vonChristian Ihle 06.03.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Fidlar – FIDLAR





Wenn das Tracklisting eines Albums mit “Cheap Beers” beginnt, über “Wake Bake Skate” weitergeht und letztlich mit “Cocaine” endet sowie in einem seiner größten Hits den Refrain mit der Zeile “I feel like a crackhead” schmückt, dann bedeutet das: wir stehen knietief im adoleszenten Punksumpf!

Fidlar (was, natürlich, ein Akronym für das schöne Life-Fast-Die-Young-Mantra “Fuck it Dog, life’s a risk” ist) könnten nun die stumpfesten Brüder unter der Sonne sein, die je auf einem Skateboard eine Gitarre in der Hand gehalten haben, aber au contraire! Diese Gruppe Misfits aus Los Angeles versteckt hinter ihrer Sex & Drugs & Drugs & Drugs & Drugs & Rock & Roll – Attitude ein cleveres Songwriting, das sich aus verblüffend vielen Quellen speist. Mitnichten ist das einfach 1-2-3-4-Punk, der hier runtergeholzt wird als gäbe es nur drei Akkorde, ein Hallelujah und zwei Töne, sondern ein schön eklektizistischer Ansatz, alles, was in den letzten 50 Jahren in den Garagen dieser Welt zu Rock verarbeitet wurde, auf ein einziges Album zu pressen. Das fängt mit den Rockabilly-Gitarren in den ersten Sekunden des Album-Openers “Cheap Beers” an, die an The Clashs “Brand New Cadillac” von 1980 erinnern (was selbst wiederum nur ein Cover des 1959er Rocknroll-Songs von Vince Tayler war), geht über Surfgitarren in, ja, “Max Can’t Surf” weiter, die die Barracudas in den frühen 80ern augenzwinkernd geschrieben hätten, hat durchwegs den Modern-Lovers-Hut auf, schrammelt sich durch Countryrock in “Gimme Something” oder tritt in “No Waves” die Lo-Fi-Noise-Nachfolge von, ja, Wavves an. Ein Höllenritt, ein Höllenspaß. Legt die Platte auf, stecht die Bierdose an und spritzt die Bourgeosie nass! Yeah. (8 von 10)


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=uwcE8AQHEfs[/youtube]


Anhören:
* Wake Bake Skate
* No Waves
* Max Can’t Surf


Anika – ANIKA EP


anika


Bemerkenswert, dass manchmal die verstörendsten Un-Stimmen sich dem Konzept “Schönheit” noch am ehesten nähern können. Nico konnte sicher nicht singen wie Mariah Carey, aber dennoch sind ihre Einsätze auf dem Velvet Underground – Debüt von solch einer bizarren, andersweltlichen, aus Ermangelung eines besseren Wortes eben: Schönheit, dass einen all die perfekt geschulten Sängerinnen kalt lassen, hat man einmal Nico gehört. Die Wahlberlinerin Anika gehört ohne Zweifel in das Nico-Camp und treibt dieses Spiel noch eine Ecke weiter, sind die meisten ihrer Songs doch Coverversionen durchaus harmonieseliger Originalsongs. Auf dieser EP, die zum Teil aus Songs ihres 2010er Albums besteht, covert sie beispielsweise “He Hit Me” der Crystals, zersingt aber dieses Melodienwunder aus der Phil-Spector-Fabrik in die völlige Dekonstruktion. Dekonstruktion ist sowieso Leitmotiv dieser EP, ist die zweite Hälfte mit Dub-Songs doch noch stärker skeletar und schreibt, um wieder auf eingangs erwähnte Velvet Underground & Nico – Platte von 1967 zurückzukommen, diese Idee des VU-Debüts mit den Tönen des zerfallenden New Yorks 15 Jahre später fort: Anika im Dub-Modus ist eine Downtown 81 – Version der Velvets.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=jP0-OOvJLDk[/youtube]


Dieses seltsame Amalgam aus chansonesquen Industrialcoverversionen von Girlgroup-Hits und Postpunk-Funk aus einer zerfallenden Metropole hat Geoff Barrow von Portishead (und Beak>) so wunderbar auf den Punkt produziert, dass Anikas Songs eine kühle Schönheit erlangen, dank der all dieser Dekonstruktionsirrsinn ein pochendes Herz besitzt. Nirgendwo mehr als im phänomenalen Song “I Go To Sleep”:


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=m0UAqJWzsZE[/youtube]


Eine der besten EPs des Jahres. (9 von 10)


Anhören:
* I Go To Sleep
* He Hit Me
* In The City

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