vonChristian Ihle 05.02.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Anlässlich des heutigen Berlinale Starts ein Rückblick auf das letztjährige Festival, der damals in der Zeitschrift “Persona Non Grata” erschienen war:

Die Berlinale, das sind 383 Filme, 1.256 Aufführungen, Goldene Bären, Silberne Bären… und vor allem eine ganze Menge Irrsinn, der zu hinterfragen lohnt.

Ein Filmfestival mit einhergehender Preisverleihung ist ja in mehrerlei Hinsicht fragwürdig. „Regard art critics as useless and dangerous“ hieß es bereits im Manifest der Futuristen, die damals ein Kernproblem ansprachen. Wenn es schon zweifelhaft sein mag, Kunst überhaupt zu rezensieren, zu kritisieren, zu vergleichen, wie unsinnig ist dann auch noch die Zuspitzung in einer Preisverleihung? Nicht nur festzustellen, dieses oder jenes Werk hätte Mängel oder besonders gute Eigenschaften, nein, noch einen Schritt weiterzugehen und ein Werk als das wie auch immer „beste“, den anderen Werken überlegene, herauszustellen.

Hinzu kommen bei einem Filmfestival wie der Berlinale zwei weitere Problemkreise. Erstens ehren Filmfestivals im Gegensatz zu einer Veranstaltung wie den Academy Awards oder den Golden Globes nicht einen „besten Film“ des vergangenen Jahres, sondern eben nur einen Film, der gerade in dieser einen Woche auf eben jenem Filmfestival gezeigt wurde. Von den abertausend Filmen, die jedes Jahr produziert werden, liefen 383 auf der diesjährigen Berlinale. Natürlich kann ein Filmfestival kein Filmjahr in seiner Gänze abbilden und muss es auch gar nicht. Die Momentaufnahme macht lediglich das Prinzip der Preisverleihung fragwürdig.

Dieser kleine Ausschnitt wäre vielleicht sogar noch zu akzeptieren, wenn die Vorauswahl transparent wäre. Doch die ist mindestens genauso stark von kommerziellen Gesichtspunkten beeinflusst wie von künstlerischen. Es ist geradezu ein Hohn, dass ein Konzertmitschnitt der Rolling Stones den Wettbewerb der Berlinale eröffnet und mag er auch noch so oft von Martin Scorsese gedreht worden sein. „Shine A Light“ ist kein Film, „Shine A Light“ ist eine Zugabe zu einer CD, eine uninspirierte Aufbereitung eines Konzerts. Die Einladung von „Shine A Light“ erfolgte nur, um mehr Stars nach Berlin zu locken, auch wenn das dank des großen Oscar-Gewinners Scorsese als Regisseur-Deckmäntelchen die Berlinale-Leitung natürlich so nie zugeben würde. Man darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn die Presse-Berichterstattung zum größten Teil schnöden Gala-„Journalismus“ bietet.

Ein weiteres Problem des Berlinale-Programms liegt darin begründet, dass die drei großen Filmfestivals Venedig, Cannes und Berlin natürlich in jedem Jahr um die einzelnen Filme und die großen Namen kämpfen – und wer sich für das eine Festival entscheidet, kann auf keinem anderen mehr ausgezeichnet werden. Das muss man sich vorstellen wie den war on terror: entweder du bist auf der Berlinale oder du bist gegen sie.

Berlinspezifische Probleme

Darüber hinaus leidet die Berlinale auch an hausgemachten Problemen: nicht nur dass – wie bei Festivals eben üblich – lediglich ein kleiner Ausschnitt eines Filmjahres gezeigt werden kann, nein, die Berlinale verzettelt sich in vielen Unterkategorien von „Wettbewerb“ über „Panorama“ zu „Forum“ (und noch einigen mehr). Siegkandidaten sind dabei aber lediglich die Filme des „Wettbewerbs“. Weniger als 10% der auf der Berlinale gelaufenen Filme haben so überhaupt die Möglichkeit den begehrten Preis mit nach Hause zu nehmen.

Auch das wäre wiederum akzeptabel, sähe man den sogenannten „Wettbewerb“ als die Crème de la Crème des Festivals an, doch spielt auch hier wieder kommerzielles Kalkül mit: die Stars, die doch bitte auf dem roten Teppich flanieren sollen, kommen nur, wenn sie ihre Filme in der Topkategorie „Wettbewerb“ zeigen dürfen. Deshalb ist der „Wettbewerb“ Jahr für Jahr durchsetzt mit Filmen, die große Namen aufweisen können, aber bestenfalls amtliches Hollywood-Kino sind. Ein Beispiel unter mehreren war in diesem Jahr „Die Schwester der Königin“, das mit Scarlett Johansson und Natalie Portman in den Hauptrollen glänzen konnte – aber eben auch nur damit.

