vonChristian Ihle 18.07.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Als die Pet Shop Boys im letzten Jahr das überaus ruhige und leider auch äußerst durchschnittliche „Elysium“ veröffentlichten, hatte man ein wenig Angst, dass entweder ein Abschied für das wohl dienstälteste Disco-Duo der Welt anstände oder dass zumindest die Zeit des Alterswerks begänne, die Ära der kontemplativen Platten, die nicht mal mehr traurig auf den Dancefloor blicken, sondern vor dem Kamin von früher erzählen wollen.


Aber wie man sich täuschen kann, ist doch das flugs danach veröffentlichte „Electric“ gleichzeitig Neubeginn wie Rückkehr zu ihren Wurzeln. Für das erste Album auf dem eigenen Label x2 haben sich die Pet Shop Boys ein Statement aus Beats, Wucht und lauter Affirmation der Clubkultur zurechtgelegt, das man so wirklich nicht erwarten konnte. Mitnichten ist „Electric“ eines der beliebten Zwischenalben der Pet Shop Boys, die unter dem Titel „Disco“ immer wieder Remixe und Club-Tracks versammelten, die nicht in den Kontext des Mutteralbums gepasst hätten, sondern ein durch und durch eigenständiges Werk, das das betuliche Vorgängeralbum aus dem Wasser bläst. “Electric” ist beinah eine Unverschämtheit jugendlichen Übermuts, wenn man bedenkt, dass es von Ü50-Typen geschrieben wurde, die bereits Menschen zum Tanzen brachten, als Margaret Thatcher, Helmut Kohl und Ronald Reagan die Welt regierten – und Gorbatschow noch nicht einmal im Amt war.


[vimeo]http://vimeo.com/68920186[/vimeo]


„Electric“ ist bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich mit dem Willen zur unbedingten Dancefloor-Tauglichkeit geschrieben, so sehr, dass selbst die größte Stärke der Pet Shop Boys, Neil Tennants weise, clevere Texte nur eine Nebenrolle spielen und so der Sound in den Vordergrund tritt, der wohl eher Keyboarder Chris Lowe und Produzent Stuart Price (ehemals Zoot Woman) zuzuschreiben ist.

Dennoch ist ein klassischer Pet-Shop-Boys-Song der große Höhepunkt des Albums: „Love Is A Bourgeois Construct“ beginnt wie Rondo Veneziano, bringt die alten Go-West-Männerchöre ins Spiel, gibt dem Autotune-Effekt seine Berechtigung zurück und erzählt über diesem irrwitzigen Musikbett die Geschichte eines Mannes, der die Trennung von seiner Frau aus Selbstschutz als philosophische Befreiung umdeutet („When you walked out you did me a favor / It’s absolutely clear to me / That love is a bourgeois construct / Just like they said at university“), wieder Karl Marx liest und in „Searching for the soul of England / Drinking tea like Tony Benn“ anderen Ablenkungen frönt, nur um im letzten Satz des Songs alles wieder ad absurdum zu führen: “I’ve given up the bourgeoisie / Until you come back to me”. Wenn Historiker mal ein Paradebeispiel für Neil Tennants Art zu texten suchen, mit „Love Is A Bourgeois Construct“ hätten sie es gefunden.


Bei Tape TV anhören

Neben diesem großen Höhepunkt hält „Electric“ noch ein verblüffendes Bruce-Springsteen-Cover, einen bizarren Gastauftritt von Example und eine Ode an die Clubkultur bereit, so dass am Ende eines Albums ohne Fehltritt nur Begeisterung und Erstaunen über die Fähigkeit der Pet Shop Boys bleibt, sich ständig neu zu erfinden und auch mit 50+ im Pop zu bleiben statt sich der Retrospektive zu ergeben.
Pet Shop Boys will never dead.

8/10

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