vonChristian Ihle 08.10.2009

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Jochen Distelmeyer – Heavyheavy

War Blumfeld nicht immer schon Jochen Distelmeyer mit Begleitband? Oder vielleicht anders formuliert: war Blumfeld nicht spätestens im letzten Jahrzehnt nach vielen Line-Up-Wechseln nur noch Jochen Distelmeyers backing band?
Hört man nun das erste offizielle Soloalbum Distelmeyers so erhärtet sich der Verdacht nur noch mehr. Es ist schwer zu sagen, was Distelmeyer dazu trieb, ausgerechnet jetzt unter seinem eigenen Namen aufzutreten. „Heavy“ ist im Prinzip ununterscheidbar von „Jenseits von Jedem“ oder „Verbotene Früchte“, was aber nichts schlechtes bedeuten muss. Denn selbst wenn die letzten beiden Blumfeld-Platten nicht mehr an vergangene Glanzzeiten anknüpfen konnten, waren sie doch interessante, auf ihre Art gelungene Versuche einen wie auch immer gearteten sophisticated pop in der Tradition von Prefab Sprout und Konsorten für die deutsche Sprache zu etablieren.

So ist Distelmeyers „Wohin mit dem Hass“, der als erster Song des neuen Albums in die Weiten des Internets geschickt wurde, auch eine Nebelkerze. Keineswegs versucht sich Jochen auf Albumlänge an einer Stoner-Rock- und/oder Punkinterpretation seiner Songs wie es Ex-Blumfeld-Bassist Peter Thiessen mit seiner Band Kante bei dem beeindruckenden „Die Tiere sind unruhig“ vormachte. Schon der a capella Opener „Regen“ hätte genauso gut eine Verbotene Frucht sein können und die erste Single „Lass uns Liebe sein“ denkt vor allem die Prefab Sprout – Herangehensweise mit gerade so viel blue eyed soul zu Ende, dass auch noch Paul Wellers linke Poputopie The Style Council wieder in die Erinnerung rückt.

Das Problematische an „Heavy“ ist demnach auch nicht, dass es sich von den späten Blumfeld nicht unterscheiden würde oder dass wir die schweren Gitarren gerne auf Albumlänge ausprobiert sehen möchten, sondern dass insbesondere die erste Hälfte des Album seltsam blutleer, steril klingt. Erst gegen Ende, wenn Distelmeyer alle – wie immer absurden! – Schlagervorwürfe auf dem brillanten Trennungssong „Nur mit dir“ beiseite wischt und damit eine traurige Antwort auf „Ein Lied von zwei Menschen“ von seinem Popmeisterwerk Old Nobody schreibt, gelingt es ihm eine emotionale Tiefe zu transportieren, die in „Lass uns Liebe sein“ nur behauptet wird. Das darauffolgende „Hiob“ mag in Teilen wie eine Coverversion des eigenen „Strobohobo“ klingen, kann aber dank der ungewöhnlich treibenden Instrumentierung ebenso überzeugen wie das zunächst übereinfach wirkende „Murmel“, das – wie auch „Hiob“ – nach „Jenseits von Jedem“ der nächste Versuch Distelmeyers ist, Dylans „Desolation Row“ hierzulande wieder aufzuführen. Doch gerade die völlige Leichtigkeit, die Einfachkeit und die Unangestrengtheit mit der Distelmeyer seine Zeilen auf „Murmel“ („Katrin ruft Diana zum Essen / Robert liegt mit Grippe im Bett / Tom hat seine Schlüssel vergessen / und Julia ist bis Dienstag weg“) von Menschen um uns herum singt, verleihen „Heavy“ eine Unbeschwertheit die das Bemühte der ersten Hälfte des Albums vergessen lässt.

Anhören!
* Murmel
* Hiob
* Nur mit dir

Wohin mit dem Hass:
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=cl486fgmFKo[/youtube]

Im Netz:
* Indiepedia
* Homepage
* MySpace

The Heavy – The House That Dirt Built

heavy

Von „Heavy“ zu The Heavy – diese dellingesque Überleitung kann bei der Steilvorlage, die der Veröffentlichungskalender in diesem Monat bietet, natürlich nicht ausgelassen werden!
The Heavy sind eine britische Indierock-Band, die sich eine möglichst naturgetreue Wiederbelebung des romping-stomping-Soul der 60er und frühen 70er zum Ziel gesetzt haben. Auf „The House That Dirt Built“ fließt neben den Stax-Vorlieben aber auch eine ganze Menge an Schock-Rock und rauem, ungeschönten R&B (oder Garagen-Rock, ganz wie man mag) ein. Das sehr eklektizistische Vorgehen hat dabei Vor- und Nachteile: einerseits ist es natürlich sehr abwechslungsreich innerhalb weniger Songs von Screaming Lord Sutch über Smokey Robinson zu Ennio Morricone zu gelangen, andererseits wird spätestens wenn die ersten Reggae-Klänge („Cause For Alarm“) auch noch in den Sound der Band eingebaut werden die Stilvielfalt etwas zu groß. Dennoch: da immer noch zu wenige Menschen das großartige „I Put A Spell On You“ von Screamin Jay Hawkins kennen, kann das Quasi-Cover „Sixteen“ natürlich nicht verkehrt sein.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=yfB_sT3mHHo[/youtube]
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Anhören!
* Oh no! Not you again!
* How do you like me now
* Sixteen

Im Netz:
* MySpace
* Wikipedia

Texte: Christian Ihle

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