vonChristian Ihle 07.01.2015

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Eine unserer beliebsten Rubriken ist die Sammlung der Schmähkritiken. Zum Jahresanfang also ein kurzer Blick zurück auf die fünf schönsten Verrisse des Jahres:


1. Die herrlich durchgeknallte konservative US-Kolumnistin Ann Coulter über “Soccer” anlässlich der Fußball-WM:


“Any growing interest in soccer can only be a sign of the nation’s moral decay. (…)
* Liberal moms like soccer because it’s a sport in which athletic talent finds so little expression that girls can play with boys. No serious sport is co-ed, even at the kindergarten level.
* No other “sport” ends in as many scoreless ties as soccer. This was an actual marquee sign by the freeway in Long Beach, California, about a World Cup game last week: “2nd period, 11 minutes left, score: 0:0.” Two hours later, another World Cup game was on the same screen: “1st period, 8 minutes left, score: 0:0.” If Michael Jackson had treated his chronic insomnia with a tape of Argentina vs. Brazil instead of Propofol, he’d still be alive, although bored.
* You can’t use your hands in soccer. (Thus eliminating the danger of having to catch a fly ball.) What sets man apart from the lesser beasts, besides a soul, is that we have opposable thumbs. Our hands can hold things. Here’s a great idea: Let’s create a game where you’re not allowed to use them!
* It’s foreign. In fact, that’s the precise reason the Times is constantly hectoring Americans to love soccer. One group of sports fans with whom soccer is not “catching on” at all, is African-Americans. They remain distinctly unimpressed by the fact that the French like it.
* Soccer is like the metric system, which liberals also adore because it’s European. Naturally, the metric system emerged from the French Revolution, during the brief intervals when they weren’t committing mass murder by guillotine. Despite being subjected to Chinese-style brainwashing in the public schools to use centimeters and Celsius, ask any American for the temperature, and he’ll say something like “70 degrees.” Ask how far Boston is from New York City, he’ll say it’s about 200 miles.
Liberals get angry and tell us that the metric system is more “rational” than the measurements everyone understands. This is ridiculous. An inch is the width of a man’s thumb, a foot the length of his foot, a yard the length of his belt. That’s easy to visualize. How do you visualize 147.2 centimeters? (…)

If more “Americans” are watching soccer today, it’s only because of the demographic switch effected by Teddy Kennedy’s 1965 immigration law. I promise you: No American whose great-grandfather was born here is watching soccer. One can only hope that, in addition to learning English, these new Americans will drop their soccer fetish with time.” (Ann Coulter in ihrer Kolumne für Clarion-Ledger)

(komplette, sehr viel ausführlichere Schmähkritik hier)



2. Der Freitag über Andrea Berg:


“Andrea Berg verband Elemente des alten Schlagers mit denen der verschärften volkstümlichen Musik und mit solchen des internationalen Pop, und sie verhielt sich konsequent monothematisch: Ein weibliches, mehr oder weniger lyrisches Ich, das seine Ansprüche an ein männliches, ganz und gar nicht lyrisches Du formuliert. Dieses männliche Gegenüber tendiert offensichtlich zur Untreue, nicht selten aber auch zu schlichter Langeweile. Es scheint sich weder sexuell noch sozial um einen Traummann zu handeln, und doch will sich dieses weibliche Ich ihm unterwerfen, ihn behalten, ihn sich immer wieder schön und stark träumen. (…)

Im Unterschied zum alten deutschen Schlager gibt es bei Andrea Berg nirgendwo Ironie, keine Nonsense-Ausflüge, keine Genre-Zitate, keine Novelty-Experimente, nicht die geringste Überraschung, nicht einmal ein etwas exaltiertes Role Playing. Es gibt kein Lied, das von etwas anderem handeln würde als von diesem Ich und diesem Du, das aus allen emotionalen und kognitiven Katastrophen rekonstruiert wird. Sowenig in dieser Performance angesprochen wird, dass es eine Welt außerhalb der Paar-Fixierung geben könnte, so wenig kommt in der Andrea-Berg-Welt die Ahnung vor, eine Frau könne auch ohne den Mann zurechtkommen. Man könnte Andrea Berg wohl mit guten Gründen ein radikales antifeministisches Projekt nennen. (…)

Und die Musik? Der Rhythmus: Stumpfa-stumpfa-stumpfa. Ein Ballermann-Disco-Rhythmus. Die Melodie: Das alte Schlager-Modell, skelettiert zur Modern-Talking-Schlichtheit. Die Produktion: Zu viel ist nie genug. Der Sound: Wie in der volkstümlichen Musik werden kindliche Instrumente elektronisch aufgepimpt, irgendein Klavier oder eine Harfe schmiert Bedeutung über das gnadenlose Geschunkel. Die Stimme: Ein schiemlich schweres Sch manchmal, anschonschten keine weiteren Beschonderheiten. Keine Höhen, keine Tiefen, keine Stimmungswechsel. (…)

