vonPeter Strack 23.06.2019

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Die Informationslage zum Herbizid Glyphosat ist interessengeprägt und unübersichtlich. Da ist es erst einmal eine gute Nachricht, dass in Bolivien inzwischen qualifiziertes Fachpersonal zur Verfügung steht, das die PR der Agrarlobby um empirische Untersuchungen ergänzt. Auch wenn für den Nachweis von Agrargiften im Körper teilweise noch auf schwedische Labors zurückgegriffen werden muss. Ergebnisse wurden auf einem jüngst vom bolivianischen Verband der Biolog*innen in La Paz organisierten Symposion präsentiert.

Fernando Patiño, ein Onkologe, der sich fleissig durch Tausende von Links und Hinweisen auf Forschungsarbeiten im Internet gearbeitet hatte, folgte in La Paz der Argumentationslinie des Bayer-Monsanto-Konzerns: Dass es keine Studien gäbe, die Krebserkrankungen durch Glyphosateinsatz nachweisen würden. Glyphosat werde ohnehin kaum über die Haut und gar nicht über Essen eingenommen, so Patiño. Wieso man es dann im Urin habe nachweisen können, fragte Roger Carvajal, ein anderer Teilnehmer des Symposions.

Doch Patiño, der in Bolivien erschwerte Bedingungen bei der Behandlung von Krebskranken hat, für die das Gesundheitssystem nicht genügend ausgestattet ist, argumentierte aus seiner Erfahrung: Er selbst habe noch keinen Patienten behandelt, der zuvor Glifosat ausgesetzt gewesen sei. Zigarettenraucher sehr wohl, und verwies damit auf einen quantitativ bedeutsameren Krebsverursacher. Dass es inzwischen zig Klagen gegen Bayer-Monsanto wegen Glyphosatschäden gibt, und der Konzern einen wenn auch noch nicht in letzter Instanz verloren hat, führt Patiño darauf zurück, dass man in den USA mit einem guten Anwalt ziemlich viel erreichen könne. So als ob Bayer nach dem Kauf von Monsanto sich keine guten Anwälte mehr leisten könne.

Man müsse auf dem Teppich bleiben, meint der Onkologe. Bei vorher 2 oder 3 Fällen auf 100.000 Personen sei eine Zunahme von 50 oder 100%, auch wenn es hoch erscheine, keine alarmierende Zahl. Vor allem im Vergleich zu anderen wesentlich gefährlicheren Giften wie DDT oder Paraquat. Die werden trotz unbezweifelter toxischer Wirkung und obwohl sie andernorts verboten sind in Bolivien immer noch zu medizinischen Zwecken (wie der Vernichtung der Dengue- und Malaria-Überträger) oder in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie sind eines der Hauptargumente für Glyphosat und die Einführung von glypohosatresistentem gentechnisch verändertem Saatgut: Es verringere den Einsatz gefährlicherer Agrarpestizide. Darauf weist auch die Internet-Zeitschrift AGROAVANCES des privaten bolivianischen Instituts für Außenhandel (IBCE) hin.

In La Paz berichtete die promovierte Biochemikerin Noemi Tirado Bustillos von der Staatlichen Universität San Andrés von genetischen Veränderungen bei Personal des Gesundheitsministeriums, das DDT eingesetzt hatte. Und durch die Wasserkreisläufe der Natur erklärte sie sich, dass sie DDT-Reste im Blut selbst an Orten nachweisen konnte, an denen das Gift gar nicht eingesetzt worden war.

Der promovierte Biologe Luis Pacheco referierte anschließend über Studien aus anderen Ländern, wo Schäden durch Glyphosat bei Kaimanen, Forellen, Ratten und anderen Tieren nachgewiesen worden seien. Zu Menschen gebe es nur 28 Studien. Die große Mehrzahl habe Hinweise auf Risiken des Glyphosat- Einsatzes ergeben (in der taz ist von 34 wissenschaftlichen Publikationen die Rede) . Und es sei schwer nachzuvollziehen, dass bei einer Meta-Analyse der Studien ausgerechnet die Studien als ausreichend fundiert eingeschätzt worden seien, die dem Glyphosat Unbedenklichkeit attestiert hätten, während an der großen Mehrheit der Untersuchungen, die Hinweise auf einen Zusammenhang ergeben hätten, methodische Mängel kritisiert worden seien.

Roger Carvajal Ph.D., vom Ökologischen Institut der Universität San Andrés von La Paz sagte, der Punkt sei nicht der vom Konzern geforderte eindeutige Nachweis eines direkten Zusammenhanges zwischen Glyphosat-Einsatz und Krebserkrankungen oder auch Autismus, sondern die komplexen Wirkungsmechanismen. Wer in Bolivien Brot esse, esse Glyphosat, das in Argentinien vor der Getreideernte eingesetzt würde. Und aus Argentinien komme der Löwenanteil der Mehlimporte aus gentechnisch manipuliertem Weizen. Das Agrargift schädige gute Darmbakterien und fördere das Wachstum schädlicher Bakterien wie Clostridien und Salmonellen. Und deren Auswirkungen seien der Wissenschaft gut bekannt.

Bevor man den Einsatz von Glyphosat genehmige, müsse dessen Unschädlichkeit nachgewiesen werden. Nicht umgekehrt. Zumal Monsanto eine Millionenstrafe habe zahlen müssen, weil eine externe Überprüfung der Daten einer eigenen Studie des Chemiegiganten ergeben habe, dass der Konzern Befunde von Leber- und Nierenschäden bei Ratten nach dem Konsum gentechnischer manipulierter Nahrungsmittel unterschlagen hatte.

Die Giftigkeit des Glyphosat sei nicht einmal das Hauptproblem, legte der Biologe Pacheco nach, sondern die Entwaldung. Bolivien sei das einzige südamerikanische Land, dass Amazonaswald für den Sojaanbau abholzen lasse. Ein Thema, das Maria Lohmann von der Plattform für ein von gentechnisch manipulierten Nahrungsmitteln freies Bolivien vertiefte. Glyphosat sei nur eine Komponente eines Technologiepakets, Bolivien einer von gerade einmal zehn Staaten, in denen gentechnisch verändertes Saatgut und Glyphosat kombiniert eingesetzt würden. 1,5 Millionen Hektar Sojaanbau mit Glyphosat in Bolivien generierten jährlich 1 Milliarde Einnahmen. Nur nicht für den Staat, der die Produktion mit einem vergünstigten Dieselpreis und dem Verlust der natürlichen Ressourcen auch noch subventioniere.

Sojaernte in Santa Cruz, Foto: La Razón

Dabei hat das Technologiepaket nicht einmal die Produktivität nennenswert erhöht, wie Roger Carvajal an den Ertragszahlen pro Hektar im Verlauf der Jahre aufzeigen konnte. So sei die Agroindustrie permanent am Jammern: Um illegale Abholzungen nachträglich zu legalisieren. Um die niedrigen Preise wegen Überproduktion zu kompensieren. Um die Ernteeinbußen auszugleichen, die durch extreme Wetterlagen entstehen, die von den Abholzungen verursacht werden. Um dann wiederum die Genehmigung von gentechnisch manipulierten Saatgut zu fordern, das besser an die immer härteren Trockenperioden angepasst ist. Um vergünstigte Kredite zu bekommen und schließlich neue Abholzungen zu erlauben, weil das agrochemische Technikpaket die Böden auslaugt.

Auf dem Symposion in La Paz weigerte man sich angesichts dieses Teufelskreises Glyphosat als kleineres Übel zu akzeptieren oder gar als Lösung für die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung. Man empfahl ökologische Landwirtschaft und kritisierte das am 17. April 2019 von Präsident Evo Morales unterzeichnete Dekret 3874. Darin wird „ausnahmsweise“ ein verkürztes Prüfungsverfahren für die Genehmigung des gentechnisch veränderten Glyphosatresistenten Sojasaatguts HB4 und Intacta angeordnet. Obwohl die Verfassung und unterschiedliche Gesetze immer noch den Einsatz gentechnische modifzierten Saatgutes verbieten. Schon 2005, so Maria Lohmann, wurde „ausnahmsweise“ der Anbau von gentechnisch veränderter Soja „für den Export“ genehmigt. 2006 machte GMO-Soja bereits die Hälfte der Anbauflächen aus. Spätestens seit 2012 ist der Anteil nicht gentechnisch veränderter Soja insignifikant.

Memorandum of Understanding zwischen ANAPO, Regierung und staatlicher Erdölgesellschaft; Foto: Diego Valero/ABI

Und jüngst kam eine erneute Vereinbarung mit dem Produzentenverband für ölhaltige Pflanzen ANAPO für den Einsatz von GMO für die Produktion von „Biodiesel“ hinzu. Dafür sollen weitere 250.000 Hektar Wälder abgeholzt werden.

Laut Daten der Friedrich Ebert Stiftung (zitiert in der Tageszeitung Pagina Siete vom 17.6.2019) wurden in Bolivien bislang 6 Millionen Hektar Wald abgeholzt, die Hälfte davon in den letzten 10 Jahren. Die Abholzungsraten gehören zu den höchsten der Welt. Die Forstbehörde spricht von über 1 Million Hektar innerhalb von fünf Jahren seit 2012, gut 60% davon illegal.

Und das ist ebenso eine schlechte Nachricht, wie die, dass weder die drei für das beschleunigte Genehmigungsverfahren zuständigen Ministerien, noch der Verband der Exporteure Boliviens, der sonst keine Kosten scheut, um Journalist*innen bei Events in teuren Hotels oder aufwendigen Reisen die Vorteile der Agrarchemie nahezubringen, der Einladung des Verbandes der Biolog*innen zur Fachdebatte gefolgt waren.

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https://blogs.taz.de/latinorama/kann-sich-bayer-monsanto-keine-guten-anwaelte-mehr-leisten/

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