vonImma Luise Harms 06.04.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

Mehr über diesen Blog

Aus der Kiste “Sonderkorrespondenz” der dickste und der einfachste Packen, um ihn auf die Reise zu schicken. Ein Stapel Briefe aus der Zeit 1990/1991 von einem Roland B., Bankräuber und Insasse aus dem Tegeler Knast. Es war meine hoch-autonome Zeit, deren Gefühlswelt zwischen wilder Freiheitslust, Anstrengung und Verzweiflung hin und herpendelte. “Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen” war einer von den angestrengten Parolen. Also ging man zu Knast-Demos, also hatte man Kontakt mit Gefangenen. Sicher, es saßen in Tegel, in Moabit und Plötzensee eine Reihe von Gefangenen, deren Vergehen politisch motiviert waren, “revolutionäre Gefangene”, aber eben auch eine Menge ganz normaler Knackies.

Ich hatte den Job der Gefangenenhilfe in der taz  – Pakete, Schreibmaschinen, Freiabos oder Briefkontakte. Von Roland B.’s Brief habe ich mich irgendwie angesprochen gefühlt und habe selbst den Briefkontakt aufgenommen. Die Verbindung ist nach einem Jahr eingeschlafen, bzw. wurde von mir eingestellt, nachdem ich nicht sein “Baby” sein wollte, und nachdem er meine Kritik an seinem Drogenkonsum im Knast mit einer enthemmten Beschimpfung der Verlogenheit und Arroganz der Linken beanwortet hatte.

Was wohl aus ihm geworden ist? Ich habe die Briefe aufgehoben, um sie später nochmal in Ruhe und im Zusammenhang zu lesen, um mir ein Bild zu machen, was für ein Mensch und was für eine Art von Kontakt das eigentlich war. Aber jetzt ist ja später, wann, wenn nicht jetzt? Ich habe sie also gelesen, jedenfalls darin gelesen, auch zwei Briefe von mir, die ich nicht abgeschickt bzw. die ich kopiert hatte. Ich bin mir ein bisschen peinlich, wie ich versuche, mit sozialrevolutionären Schwung eine Brücke zu schlagen, ohne die Grundverschiedenheit der beiden Welten wahrhaben zu wollen. Vielleicht hatte er recht mit seinem Ärger.

Machs gut, Roland, wo immer du auch jetzt bist. Die Briefe können jetzt weg.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2017/04/06/let-it-go-25/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert