vonChristian Ihle 19.11.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Der Intro-Autor Felix Scharlau hat seinen Debütroman veröffentlicht. Dabei erzählt er aus einer schwäbischen Dorfjugend Anfang der 90er Jahre und dem großen Ziel des Protagonisten, Weltrekord-DJ zu werden – und zwar indem seine Hauptfigur versucht, 501 Stunden am Stück Musik aufzulegen.

Bei allem drogeninduzierten Albernheiten im Verlauf dieser Marathonaufgabe gelingt Scharlau dabei etwas überraschendes: ein tatsächlich berührendes Ende für seine DJ-Fantasie zu finden.


[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=Y1c84ei4hUc[/youtube]


Wir freuen uns hier einen Auszug aus “501” veröffentlichen zu können – Jan, der Weltrekord-DJ, begibt sich mit Ellie, einer früheren Weltrekord-DJane, und ihren Kumpels zum Bizarre Festival. Eine Karte haben sie nicht, aber dafür eine Idee, wie sie dennoch aufs Festival kommen können:



Fünfzehn Minuten später war es soweit. Mit der einzigen Bizarre-Eintrittskarte der Gruppe näherte ich mich dem Stadion-Eingang. Große, verschiebbare Metallgitter verpassten der Menschenmasse hier die Form eines langen Trichters aus Fleisch. An seinem Ende befanden sich drei Kontrollschleusen, die von jeweils zwei Festivalmitarbeitern betreut wurden. Je näher ich dem Stadion kam, desto stärker roch es nach Schweiß, Alkohol, Wurstgrill und nicht zuletzt: Urin.

Direkt vor dem Einlass ging es nur noch langsam voran. Es war schon wieder brütend heiß. Ein Typ mit pfälzischem Dialekt erzählte seinen Freunden laut blökend einen schlechten Badesalz-Witz. Nicht zum Aushalten.

Aber bald muss ich solche Demütigungen nicht mehr erleben, wenn mit meinem Rekord in einem Monat alles klappt. Sobald
man berühmt ist, bekommt man sicher einen Extra-Eingang auf Festivals. Dann wird man in einer Limo bis direkt hinter die Bühne kutschiert. Klasse.

Ich drehte den Kopf und entdeckte Ellie und die drei anderen ein Stück hinter mir. Ellie sah starr durch mich hindurch. Sie wirkte konzentriert und ein bisschen nervös. Süß.

Bald bestand die Schlange für mich nur noch aus zwei jugendlichen Mädchen um die siebzehn. Die beiden Bizarre-
Helfer durchsuchten ihre Taschen. Von hinten wurde wie verrückt geschoben, weil es allen zu langsam ging. Ständig schrie irgendwer wütend. Andere johlten und schoben noch fester. So ausgelassen hatte ich mir das immer vorgestellt, kurz vor einer Massenpanik mit zweihundert Toten.

Ellie und ihre Freunde waren jetzt direkt hinter mir. Sie schirmten die Masse ab, so dass ich ganz alleine wie auf einer kleinen Insel im Menschenmeer stand. Es war soweit.

„Jetzt!“, zischte Ellie. Als einer der Kontrolleure die beiden Mädchen durch die mittlere Schleuse ließ und mich zu sich nickte, verdrehte ich die Augen und ließ mich in den Staub fallen. Dann regte ich mich nicht mehr.

„Hey, was soll das? Steh auf!“, rief einer der Ordner genervt.

„Hä? Guck mal, was ist denn mit dem da?“, drang es von weiter weg herüber.

„Ich glaube, der ist ohnmächtig! Oh, mein Gott! Wir brauchen Hilfe! Hiiiiilfe!“, brüllte jetzt Streusel von hinten.

Als sich beide Bizarre-Ordner besorgt von ihrem Einlass wegbewegten und sich zu mir beugten, ergriffen Ellie, Michael, Rage und Streusel ihre Chance. Ich hörte, wie sie los rannten. Bald spürte ich es auch, irgendwer trat mir auf den Unterarm.

„Bestimmt Michael“, zuckte es mir durch den Kopf.

