vonImma Luise Harms 29.08.2018

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

Mehr über diesen Blog

Was sind “tiny houses“, habe ich mich gefragt. Ich hab in der letzten Zeit öfter davon reden hören. „tiny“ ist doch nicht nur klein (small, little), sondern in seiner Kleinheit auch gleichzeitig niedlich. Also niedliche Häuser, eine Art Puppenhäuser. Das höhlenartig Heimelige zieht nicht nur Kinder an.

Vor der Urania ist eine Ausstellung von Bretterverschlägen; ich fahre mit dem Bus dreimal daran vorbei, bis ich realisiere, dass das die tiny houses sind: fahrbare Buden, Wohncontainer aus Holz, kurz geratene Bauwägen, so könnte man sie beschreiben. Ich fahre noch ein viertes Mal hin, gucke vorher im Internet, ob ich Anspruch auf Zugang habe. Hab ich, es ist dann aber doch schwierig. Ein paar junge Männer hantieren mit Akkuschraubern. Das ist ein Workshop. Publikum kann man jetzt nicht brauchen, anscheinend gibt es sehr viele Neugierige. Ich gucke trotzdem in die drei, vier Aufbauten, die da stehen. Eines wird als Werkzeugschuppen genutzt. Eines ist ein „tiny temple“, leer, mit Teppich, ein sakraler Ort, der bitte respektiert werden soll, wie ein Schild sagt. Ein anderes ist anscheinend im Moment das Büro. Ich drücke mir die Nase ein, um auch in die Ecken sehen zu können. Ich möchte wissen, wie sowas eingerichtet wird, damit es alle Grundbedürfnisse des Wohnens erfüllen kann. Es gibt also eine Sitzecke, einen kleinen Schreibtisch, eine Küchenzeile, einen Verschlag mit Klo und Dusche, und oben draufgesattelt eine Schlafkoje.

Der Trick ist, dass die Mobilheime die im Straßenverkehr zugelassenen Maße voll ausnutzen, also Wohnfunktionen zum Beispiel in die Höhe verlagern, und dass sie auf einem einachsigen Chassis aufgebaut sind. Dadurch können sie auch von PKW-FahrerInnen weggezogen werden und benötigen keine schwere Zugmaschine. Und wichtig ist wohl auch, dass sie aus Holz sind. Das ist der signifikante Unterschied zum Campinganhänger. Also Holzvertäfelung, Fensterläden, fantasievolle Dachgestaltung und eine Heizmöglichkeit, die am schnorchelartig emporgereckten Edelstahl-Schornstein zu erkennen ist.

Nachdenklich nehme ich den Bus zurück. Passt da wirklich alles rein, was man zum Wohnen braucht? Wenn ja, warum sind die meisten unserer Wohnungen viel größer, was haben wir denn da drin, worauf wir glauben nicht verzichten zu können? Bücher, Aktenorder, Schallplatten- oder CD-Sammlungen, DVDs, Kleidung, Schuhe, Bettwäsche, Geschirr, Küchenkram, Werkzeug – sowas braucht man doch.

Wie ist das Leben, wenn ich das alles nicht habe? Einfach nur vier T-shirts zum Wechseln, ein paar Hosen, ein bisschen Unterwäsche, in der ich dann auch schlafe?  Und natürlich ein Smartphone.

Wie liest du diesen Text gerade? Auf dem Laptop, dem Tablet oder auf deinem handy? Jedenfalls nicht in der gedruckten Zeitung. Blogs sind ein typisches Erzeugnis der E-Kommunikation: unübersichtlich, dafür beliebig lang, sofort beim Adressaten, sofort kommentierbar, mit allen Vorzügen der Schrankenlosigkeit.  Merkwürdig, dass es trotzdem auf uns unzählige BloggerInnen wie eine Erhebung in den Adelsstand wirkt, wenn unsere blogs gedruckt werden, womöglich in einem richtigen Buch!

Während wir uns heimlich wünschen, von einem Verlag entdeckt zu werden, werden umgekehrt immer mehr Bücher und andere Druckerzeugnisse in Digitales verwandelt. Auch mein Auftraggeber, der taz Verlag, hat angekündigt, dass die tägliche taz demnächst, also in ein paar Jahren, wahrscheinlich nur noch online erscheinen wird, allenfalls eine Wochenendausgabe aus Papier wird es noch geben. Als Gründe werden Ressourcenschonung und die schlechten Gehälter der Zeitungsausträger genannt. Nach Einstellung der Printausgaben werden sie allerdings nicht besser, sondern gar nicht mehr bezahlt. Nun ja, das mit der Ressourcenschonung kann man nicht entkräften.

Es wird ein Jammern angestimmt werden, dem ich mich wahrscheinlich anschließen werde: Verlust der Autonomie, sich mit den Augen frei auf den Zeitungsseiten bewegen zu können, stattdessen die Gängelung durch die Menüs. Keine langen Texte mehr, das liest keiner, alles knapp und in Häppchen. So Texte wie diese haben keine Chance mehr, viel zu lang, das liked kein Mensch. Es hilft nichts es, wird so kommen, wir werden uns daran gewöhnen müssen.

