vonChristian Ihle 17.10.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Der Film in einem Satz:


Außenseiterballaden aus deutschen Landen.


2. Darum geht‘s:


Außenseiter, wohin man blickt: da ist der Fußmasseur, der die abgeschmirgelte Fußhaut seiner Kunden in Kekse einbackt, der Polizist mit Furry-Fetisch, die Dokufilm-Regisseurin auf der vergeblichen Suche nach Authentizität, die Jugendlichen ohne Orientierung und die Familie mit Geld, aber ohne Liebe.

Frauke Finsterwalders Debütspielfilm ist ein erstaunliches Stück Kino. Abgeklärt, souverän und liebevoll zeigt sie ihre Figuren auf der Suche nach etwas Zuneigung, ohne sich dabei dem Kitsch anzunähern – auch weil das gemeinsam mit Christian Kracht geschriebene Drehbuch pointierte Dialoge en masse bietet.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=quokQw20VJk[/youtube]


Die Suche nach Zuneigung verbergen die Figuren hinter Egozentrik, Selbsthass und deutschen Befindlichkeiten, die deutlich ausdiskutiert werden und für mehr als eine tätowiergute Stelle sorgen. Es ist eine verkorkste Welt, die Deutschland diesen Figuren bietet – und die Charaktere zögern nicht, eine Breitseite nach der anderen gegen das Deutschsein abzufeuern: von behämmerten Volksliedern (viele) zu Naziautos (alle), von individueller zu kollektiver Schuld.

Letzten Endes verhindert die Episodenhaftigkeit der Struktur, das Flüchtige, einen stärkeren emotionalen Eindruck. So bleibt Finsterworld dann doch “nur” eine Sammlung von toll geschriebenen und durch die Bank sehr gut gespielten Einblicken in fremde Leben und löst nicht ganz den Anspruch ein, ein Bild davon zu zeichnen, was es heißt, in Deutschland einsam zu sein.
Andererseits ist bei dieser Sammlung lose verbundener Kurzgeschichten jede für sich genommen gelungen und tatsächlich, wie der Kultur Spiegel ganz richtig schrieb, ziemlich singulär im deutschen Film. Wenn man überhaupt nach einem Vergleich suchen mag, fällt Ulrich Seidl in seinen warmherzigeren Momenten oder Todd Solondz’ Filme ein, die ja im Grundsatz auch immer Kurzgeschichtensammlung über dysfunktionales Leben waren.

Ein vielversprechendes Debüt und tatsächlich einer der besten heimischen Filme des Jahres.



3. Der beste Moment:


Die Autofahrt, während der ein snobbistisches Pärchen die Verkommenheit Deutschlands beklagt.



4. Diese Menschen mögen diesen Film:


Wer einen warmherzigen Film von Ulrich Seidl sehen möchte oder eine deutsche Variante von Todd Solondz’ “Happiness”.


* Regie: Frauke Finsterwalder / Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht
* imdb

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