Um diese Struktur gänzlich zu pervertieren, lädt die Berlinale auch noch Filme in den zahlenmäßig begrenzten Wettbewerb ein, die „außer Konkurrenz“ laufen, weil sie schon bei einem anderen Festival gezeigt wurden. Als Folge ist die Nominierung für den Wettbewerb vollkommen undurchsichtig, die Zuschauer und selbst die Presse wissen manchmal nicht mehr, wer jetzt überhaupt noch für eine Ehrung in Frage kommt.

Ja, wo laufen sie denn, die guten Filme?

In der Zwischenzeit gilt tatsächlich die Faustregel, dass die eigentliche Nebenreihe „Panorama“ das interessantere, vielfältigere Programm als der „Wettbewerb“ zu bieten hat, dass man die Überraschungen, die kleinen Sensationen dort finden kann, dass hier die Entdeckungen zu sehen sind. Im „Panorama“ kann man die – vermeintliche – Zukunft des Kinos sehen, während der „Wettbewerb“ oftmals nur die Vergangenheit spiegelt und die Nominierung mehr von den Meriten der vorherigen Filme der Darsteller oder Regisseure abhängig gemacht wird als tatsächlich von der Güte des aktuell vorgestellten Films.

Während man in diesem Jahr im Panorama mit „Regarde-Moi“ einen französischen Debütfilm direkt aus den Banlieues sehen konnte, der die Wildheit der Jugend mit dem abgeklärten, vielfach verwobenen Storytelling eines Robert Altman verknüpfte, musste man sich im Wettbewerb durch ein belangloses Starvehikel wie „Fireflies In The Garden“ quälen. Auch die Trash-Avantgarde ist im „Panorama“ zu finden: Bruce La Bruce stellte seinen neuesten Film „Otto; Or Up With Dead People“ vor, der das Genre des Zombie-Gay-Porno neu belebte – aber mit soviel Liebe zu seinen Figuren, dass die Absurditätshöhe der Geschichte kein Problem mehr war. Und wie gerne würde man im vielgerühmten „Wettbewerb“ einmal einen Satz wie „he ist the gay Che Guevara of the dead“ hören?

Noch einen Schritt weiter als das „Panorama“ geht zumeist das „Forum“: hier wird es gerne auch mal richtig experimentell, im schlimmsten Fall sogar holprig. Die Visionen sind aber hier zu sehen, die Filme haben noch Ecken, Kanten, sind sperrig, manchmal schwer verdaulich oder absurd, aber immer wieder interessanter als alle Filme des „Wettbewerbs“. Der japanische Regiealtmeister Koji Wakamatsu war 2008 mit einem dreistündigen Monsterepos über den japanischen Linksterrorismus der 60er und 70er das beste Beispiel. „The Red Army“ war Geschichtsstunde, Kammerspiel und Actionthriller in einem und bewies mehr Wagemut als jeder andere Film auf diesem Festival. Gerade weil der Jury-Präsident in diesem Jahr die Polit-Thriller-Legende Constantin Costa-Gavras war, hätte man sich Wakamatsus „Red Army“ im Wettbewerb gewünscht.

Und trotzdem: die Berlinale hat immer recht

Worin besteht eigentlich der Sinn des Festivals? Doch einmal im Jahr den Scheinwerfer auf die Filmkunst zu richten, den Blockbuster zur No-Go-Area zu erklären und sich der Schönheit des Kinos statt dem Aussehen der Stars zu erfreuen.

So sind all die großen Namen und letzten Endes auch die unsinnige Preisverleihung lediglich als begleitende Marketingmaßnahmen zu sehen, auf dass die Menschen in die dunklen Räume gelockt werden, um sich dort der Kinokunst zu ergeben. Und letzten Endes muss man zugeben: es funktioniert.

Die Berlinale ist das größte Publikumsfestival der Welt und man kann sich nur immer wieder aufs Neue wundern, wie hier selbst sperrige Arthouse-Movies oder kleinste Nischenfilme innerhalb weniger Stunden ausverkauft sind. Ein Berlinale-Film hat noch in der kleinsten Nebenreihe in einer Aufführung mehr Zuschauer als er sonst in einer ganzen Woche, einem ganzen Monat, in die Programmkinos ziehen würde. Und zwar unabhängig davon, ob er am Ende des Festivals einen Preis mit nach Hause nimmt oder nicht. Wo sonst gibt es bei einem praktisch dialogfreien japanischem Avantgarde-Film von 1969, dessen Inhalt sich mit „15 Darsteller, 11 Morde, 4 Vergewaltigungen, 65 Minuten“ zusammen fassen lässt, vollbesetzte Kinosäle?

Christian Ihle

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