vonLalon Sander 21.01.2015

Aus dem Onlinebunker

Die tägliche Arbeit im taz.de-Ressort spült Bemerkenswertes, Skurriles und Anregendes in die Inboxen. Das meiste davon geht verloren – einiges wird hier gesammelt.

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Samuel Schirmbeck hat in der FAZ einen sehr lesenswerten Beitrag mit dem Titel “Die Linke im Muff von tausend Jahren” über die Weigerung “der Linken” veröffentlicht, sich der Tatsache zu stellen, dass dschihadistischer Terror seine Wurzeln eben auch im Islam hat, mithin nicht so ohne weiteres von dieser ihm zugrunde liegenden Religion getrennt betrachtet werden könne.

Mit großer Sachkenntnis, einer Fülle anekdotischer Einzelheiten und einem gewissen Furor macht Schirmbeck seine Ausführungen recht plausibel, Freunde und Bekannte teilen den Text auf Facebook und Twitter. Dass er alle Linken in einen Topf wirft: geschenkt. Das ist die FAZ, allzu große Differenzierung muss von dieser Seite nicht unbedingt erwartet werden, die vorgetragenen Argumente können trotzdem bedenkenswert sein.

Einen Beleg für die These, dass “die Linke” sich bis heute dagegen sperre, “die Mauer zwischen Islam und Islamismus” einzureißen findet er in einem taz-Artikel vom November vergangen Jahres:

Als Nikolaus Schneider im November 2014, damals noch Ratspräsident der EKD, von den Islamverbänden eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Ansatzpunkten für die Legitimierung von Gewalt im Koran und in der islamischen Tradition verlangte, ließ die „taz“ ihr schärfstes Fallbeil auf Schneider niedersausen: „Der Stammtisch wird ihm applaudieren.“

Ein Beitrag, der die Frage, in welchem Verhältnis Islam und Islamismus zueinander stehen überhaupt nicht zum Thema hat, ist also Zeugnis der verbohrten Linken. Und nebenbei, wenn Schirmbeck die eher sanfte Rhetorik dieser zugegebenermaßen etwas lauen Mahnung (ich darf das sagen, ich habe sie geschrieben) schon ein Fallbeil ist, dann fragt man sich, wie er zum Beispiel Texte Dxxx Xxxx (Name auf Wunsch des Genannten unkenntlich gemacht) einordnet. Als Wasserstoffbomben eventuell? Alles was in dem Text steht, ist, dass Nikolaus Schneider in seiner Funktion erstens taktisch gut daran täte, genau zu schauen, wer sein Publikum ist, wenn er in Zeiten eines abendländischen Überlegenheitsdiskurses derart operiert und zweitens als Vertreter einer Religionsgemeinschaft die in ihrer Gesamtheit ein, nunja, recht pragmatisches Verhältnis zur Gewalt zeigte und zeigt, eher vor der eigenen Tür kehren sollte.

Das Henkerswerkzeug also fix zurück ins Halfter gesteckt und noch einmal nachgeschaut. Nirgendwo in dem Text gibt es eine wie auch immer geartete Erklärung der Ursachen oder Entschuldigung des islamistischen Terrors. Es geht einzig und allein um die Position des Sprechers, Nikolaus Schneider, und die mögliche Wirkung seiner Worte in unserer Gesellschaft. Dass das so ist, hat einen ganz einfachen Grund: Ich bin kein Experte für Islam und Dschihad, behalte meine Ansichten hierzu für mich, lese und lerne von qualifizierteren Menschen, wie auch Samuel Schirmbeck einer sein mag. Zu Fragen der Kirchen und bestimmter gesellschaftlicher Phänomene in Deutschland hingegen habe ich Ansichten, die ich für entwickelt genug halte, um sie gelegentlich mit dem Ziel aufzuschreiben, in einen Dialog mit Menschen zu treten, die vielleicht anders darüber denken, also an einer Debatte teilzuhaben.

Das funktioniert natürlich nicht, wenn das Gegenüber schon an Thema und Absicht des Textes scheitert oder im Interesse einer kohärent erscheinenden Argumentation scheitern will. Und das ist auch der Moment, um ins Grübeln zu geraten. Was sind denn Absicht und Thema jenes Textes in der FAZ? So informiert und informierend die erzählte Geschichte auch ist, so interessant die Thesen, der Eindruck drängt sich auf, dass es um dreierlei geht. Erstens und deutlich herausgestellt will Schirmbeck belegen, dass der Islamismus untrennbarer Bestandteil des Islam ist. Er führt beeindruckende Belege auf, zitiert Intellektuelle Muslime, argumentiert schlüssig. Guter Stoff zum Nachdenken, Namen die kennenzulernen sich vielleicht als große Bereicherung erweisen wird, für Menschen die eben keine Spezialisten auf dem Gebiet sind.

Zweitens und im Titel angelegt geht es um eine Delegitimierung der Linken. Und zwar aller. Natürlich gibt es die beschriebenen Argumente und Ausflüchte bei Linken. Aber bei allen? Dessen ungeachtet: Wie oben gesagt, darf hier vielleicht nicht allzuviel Differenzierung erwartet werden. Vielleicht sind ja auch wirklich alle Linken so, denen man als Alt-68er in Frankfurt/Main begegnen kann. Das wäre schade, schließlich sind in den vergangenen 40 Jahren noch ein paar neue dazugekommen.

Drittens aber geht es um noch etwas ganz anderes. Dazu benutzt Schirmbeck eben jenen Text, der mit seinem vorgeblichen Thema wirklich nur am Rande zu tun hat. Dann spielt er gewissermaßen in zwei Richtungen gleichzeitig ab. Einerseits ist der Text über Schneider Argument für die Unbelehrbarkeit der Linken, andererseits ist es genau diese unterstellte Unbelehrbarkeit der Linken, die die eigentliche These des Textes, dass es nämlich einem Kirchenvertreter nicht unbedingt zusteht, Vertreter muslimischer Verbände zu belehren, ihrerseits delegitimieren soll. Zirkelschluss. Aber warum?

Warum muss Schirmbeck unbedingt einen vom mächtigen Fallbeil der mächtigen taz niedergestreckten Kirchenfunktionär rehabilitieren? Weil der eine Religion vertritt, die der anderen überlegen, weil friedfertiger ist? Man muss doch nicht die Debatte führen, welche Vertreter organisierten Glaubens nun mehr Recht haben, die anderen anzuprangern. Das stand so deutlich nicht in dem Text vom November, deshalb nochmal zum mitschreiben: Schweigen sollen die! Schweigen und zwar alle. Und beten, dass ihnen an ihrem jüngsten Tag vom jeweils zuständigen Gott nicht allzu viel Blut angerechnet wird.

Eins noch:

An diesem „Stammtisch“ säßen dann auch einige von meinen muslimischen Freunden, wären sie am Leben gelassen worden von der Gewalt im Namen des Islam. Der algerische Schriftsteller Tahar Djaout etwa, der Satiriker Saïd Mekbel, der Arzt Laadi Flici – sie hätten Nikolaus Schneider applaudiert dafür, dass er die zentrale Frage stellte: die nach den Wurzeln der grenzenlos wachsenden Gewalt im Namen des Islam. An diesem Stammtisch säßen nun auch die Ermordeten von „Charlie Hebdo“.

Ich finde es erstaunlich, wie viele Menschen (auch in der taz, ja) glauben, sie wüssten was die Opfer von Paris zu dieser oder jener Sache heute denken würden, welcher Seite sie sich zuschlagen würden und welcher nicht. Ich habe keine Ahnung, denn genauso wenig wie ich Experte für den Dschihad bin, bin ich einer für die Kommunikation mit Toten. Aber eines weiß ich sicher: Wenn diese Toten wirklich auf allen Hochzeiten, auf die sie derzeit eingeladen sind, tanzen würden, es müsste ihnen ganz ordentlich schwindlig werden.

im Bild: Verschneites Kreuz (dpa)

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