vonChristian Ihle 16.08.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Tag Zwei der großen Reunion-Schlacht. Während gestern Iggy & The Stooges begeisterten und wir gespannt auf den morgigen Auftritt der Specials warten, sind Pavement der heutige Headliner. Nach dem fabelhaften, in jeder Hinsicht perfekten Konzert in Berlin vor einigen Wochen sind des Popblogs Erwartungen immens und zunächst gelingt es Stephen Malkmus und Co. auch, diese zu erfüllen. Denn gerade die Gleichzeitigkeit von unbedingter Einforderung der verdienten Verehrung und der Verweigerungshaltung eines Starkults macht Malkmus immer noch zu einen der beeindruckendsten Frontmänner im Indierock. Im typisch-sarkastischen Understatement stellt Malkmus dann auch seine Band vor: „We’re Pavement from… the 90ies“. Doch scheinen die ungewohnten Wochen des Zusammentourens ihren Tribut zu fordern. Im Gegensatz zu Berlin erweist sich gerade Malkmus als noch grummeliger als gewohnt, unzufrieden mit dem Sound, bisweilen lustlos, was darin gipfelt, dass er zehn Minuten vor Ende des Konzerts von der Bühne will und offensichtlich darauf hingewiesen werden muss, dass die vereinbarte Spielzeit noch nicht absolviert ist. Insbesondere das Abspulen der Hits scheint Malkmus und Pavement an diesem Abend gehörig auf die Nerven zu gehen. Wirkt die Band absolut bei sich, wenn sie sich in ihren längeren Stücken Richtung Jam bewegen, so können sie die Abneigung, nun doch am Ende noch „Cut Your Hair“ spielen zu müssen, kaum verbergen. Das norwegische Publikum ist trotzdem begeistert, aber seine adoleszenzprägenden Helden bekommt man ja nicht alle Tage zu Gesicht.

A propos: auch der grumpy old man of Electro-Post-Punk der Noughties, James Murphy von LCD Soundsystem, ist ja bekannt dafür, in erster Linie Produzent, DJ und Nerd zu sein, sich aber in der Frontmann-Rolle auf der großen Rockbühne eher deplatziert zu fühlen. Umso erstaunlicher, dass Murphy bester Laune scheint und bereits nach einer Viertelstunde – offensichtlich zu seiner eigenen Verwunderung – dem Publikum ein unsarkastisches „hey, just three songs in and this is really fun!“ entgegenschleudert. LCD Soundsystem spielen in der Folge ein phänomenales Set, das in einem wahnsinnigen „Yeah“ gipfelt. Wie gut LCD Soundsystem nach nur drei Alben bereits geworden sind, wird klar, wenn man bedenkt, dass ihnen ein derart begeisternder Auftritt möglich ist und sie dennoch auf „New York I Love You“, „Losing My Edge“ oder „North American Scum“ verzichten können. Yeah! Yeah! Yeah! I Love You.

LCD SS

Im Gegensatz zu Murphy kommt ein anderer Produzentengott der jüngeren Vergangenheit bei seinem Auftritt mit Broken Bells, dem Gemeinschaftsprojekt von eben Danger Mouse und dem The-Shins-Sänger, nie über „nett“ hinaus. Bedenklich beinahe, dass der beste Song des Abends (“Insane Lullaby”) nicht einmal unter dem Broken Bells – Banner erschienen war, sondern von Danger Mouse gemeinsam mit Mark Linkous (Sparklehorse) für das David-Lynch-Projekt „Dark Night Of The Soul“ geschrieben wurde. Besser machen das schon Surfer Blood, deren großer Hit „Swim“ zwar die Cheap-Trick-Gitarren auffährt, aber damit nur auf die falsche Fährte lockt. Das weitere Set spielt sich viel eher in einem positiv entspannten, wunderbar fließenden Rhythmus ab und benötigt die clever eingesetzten Stadionrockgitarren von „Swim“ in keiner Sekunde. Auch jederzeit auf dem Sprung in Richtung Stadionrock scheinen die alten Punks von Against Me! zu sein – was auch daran liegen mag, dass die gestern bereits auf der Hauptbühne begeisternden Gaslight Anthem seit geraumer Zeit der natürliche Vergleichsmaßstab für Against Me! sind. Beide Bands spielen der working class verhafteteten Pathos-Punk, doch Gaslight Anthem haben das konzisere Songwriting, das ihnen ermöglicht, die Drei-Minuten-Hits für das Stadionrund abzufeuern, während Against Me! dank stärker Pathos-Polit-Punk-Tendenz zu oft mit gestreckter Faust auf der Bühne stehen, während sie vergessen, dass der eine oder andere Tempowechsel innerhalb eines Sets doch auch ganz knorke wäre. Gut, solide, aber wohl doch besser in stickigen Clubs aufgehoben.

Stickige Clubs! Welch ein Stichwort! Denn abends legt Grandmaster Flash in einem heillos überfüllten Club im 13. Stockwerk der norwegischen Arbeiterpartei auf. Zwar mag Grandmaster Flash so up-do-date sein wie die offensichtlich mit WordArt irgendwann Mitte der 90er erzeugten „Visuals“ hinter ihm, aber weiß einer wie er, wie man eine „Crowd workt“? Aber hallo. Subtilität ist dabei nicht sein zweiter Name und bei einem Set so unsophisticated hätte man ihn in Berlin mit Mistgabeln vom DJ-Pult gejagt, andererseits jedoch: wer es vor Norwegens hipstem Publikum schafft, Ekstase mit einer Abfolge aus „Let’s Dance“, „Another One Bites The Dust“, „Smells Like Teen Spirit“, „Song 2“, „Seven Nation Army“ und „Still DRE“ zu erzeugen, über was soll man da noch diskutieren? So bleibt als Fazit: werde ich jemals als kalifornische Millionärstochter wiedergeboren, legt Grandmaster Flash aber sowas von an meinem 16. Geburtstag auf!

(Text: Christian Ihle, Fotos: Amund Ostbye, Julie Loen, Isak Frøseth, Amund Ostbye)


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