Ansonsten lief alles reibungslos. Na ja, beinahe. Einer der Ordner wurde von Rages Dampfwalzen-Körper gegen die Absperrung geschleudert. Fast so, als wollte sich der dicke Antikapitalist bei einem US-College um ein Football-Stipendium bewerben. Seine Bewegungen, die ich von unten beobachtete, wirkten total routiniert. Der arme Ordner-Typ war garantiert nicht das erste Opfer der Hooligans aus Bad Münstereifel.

Dem Geschrei zufolge räumten meine neuen Bekannten in der Folge noch weitere Unschuldige aus dem Weg. Wie zuvor besprochen, sollten sie nach Erreichen des heiligen Festivallands sofort wie Hasen nach allen Seiten rennen und in der Menge untertauchen.

Irgendwann war von ihnen nichts mehr zu hören. Ellie und ihre Freunde waren drin.

Nach einer Schrecksekunde spendeten die Festivalfans hinter mir Szenenapplaus. Der Gewaltakt war scheinbar eine schöne Abwechslung zum angetrunkenen Warten in der Schlange. Das erste Highlight des Wochenendes lag hinter ihnen.

Irgendwer half mir auf und führte mich durch einen Mitarbeitereingang aufs Gelände. Immer noch tat ich so, als
sei ich halb ohnmächtig. Das Sanitätszelt, in das ich geschoben wurde, damit man mir was für meinen Kreislauf gab, wirkte um diese Zeit noch jungfräulich. Zwei Zivis saßen auf zwei Feldbetten und spielten gelangweilt Oma-Skat.

Zwanzig Minuten später stand ich endlich auf dem Festivalgelände und hörte aus der Ferne die letzten Takte von The Dubrovniks. Verschwitzt und staubig lief ich zum ausgemachten Treffpunkt. Ich schämte mich.

„Klasse Job, Jan. Well done“, lobte Streusel, als ich zur Gruppe stieß.

„Ja, cool“, presste auch Michael hervor. Eine Marlboro hing James-Dean-mäßig in seinem Mundwinkel wie ein abgestorbener Ast.

„Cool? Das war doch totale Kacke von euch!“, regte ich mich auf. „Den unschuldigen Typen so umzunieten. Und welcher Arsch ist mir auf den Arm getreten?“

Der dicke Rage schwieg und glotzte auf die zum Schutz des Stadionrasens verlegten Abdeckplatten aus Hartgummi. So als hätte er ausgerechnet jetzt sein Feuerzeug verloren.

„Reg dich ab“, sagte Michael. „Das hat der Typ längst wieder vergessen. Der Laden hier macht locker Millionen an diesem Wochenende. Ist denen doch egal, ob wir hier gratis feiern. Bier trinken? Da vorne ist ein Stand.“

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um und stapfte los. Ich hielt Ellie am Arm.

„Jetzt aber echt, Ellie, was soll denn der ganze Scheiß?“

„Okay, Jan. Ja, lief nicht ideal. Aber wir meinen das ja nicht böse. Hauptsache, wir sind alle drin. Was willst du denn nachher gucken? Stereo MCs? Pixies? Bad Religion?“

„Und dein Freund“, fuhr ich unbeirrt fort, „ich meine, ist ja egal, aber der hat ja wohl echt ein Problem mit mir.“

„Freund?“, lachte Ellie, „Haha, nee, der ist nicht mein Freund. Nur ein Kumpel.“

„Hä? Ich dachte, das sei der, der für dich Feuerwerk gemacht hat nach deinem Rekord.“

Ellie sah mich ernst an.

„Den gibt es nicht mehr. Aber das geht dich einen Scheißdreck an.“

Ich schluckte. Offenbar ging bei Ellie niemanden irgendetwas an. Aber die angespannte Stimmung währte nur kurz. Beendet wurde sie durch den besten Satz, den es für solche Anlässe gibt. Ellie strich lächelnd über meine Schulter, als wolle sie mitsamt der schlechten Stimmung auch eine Schmeißfliege vertreiben. Verschwörerisch flüsterte sie:

„Komm, Jan. Lass uns endlich saufen gehen!“



Der Roman “Fünfhunderteins” von Felix Scharlau ist bereits im Unsichtbar Verlag erschienen:


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