vonImma Luise Harms 18.03.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Wichtige Fragen vor Entscheidungen:

Ist diese Vase schön?

Ich kann es schwer beantworten. Das gelb eingefärbte Glas finde ich ganz ansprechend. Aber warum ist das Glas des Henkels schwarz? Wenn man den Henkel lange genug anguckt, wird die Art, wie er sich dem Krug als Träger andient, aufdringlich und übergriffig. Er saugt sich an Bauch und Hals regelrecht fest. Der Henkel ist auch nicht so angebracht, dass er das Gefäß beim Ausgießen im Gleichgewicht halten würde. Am Henkel angefasst, würde sich der schwere Körper lediglich ein wenig zur Seite neigen. Dann aber ist die kleine Ausgießtülle sinnlos, ein neckisches, überflüssiges Accessoire. Ein plumper Körper also unter einem zierlich gereckten Hals. Die Ästhetik scheint mir jedenfalls zweifelhaft.

Nächste Frage: Ist die Form irgendwie praktisch, dient sie einem Zweck? Na ja, man kann auch mal einen längeren Zweig reinstellen; der Schwerpunkt liegt so weit unten, dass die Vase nicht so schnell ins Kippen kommt. Aber ein einzelner längerer Zweig, das sieht etwas grotesk aus, es müsste schon noch ein zweiter mit rein. Dazu ist der Hals aber zu eng. Für zartere Blumenstängel wirkt die Vase zu massiv und vielleicht auch zu farblich dominant gelb-schwarz.

Unpraktisch ist auch, dass man das bauchige Innere nur schwer von dem Belag säubern kann, der sich vom Blumenwasser darin ansammelt. Dadurch wird die Glaswand trübe, verliert das Funkelnde.

Ist die Vase vielleicht ein Designerstück? 70er Jahre Style oder so? Passend zu bestimmten Möbeln aus der Zeit, auch oder gerade, wenn keine Blume drin steht? Sammlerwert? Aber dazu die nächste Frage:

Ist sie heile? Nein, kann man nicht sagen. Es gibt einen Riss im Glas, es sieht zwar nicht so aus, als wenn die Funktion dadurch beeinträchtig würde, aber die Funktion ist ja sowieso fragwürdig, wie ich gesehen habe. Sammler würde das Stück  deshalb jedenfalls nicht mehr interessierten.

Ist sie ein Erinnerungsstück? Nein, sie stammt aus der Haushaltsauflösung von irgend jemandes Tante, ist irgendwie mit anderen Gegenständen mitgekommen. Von mir interessiert entgegen genommen, weil ich oft denke, “eigenartig” wäre “schön”. Allerdings habe ich selbst sie jetzt schon ziemlich lange, und ich hab auch immer mal wieder etwas reingestellt. Zum Beispiel eine Pfingstrose, die mit ihrem schweren Kopf einen soliden Stand braucht.

Ich werde die Vase in den Garten stellen, wo alle möglichen mutmaßlichen oder vorgeblichen Designerelemente herumstehen. Manchmal baut sie jemand in die Ästhetik  seiner/ihrer Gartenecke ein. Ich könnte sie dann, wenn ich mag, irgendwann wiederfinden.

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kommentare

  • Ich bin mir ziemlich sicher, daß, wenn wir die kompletten Filmaufnahmen von der Haushaltsauflösung meiner Mutter im Jahr 2000 durchsehen würen, auf diese Vase stoßen würden. Ob ich sie wegtun wollte weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich aber nicht. Sie ist ein Erinnerungsstück, an was genau kann ich auch nicht sagen. Vielleicht an Fräulein Heinrich,(auf das `Fräulein´legte sie Wert) die Klavierlehrerin meiner Geschwister. Die Vase stand immer auf dem Klavier auf einem kleinen Deckchen mit einem trockenen Zweig drin, Astern oder so was. Wenn Onkel Günther zu Besuch war, und im Begriff war, seine zwei Chopinstücke, die er spielen konnte, ins Klavier zu hämmern, sehe ich meine Mutter immer vorsorglich die Vase beiseite stellen, um ihren älteren Bruder sich austoben zu lassen; so stelle ich mir es jedenfalls vor.

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