vonChristian Ihle 10.12.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Gestern abend bin ich über ein bemerkenswertes Interview mit Thomas Bernhard gestolpert, das 1979 in der ZEIT erschienen war. Ein irres Gespräch, das man so heutzutage kaum noch in einer Zeitung lesen würde. Natürlich auch weil es keinen Schriftsteller wie Bernhard mehr gibt, aber ebenso ungewöhnlich ist auch das Insistieren des ZEIT-Journalisten André Müller auf eher unangenehmen Themen ob und wann Bernhard nun Selbstmord begehen würde.

Das ganze Interview ist selbstredend lesenswert, hier einige Ausschnitte:

ZEIT: Denken Sie noch immer daran, sich umzubringen?

BERNHARD: Der Gedanke ist immer da. Aber ich hab’ nicht die Absicht, jedenfalls jetzt nicht.

Warum nicht?

BERNHARD: Ich glaub’, aus Neugier, reiner Neugier. Mich hält, glaub’ ich, nur die Neugier am Leben.

Wieso „nur“? Andere sind nicht einmal neugierig und leben trotzdem.

BERNHARD: Ich bin ja nicht gegen das Leben.

Trotzdem gibt es Leute, die Ihre Bücher als Anstiftung zum Selbstmord auffassen.

BERNHARD: Ja, aber es befolgt es ja keiner. (…)

Ich merke schon, über Selbstmord können wir nicht mehr reden.

BERNHARD: Ist ja auch gar nicht nötig, Wenn Sie sich umgebracht haben, schreiben Sie mir.

Ich bringe mich ja nicht um. Das ist es ja, was ich Ihnen die ganze Zeit klarmachen möchte.

BERNHARD: Na, das kann man nicht sagen. Ich hab’ einen Freund gehabt, mit dem war ich ein Achtel Wein trinken, das war ein völlig kleinbürgerlicher Typus, der ganz liebe Gedichterln geschrieben hat und fürchterliche Prosa und dumm war, wie es Kleinbürger halt sind, und drei Frauen gehabt hat und von jeder zwei Kinder, und sich mit dem dicken Bauch und einem Kaufhausanzug ganz wohl gefühlt hat, der ist nach Hause gegangen, hat das Dirndlgewand seiner Frau angezogen, sich den Busen ausg’stopft und sich an der Tür aufgehängt in diesem Aufzug, ein Mensch, der ungefähr 45 Jahre alt war und nie eine Spur von Lebensüberdruß gezeigt hat. (…)

Sie haben gesagt, Sie wollten schon immer anders sein als die andern.

BERNHARD: Das will doch jeder.

Ich nicht. Wenn man ohnehin schon herausfällt aus dem Normalen, wünscht man doch eher, unterzutauchen.

BERNHARD: Na schön, damit kein Mißverständnis entsteht… Das muß man genau untersuchen. Das hat sicher zwei Seiten. Jemand, der sowieso schon zum Ausgefallenen neigt, wird letzten Endes immer versuchen, sich zu verstecken. Er will so reden und so fressen und so simpel sein wie die andern. Das wollte ich auch, als ich hierherkam. Ich hab’ gedacht, ich werd’ mir zwei Kühe halten und in den Stall gehen und melken und werd’ mir Gummistiefel anziehn und eine Schlosserhose, möglichst verdreckt, möglichst stinkert und speckig, und werd’ mich acht Wochen nicht waschen, damit ich möglichst so ausschau’ wie die Leut’ hier. Aber das geht nicht, das gelingt nicht, weil man das bewußt nicht herstellen kann.

Haben Sie es versucht?

BERNHARD: Ich hab’ das alles versucht, bis ich gemerkt hab’, in der Richtung kann ich nur Zeit verlieren. Man muß den ausgefallenen Weg gehen mit allen exzentrischen, brutalen, scheußlichen, verklemmten, verqueren Dingen, die in einem, in Ihnen, in allen drin sind. Man kann nicht untertauchen unter hundert Hubertusmäntel und mitlachen am Stammtisch und die höchste Befriedigung in einer gelungenen Nudelsuppe am Sonntagvormittag sehen oder in einer Obsttorte zu Ostern, das geht nicht. Man ist anders, man will es nicht sein, abgesehen davon, daß von jenen, die von uns aus betrachtet alle gleich sind, ja auch jeder wieder ein anderer ist, aber es läßt sich trotzdem mit dem Nudelwalker darüberfahren. (…)

Ich kenne niemanden, mit dem ich wirklich länger Zusammensein möchte und könnte. Also eine Dauer wäre unmöglich. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, daß jemand zwei Tage und Nächte bei mir im Haus wohnt, ganz wurscht, wer das ist, außer meiner Tante, die ist 85, aber das ist auch nur unter gewissen Umständen möglich, also auch schwierig, aber halt ins Groteske gesteigert und dadurch erträglich. Aber länger als eine Woche geht auch das nicht. Aber natürlich hat man dann manchmal doch das Bedürfnis, und dann sind die Leute, mit denen man könnte, in Brüssel oder Wien oder Zürich oder sonstwo, das ist halt schwierig. Ich müßte in eine Stadt ziehen, aber das kann ich mir aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten, weil ich in der Stadt einfach eingehen würde. Ich bin ja an sich gar kein Landmensch. Die Natur interessiert mich überhaupt nicht, weder die Pflanzen noch die Vögerl, weil ich die sowieso nicht unterscheiden kann voneinander und noch heute nicht weiß, wie eine Amsel ausschaut. Aber ich weiß halt genau? ich kann mit meinen Bronchien in der Stadt auf die Dauer nicht leben. Ich werd jetzt auch im Winter den Hof mcht mehr verlassen, weil ich mich halben umbringe, wenn ich in der Stadt bin. Es gibt ja nur diese zwei Möglichkeiten: Entweder man ist in der Stadt, wo es interessant ist, aber da geh’ ich zugrunde, oder man hat einen Menschen, aber der geht einem halt mit der Zeit auf die Nerven. Da wird man halt nie eine Lösung finden.

In Ihrem Buch „Der Stimmenimitator“, gibt: es eine Stelle, in der Sie den Leser mehr oder weniger zur Ermordung sämtlicher mitteleuropäischer Staatspräsidenten auffordern. Wäre das nicht in einem belletristischen Verlag unter dem Deckmantel der Kunst, sondern in einer politischen Zeitschrift erschienen, hatten, Sie jetzt, ein Verfahren als Sympathisant auf dem Hals…

BERNHARD: Ich bin ja Sympathisant, nur ich weiß nicht, für was.

Ich meine: Sie können heute sagen, was Sie wollen, es wird gedruckt, und es wird keinen erschrecken.

BERNHARD: Das weiß ich nicht. Ich hab’ zum Beispiel der ZEIT einen Brief geschrieben, das ist jetzt ungefähr drei Monate her, so eine spontane Sache gegen den Kreisky. Das haben die fünf Wochen liegen lassen, und dann haben sie mir geschrieben, sie hätten es irgendwohin weitergeleitet, und dort ist es dann in der Versenkung verschwunden. So was macht man nicht einmal mit der Frau Hintermüller. Ich will damit nur sagen, daß ich genauso wie jeder andere Machenschaften und Zufälligkeiten ausgesetzt bin. Wenn diese Leute nicht wollen, daß an dem Kreisky was angekratzt wird, weil der dort sehr beliebt ist, und sie ihm als einen tollen Burschen anschauen, dann nützt es auch nichts, wenn ich das auf meine ironische Art formuliere, dann wird es halt nicht gedruckt.

Haben Sie sich denn noch weiter dafür eingesetzt, daß es gedruckt wird? Haben Sie dafür gekämpft?

BERNHARD: Das wär’ ja ganz blöd, gegen die Redaktion der ZEIT kämpfen zu wollen, wo doch nur lauter freundliche Opportunisten sitzen. Das hätte doch gar keinen Sinn.

Wer bleibt denn da überhaupt übrig, den Sie nicht für einen Idioten halten?

BERNHARD: Na keiner, das ist es ja eben. (…)

Ist Schreiben nicht immer auch ein Kontaktversuch?

BERNHARD: Ich will ja gar keinen Kontakt. Wann hab’ ich jemals einen Kontakt wollen? Im Gegenteil, ich hab es immer abgelehnt, wenn jemand das wollte. Briefe schmeiß‘ ich sowieso weg, weil es schon rein technisch nicht möglich ist, sich darauf einzulassen, sonst müßte ich es so machen wie diese Sau-Schriftsteller, die sich zwei Sekretärinnen halten und alles beantworten und jedem Arschloch hinten hineinkriechen mit einem Brieferl. (…)

Ich dachte nur, daß der Kontakt mit einem, der Sie versteht und Sie mag, auch für Ihre Arbeit von Vorteil sein könnte.

BERNHARD: Mich fördert nur, wenn ich möglichst für mich allein bin, ganz gleich, was das alles mit sich bringt, und es sind ja im Grunde nur lauter Unannehmlichkeiten, aber ich hab’ sie ja gern, ich bin ja in das verliebt, was andere gar nicht auf sich nehmen würden. Setzen Sie den Handke einmal drei Tage hierher, der würde Ihnen schreiend davonrennen zu seiner Tochter. Der ist doch ein ganz weiches, schwaches Familienkind, spricht aber dauernd übers Alleinsein. Das sind genau die, die gar nicht alleine sein können, weil dazu gehört nämlich eine ganz schöne Kraftanstrengung. Wenn man das nicht sein kann, kann man halt auch nicht in der Art schreiben, wie ich das mache, ob das jetzt eine Bedeutung hat oder nicht, ist ja ganz wurscht. Der Handke hat halt seine liebe Tochter. Das ist eine Sache, die mir total widerspricht, weil ich bin schon immer gegen Familie und all diese Sachen gewesen, weil ich Leute einfach nicht aushalte, die eine Familie haben und ein Kind haben, und die das Kind zu Weihnachten mit Skianzügen und solchem Zeug überhäufen und mit dem Kind dann nach Sankt Moritz zu ihrem schicken Verleger fahren, das ist mir so widerlich, daß es mich graust, diese Leute, die einmal da hingehen und einmal dort hingehen und sich nach Amerika einladen lassen und dort vorlesen und da vorlesen und sofort zu einer Redaktion rennen, wenn sie irgend was machen, so daß das übermorgen alles in der Zeitung drinsteht, das ist mir einfach zum Grausen. Ich mag es nicht, und ich mach es auch nicht. Das erzeugt natürlich eine Irritation und den Widerwillen der anderen Leute. Aber das ist egal. Es ist meine Stärke, daß ich es aushalte, den Dampfnudeldeckel geschlossen zu halten.

Können Sie verdeutlichen, warum Ihnen Familien mit Kindern so widerlich sind? Sie haben gesagt, man sollte allen Müttern die Ohren abschneiden.

BERNHARD: Das hab’ ich gesagt, weil es ein Irrtum ist, wenn die Leute glauben, sie bringen Kinder zur Welt. Das ist ja ganz billig. Die kriegen ja Erwachsene, keine Kinder. Die gebären einen schwitzenden, scheußlichen, Bauch tragenden Gastwirt oder Massenmörder, den tragen sie aus, keine Kinder. Da sagen die Leute, sie kriegen ein Bauxerl, aber in Wirklichkeit kriegen sie einen 80jährigen Menschen, dem das Wasser überall herausrinnt, der stinkt und blind ist und hinkt und sich vor Gicht nicht mehr rühren kann, den bringen sie auf die Welt. Aber den sehen sie nicht, damit die Natur sich weiter durchsetzt und der Scheißdreck immer weitergehen kann. Aber mir ist es ja wurscht. Meine Situation kann nur die eines skurrilen… ich möcht’ nicht einmal sagen Papageis, weil das schon viel zu großartig wäre, sondern eines kleinen, aufmucksenden Vogerls sein. Das macht halt irgendein Geräusch, und dann verschwindet es wieder und ist weg. Der Wald ist groß, die Finsternis auch. Manchmal ist halt so ein Käuzchen drin, das keine Ruh’ gibt. Mehr bin ich nicht. Mehr verlang’ ich auch gar nicht zu sein. (…)

Ist doch dieser eine Mensch nötig, zu dem man gehört?

BERNHARD: Es gibt immer irgendwo eine Milchmagd, die irgendwann auftaucht. Nichts, das gibt’s nicht.

Stimmt dann überhaupt der Satz noch: Ich will allein sein?

BERNHARD: Es bleibt mir nichts anderes übrig, verstehen Sie? Um mich ausleben zu können, wie ich will, bleibt mir nichts anderes übrig als das Alleinsein. Es ist eben so, daß Nähe mich tötet. Aber ich bin deshalb nicht zu bedauern. Jeder ist an allem selbst schuld.

(Thomas Bernhard im Interview mit der ZEIT / 26.9.1979)

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