Zeitungsstapel gehören also schon mal nicht mehr zum zukünftigen Wohnen. Was ist mit Büchern? Wir wohnen ja nicht mit den Büchern sondern mit den Buchrücken zusammen; sie erinnern uns an das, was drinsteht. Man könnte die Bücherwand fotografieren, bevor man sie abschafft, weil alle Bücher im Netz auffindbar sind. Das wird noch etwas dauern, aber sicher kommen. Das gleiche gilt für Filme – weg mit dem DVD-Regal, für Musik aller Art und Trägersysteme – keine Schallplattensammlung, keine CDs mehr.

Was noch? Fotoalben? Fotos sind längst eingescannt. Briefe? Gibt es schon lange nicht mehr, alles im Mailordner. Ordner mit amtlichen Schreiben? Kontoauszüge? Wird schon von Behördenseite alles auf Online umgestellt.  Drucker sind überflüssig. Und wenn alles eingescannt ist, brauchen wir auch den Scanner nicht mehr.

Aber was ist mit der Hardware? Sagen wir zum Beispiel Equipment für Sport und Freizeit: Reiten, Surfen, Fahrrad fahren? Wenn die Bedürfnisse nicht komplett auf Videospiele, auch interaktive, umgepolt werden können, es also wirklich noch was Leibliches sein soll, dann könnte alles, was man dazu braucht, ausgeliehen werden, das muss man nicht besitzen. Aber Kochen, Gäste empfangen? Man geht aus. Allein isst man im Imbiss, mit FreundInnen trifft man sich im Bistro, im Restaurant, oder in der Kneipe. Zuhause brauchen wir dann nur das Nötigste fürs Frühstück.

Ich habe die zukünftige Wohnung schon ziemlich leer geräumt. So geht’s mit dem tiny Leben. Das passt in einen Schuhkarton. Wir brauchen dafür allerdings ein klares gradliniges Lebenskonzept. Für spontane Einfälle, notwendig werdende Improvisationen oder Selbsthilfe im Alltag ist kein Platz. Plötzlich mal Waffeln backen – Waffeleisen gibt es natürlich nicht, oder einen Reißverschluss einnähen – wo sollte der Platz für eine Nähmaschine sein? Wir haben unser smartphone, den Laptop und einen ungehemmten Internetzugang. Das muss reichen.

Was aber bei den Abbildungen von tiny houses auffällt, ist, dass sie fast immer irgendwo vor einer traumhaft schönen Kulisse stehen, in der sogenannten unberührten Natur. Das ist ja gerade das Praktische, dass man sie ohne großen Aufwand dahin fahren kann, wo man gern sein möchte, und das ist ganz offensichtlich weder in Kreuzberg 36 noch im Schrebergarten. Die Fantasie vom selbstgenügsamen Leben in der Wohnhöhle verbindet sich mit dem Bedürfnis nach freier Entfaltung dort – und das ist wichtig – wo (noch) niemand ist. Wie verträgt sich die notwendige Virtualisierung des Alltags mit dem Anspruch oder zumindest der Sehnsucht, sich in die echte, wirkliche Natur zu verpflanzen? Es wäre ja leicht, auch die zu simulieren, so wie das Buch, das Kino, den Schachpartner, das Kaminfeuer. Bildschirme in HD-Qualität an den Wänden kreieren das Draußen, so wie man es sich nur erträumen kann.

Aber nein, die Natur soll echt sein, groß sein. Ihre Materialität erdet den Kosmos aus Virtualität. Sie soll das tiny house einschließen wie eine große Mutterhöhle. Und das tiny house umschließt uns wie die Fruchtblase das ahnungslose Ungeborene, das an der Nabelschnur zur Welt hängt, die uns mit allem versorgt, was unser Leben ist.

Jetzt hab ich mich aber in eine heftige, Matrix-mäßige Dystopie reingeschrieben – und dich auch noch mitgenommen. Tut mir leid.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2018/08/29/so-ist-das-tiny-leben/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ganz mitgenommen in deine Minimierungs Fantasien oder die Vorstellungen von Leichtigkeit des Geistes durch optimiertes Loslassen von Besitz, liege ich in meiner 40 qm Wohnung in Neukölln auf den Sedimenten meines Lebens. Da liege ich eher wie die Prinzessin auf den Erbsen. Die Erbsen sind platt und eng gestapelt und wärmen mir den Hintern. Und letzte oder vorletzte Woche habe ich mal alles stehen lassen und mich für eine Nacht auf das knuspertrockene Moosbett an einem klaren Brandenburger See gerollt, über mir eine Buche und darüber der Nachthimmel mit Stern und Mond und zum Glück ganz ohne Dach und Wand.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert