vonMarkus Szaszka 18.09.2018

Der Nirgendsmann

Markus "Nirgendsmann" Szaszka - Streuner und Schriftsteller aus Wien - schreibt über die Herausforderungen unserer Zeit und Romane, die zum Nachdenken anregen. Weitere Informationen: www.grossstadtballaden.com

Mehr über diesen Blog

Neulich, an einem gewöhnlichen Tag, in einer nicht ganz so gewöhnlichen Stadt, auf einem verrückt gewordenen Planeten, zog ein erfrischend gedankenbefreites Individuum unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Wir (mein Nachbar, die “Wieselspinne” Olli, dessen Hund Raudi, meine beste Freundin Nastja und ich) saßen vor einem Spätkauf, irgendwo in Lichtenberg, wo wir uns von einem unserer ausgedehnten Stadtspaziergänge ausruhten. Es fiel ein leichter Regen, aber es war nicht sonderlich kühl und der Gehsteig vor dem Späti war überdacht, also konnten wir trotz des ungemütlichen Wetters prima vorbeilaufende Passanten beobachten.

Nicht weit weg, schräg auf der anderen Straßenseite, befand sich ein Friedhof, der durch eine Backsteinmauer von einem schmalen Seitengässchen abgetrennt wurde. Ein junger, torkelnder Mann, mit kurzgeschorenen Haaren, abgefuckten Plattenbau-Klamotten und nicht mehr allen Zähnen in der oberen Zahnreihe, blieb zwischen zwei niedrigen Gebüschen stehen, um zu pinkeln. Er sah nach rechts und dann nach links, wähnte sich in seinem Suff in Sicherheit und begann in seinem Rucksack zu kramen, während sein Penis auf sich alleine gestellt (auf seine Hose) weiterurinierte.

Nachdem der junge Mann seine Sprühdose gefunden hatte, sprühte dieses Vorzeigeexemplar der Schöpfungskrönung ein Hakenkreuz mit schwarzer Farbe auf die Backsteine vor ihm, beziehungsweise, er versuchte es. Dass der arme Kerl gerade noch gepinkelt hatte, musste er vergessen haben, denn mit heraushängendem Penis benötigte er mehrere Versuche, bevor seine Swastika gelingen wollte. Entweder sah sein Gekritzel einem Hakenkreuz nicht mal im Ansatz ähnlich oder einer der Haken stand in die falsche Richtung oder er malte nur ein Kreuz und vergaß ganz auf die Haken.

Wir fieberten richtig mit, knabberten unsere Chips, tranken unsere Biere und schlossen eine Wette ab, wie oft er brauchen würde, bis er es endlich zusammenbrachte. Ich sagte fünf Mal, Nastja sagte nie, Olli wollte zu ihm hingehen und ihm aufs Maul hauen. Nastja und ich hielten die Wieselspinne zurück, weil die Situation uns amüsierte.

Nachdem der Nazi-Typ sein Werk endlich vollendet hatte, es war der siebente Versuch gewesen, sah er nicht glücklicher als zuvor aus, bemerkte seinen herumbaumelnden Penis wieder, stopfte ihn zurück in seine Hose, schimpfte irgendetwas vor sich hin und torkelte seiner Wege, seinem traurigen und einsamen Restleben entgegen.

»Okay, jetzt darfst du«, sagte ich zu der Wieselspinne.

Olli holte seine handliche Sprühdose mit roter Farbe aus der Innentasche seiner Jeansjacke, lief mit Raudi, den er, wie immer, mit der Leine an seinem Gürtel angebunden hatte, über die Straße zur Mauer mit dem einen geglückten Hakenkreuz drauf, malte einen Kreis rundherum und machte einen Strich durch, wohlgemerkt mit nur einem Versuch.

*

Unlektoriertes Fragment des Tatsachenromans Der Nirgendsmann. Ein Buch über Partys, Smartphones und Nazis.

Bis bald, euer NM.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/nirgendsmann/2018/09/18/nanu-ein-nazi/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert