vonChristian Ihle 28.07.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Alkaline Trio – Agony and Irony

Alkaline Trio

Wirkliche Innovationen im Bereich des Punkrock erwartet doch wirklich niemand mehr, oder etwa doch? Zu aufgelöst ist der Begriff ohnehin, zu fließend sind die Grenzen zu Emo-Rock auf der einen und Hardcore auf der anderen Seite.

Das wunderbare an Alkaline Trio ist, dass sie schon immer beide Welten vereinen konnten. Auf der einen Seite standen die puristischen Fans, die Alkaline Trio wegen ihrer Morbidität und dem Hang zu handfestem Punkrock liebten. Auf der anderen Seite aber schaffte es die Band um Ober-Depri Matt Skiba auch immer wieder, wirklich jeden Song in einen handfesten Popsong zu verwandeln. “Good Mourning” schaffte das 2003 in Perfektion, seitdem hinken die Drei aus Chicago ihrem eigenen Können ein wenig hinterher.

“Agony & Irony” – übrigens wieder ein (nicht unbedingt lustiges) Wortspiel im Titel – knüpft nun an die alten Tage an, wirft den ganzen überflüssigen Popanz vom Vorgänger-Album “Crimson” über Bord und reißt wieder die drei Akkorde herunter. Zwar bleibt der Sound weiterhin wuchtig und frisch (ein Kurs, den man wohl bei aller Liebe zu den eigenen Wurzeln nicht verlassen wollte), das Songwriting allerdings kehrt zu einer Einfachheit zurück, für die man Alkaline Trio so sehr ins Herz schließen möchte. Der Hit des Albums, “I Found A Way” ist so radikal Pop-Punk-Emo-Herzschmerz, dass man unter normalen Umständen wahrscheinlich Brechreiz bekäme. Hier aber macht es Sinn. Der Rest des Albums: Faust hoch hoch und Brust raus. Muss ja auch mal sein, bei all dem üblichen Indie-Gezicke. “This carrion has been forgotten / Left for dead in the sun rotting / The answer lies here in this tragedy / It ends with you and me”.

Anhören!
*All Skeletons (hier)
*I Found A Way
*Into The Night

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Bowerbirds – Hymns For A Dark Horse

Bowerbirds

Die Bowerbirds pflegen einen gesunden, natürlichen Umgang mit der Natur. Das hört man ihrem Debüt “Hymns For A Dark Horse” auch an. Gottseidank.

Es braucht schon eine große Portion Zynismus, wenn man Devendra Banhart oder Joanna Newsom Freak-Folks nennt, nur weil sie einen ungezwungenen, gerne auch idealisierten Umgang mit der Natur predigen, vorleben und besingen. Diese Form des Zynismus können sich nur unachtsame Menschen leisten. Und wir nehmen einfach mal an, dass ein Großteil der westlichen Welt zu genau dieser Form des Zynismus greift, weil sie sich anders nicht zu helfen weiß. Die Natur, diese Erdverbundenheit, ist für die meisten Menschen nur noch ein Wellnessprodukt, eine schöne Sentimentalität, die man sich leistet, wenn die künstliche Luft im 14. Stock des Bürogebäudes mal wieder eine Frühjahrsgrippe provoziert.

Aber es gibt sie eben doch, auch und gerade im schnelllebigen Musikgeschäft, die so naturverbunden sind, dass alle außenstehenden sie allenfalls noch als Hippies bezeichnen würden. Die Bowerbirds etwa, Nordamerikas Neuentdeckung in Sachen Nu-Folk. Wie eine abgespeckte, verschwurbelte Version von Arcade Fire klingen die drei Künstler aus North Carolina auf ihrem Debüt “Hymns For A Dark Horse” (das bereits 2007 auf Burly Time Recors, dem Labels eines Pitchfork Media Mitbegründers, erschien). Der Opener “Hooves” erinnert an Vetiver, die Stimme an einen weniger depressiven Nick Drake, einen weniger nuschelnden Devendra Banhart. “Back when I was born on a full moon / I nearly split my momma in two” singt Songwriter Beth tacular da, der mit seinem Bandkollegen Phil Moore gerne mal in einem Trailer in den Wäldern North Carolinas haust.

In “In Our Talons”, dem Kernstück des sehr reduzierten, fokussierten Debütalbums, singt Tacular: “We’re only human/ This at least we’ve learned”. Kein Wunder, dass Mountain Goats John Darnielle so darauf abfährt. Die Bowerbirds sind Idealisten, Naturalisten, Esotheriker, Liebhaber, Hippies. All das, was wir nicht sind. Das macht sie vielleicht ein wenig menschlicher als die meisten von uns. Davon, und von viel mehr, erzählt dieses urige Folk-Album.

Anhören!

*In Out Talons (hier)
*Dark Horse
*Olive Hearts (hier)

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She & Him – Volume One

She Him

Bei aller Liebe zu verschlurftem Rock’n Roll und der grassierenden Pipettisierung des Indie-Pop: Zooey Deschanel und M. Ward konnten nicht davon ausgehen, dass “She & Him” wirklich funktionieren würde.

Aber, und das ist die gute Nachricht, es funktioniert tatsächlich – weil es sich seine Kredibilität erhält und nicht viel mehr sein will als ein gut geschriebenes, nostalgisches Sommermärchen voll bitterer Tränen und augenzwinkernder Abschiede. Da ist also zuerst Zooey Deschanel, vielleicht nicht gerade das It-Girl Hollywoods, aber zumindest eine aufstrebende Aktrize. Ihr Charme färbt ab. Sowohl auf der Leinwand – da brauchen einen diese großen Augen nur mal kurz ansehen – als auch auf Platte, wo ihre zuckersüße Stimme niedliche kleine Melodien anstimmt. Zooey, die will man mit nach Hause nehmen. Und behalten.

Zooey

Auf der anderen Seite ist M. Ward, dessen Songwriting das nötige Quäntchen Erfahrung mitbringt. Denn die brauchte Zooey, sonst wäre “Volume One” wohl nicht das possierliche kleine 60s Album geworden, das es nunmal ist. Songs wie “Sentimental Heart” schließen die Lücke zwischen Dusty Springfield und The Buckinghams – sollte es da je eine Lücke gegeben haben.

Aber das ist ja gerade das schöne an den weiteren 11 zeitlosen Songs. Sie müssen gar keine Lücke schließen. Jedes Lamentieren über die Rücksichtslosigkeit, mit der sich Ward und Deschanel durch die 1950er und 1960er Jahre wühlen, wird nämlich in dem Augenblick überflüssig, wo Deschanel “I Should Have Known Better” anstimmt. Nicht nur, dass die Beatles ihre Relevanz niemals verlieren werden – She & Him beweisen damit auch, dass in Zeiten von High-Speed-Flatrates und digitaler Bohème eine (naive) Entschleunigung dringend nötig ist. Ausgerechnet von einer Hollywoodschauspielerin müssen wir uns jetzt wieder das Augenzwinkern beibringen lassen… Hoffentlich kommt “Volume Two” bald.

Anhören!
*I should have known better
*Sentimental heart (hier)

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Alle Texte: Robert Heldner

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