vonImma Luise Harms 23.04.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Es ist schwer, mit dem Protokollieren hinterher zu kommen. Das Ziel, jeden Tag etwas zu verabschieden, schaffe ich locker. Aber nicht immer reicht es dazu, das aufzuschreiben.
Vieles kommt mir auch banal vor. Weggeworfen wird doch eigentlich ständig und von jedem, außer von den ganz Neurotischen. Manches ist nicht wirklich ein Reduzieren, sondern nur ein Austauschen. So habe ich ein neues Telefon, und das alte, das mich schon seit Jahren wegen seiner Ausfälle ärgert, habe ich nicht in die Kiste mit ausgedienten Telefonen getan, sondern gleich in den Müll getragen. Auch einen neuen Lampenschirm habe ich mir widerstrebend bei Ikea geholt. Er gefällt mir nicht; den alten fand ich schöner, aber der war brüchig, verbeult und und dunkel angelaufen. Ich habe der  Versuchung widerstanden, ihn doch noch mal zurecht zu basteln; das wird nichts, das sollte ich doch wissen. Jetzt hoffe ich, dass der Ikea-Look sich verwischt, ohne dass ich Verfremdungsmaßnahmen anfange, die die Sache meistens nicht besser machen. Ein bisschen Ikea kann man schon mal aushalten.

Ich registriere zwei verschiedene Arten von Gefühlen beim Wegwerfen: das eine ist ein Bedauern, dass ich die Option oder auch das Stück meiner Vergangenheit gehen lasse, ein leises Ziehen, eine Art von Trauer. Das andere umgekehrt: eine gewisse Scham darüber, dass ich das so lange aufgehoben habe, ohne es in Frage zu stellen, und anschließend ein Gefühl der Reinigung und Erleichterung. Dazu gehört dies:

Ein dickes Buch aus leeren Seiten, dreimal durchbohrt, weil es als Hintergrund für einen Garderobenhaken (!) gedient hat. Es ist nach einem Schrott-Wichteln, das wir vor Jahren Weihnachten mal gespielt haben, bei mir hängen geblieben. Statt es sofort am nächsten Tag in den Papiermüll zu bringen, habe ich es aus Ehrfurcht vor den vielen weißen, noch dazu gebundenen Seiten auf dem Schreibtisch hin und her geschoben und schließlich hinter die Bücher im Bücherregal gestellt. Als ich den falschen Sokrates rausgeschmissen habe, kam es zum Vorschein. Ich werde kein Tagebuch um die drei Löcher herum schreiben. Weg damit.

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