weil ich mich weigere, mich anzustellen und beurteilen zu lassen, habe ich wenig Geld. Und das heißt, wenig Spielraum für Neuanschaffungen. Ich erspare mit die Ausgaben.

Und das führt zu Antwort drei: Ich werte auf, was schon abgeschrieben ist, reif für den Müll. Das ist mein Beitrag zur Verbesserung der Welt. Wegen mir müssen keine Frauen in Bangladesh unter Sklavinnenbedingungen T-Shirts zusammen nähen. Wegen mir müssen nicht immer wieder Rohstoffe aus dem Boden gekratzt oder aus den Wäldern gehauen werden. Wegen mir müssen keine übermüdeten Kassiererinnen bis abends um acht Warenladungen über den Scanner ziehen. Meinen Toaster schraube ich auseinander und finde raus, wo der Kontakt nicht funktioniert. Und den Toaster vom Verschenketisch in unserer Wohneinrichtung schraube ich auch auseinander und repariere ihn. Den kriegt dann Thomas. Und meine alte Kaffeemühle und den abgeschabten Schreibtischstuhl kriege ich auch nochmal hin, die geb ich nicht auf.

„Lohnt sich das überhaupt noch?“, fragt O., nachdem sie mich schon seit Tagen mit der maroden Gartenbank beschäftigt sieht. „Ja, das lohnt sich“, sage ich mit Bestimmtheit und erkläre, dass es eine Teakholzbank ist, noch dazu eine alte. Ein Holz, das irgendwo dem Urwald entnommen wurde, nach dem Geschmack der kolonialen oder postkolonialen Aufkäufer geschnitzt und zusammen gesetzt wurde. Soll ich etwa die Bank aueinanderhauen, bloß weil die Gartenbänke aus angeblich zertifiziertem Tropenholz inzwischen billig zu haben sind? Nein, mach ich nicht. Die Bank wird repariert. Ich habe sie schon seit 25 Jahren.

Und da tut sich noch Anwort vier auf: Ich empfinde eine Treue zu den Dingen, zu denen, die mir seit langem gedient haben;  und ich empfinde Zuneigung und Verantwortung für die Findelkinder, die vor die Tür geschoben und ohne Not dem Verfall preisgegeben werden. Ich habe ein Herz für Dinge. Ich freu mich, wenn sie wieder heile sind, und muss dann nur noch einen nicht vollgestellten Winkel in meinem Haus oder einen dankbaren Abnehmer finden.

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