Andrea Berg konstruiert die sexuelle Ökonomie des unteren Mittelstandes in den Zeiten des Finanzkapitalismus. Sie macht aus dem unangenehmen Umstand, dass die sexuelle Ökonomie in der Krise wieder mal zuungunsten der Frauen im unteren Mittelstand ausgeht, ein pathetisches Programm. Sie tröstet die Frauen mit der Aussicht aufs Weiterträumen und damit, wie man an ihr sieht, auch mit 47 noch „sexy“ (Andrea Berg) wirken zu können, und die Männer damit, dass sie vielleicht sozial absteigen, aber immer noch eine Frau wie Andrea Berg finden, der es am Ende nichts ausmacht, wenn die betrunkenen Vollspacken mal mit der Nachbarin rummachen. (…)

Es ist das Merkelistische der Alternativlosigkeit, was hier ins Intime und Erotische gewandt ist. Sie möchte sogar, dass der Mann, der schon bei einer anderen ist, ihr die Illusion lässt, dass die Liebe weitergeht. Explizit ist die Rede von der „Wahrheit, die so viel zerstört“. „Lass mich einfach weiterträumen“ ist die militante mythische Botschaft, immer weitermachen, nicht kämpfen, nicht rebellieren, nicht aufwachen.” (Georg Seeßlen in Der Freitag)

(komplette, sehr viel ausführlichere Schmähkritik hier)



3. Die SZ über Urban Priol:


“Es gab einmal das Cabaret, das war vor allem nackt. Daraus entwickelte sich dann das Kabarett, und das war vor allem politisch. Beide sind tot. Das Cabaret wurde letztlich von Youporn erledigt – und das politische Kabarett von Urban Priol.
Youporn und Priol sind Geschwister im Geiste als Produzenten von Überdeutlichkeit. Wobei Priol womöglich glaubt, er sei ironisch. Tatsächlich ist er so ironisch wie Youporn. Beide finden sich aufregend und anstößig – und beide sind tödlich erwartbar und nur absolut anstößig insofern, als sie absolut anstößig langweilig sind. Das ZDF bezeichnet das nun monatlich uns drohende neue Urban-Priol-Format unter dem Titel “Ein Fall fürs All”, dessen gewalttätig Reimwollendes schon Programm genug ist, als “Comeback”. Richtig daran ist: Es ist eine Heimsuchung.
(…)
Wenn man Priol nun einen kleinen Schubs gäbe, er würde fliegen und fliegen und fliegen durch das All. Bis in weit entfernte Galaxien. Wo er verstummte. Man sähe nur noch, unendlich einsam und weit entfernt im Nichts der Sterne: den Haarkranz eines Clowns. Wie traurig, trist und öde. Schön eigentlich.” (Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung bzw. bei SZ Online)

(komplette Schmähkritik hier)



4. Der Guardian über den Nicole Kidman und ihren Film Grace Of Monaco:





“This Grace Kelly film is a breathtaking catastrophe.
It is a film so awe-inspiringly wooden that it is basically a fire-risk. The cringe-factor is ionospherically high. A fleet of ambulances may have to be stationed outside the Palais to take tuxed audiences to hospital afterwards to have their toes uncurled under general anaesthetic. The resulting film is like a 104-minute Chanel ad, only without the subtlety and depth. Princess Grace herself is played by Nicole Kidman, wafting around the Palace with dewy-eyed features and slightly parted lips which make her look like a grown-up Bambi after a couple of cocktails, suddenly remembering his mother’s violent death in the forest. (…)
We stay with Kidman’s Grace, who is effectively confronted by a dilemma. Should she return to her selfish, shallow life in Hollywood or build a new shallow, selfish life in Monte Carlo? (…) And what of Prince Rainier himself, that fairy-tale prince for whom she gave it all up? He is played by Tim Roth, who gives a very cigarette-smoking, glasses-wearing, moustache-having performance. He is always leaning in his chair, leaning against door frames — looking through his glasses, and smoking. What is this remarkable head of state thinking about? As performed by Tim Roth, it looks like he is thinking about how much he regrets taking this appalling role, and how inadequate he considers his fee, whatever it is.” (Der Chef-Filmkritiker des Guardian, Peter Bradshaw, über “Grace Of Monaco”, den Eröffnungsfilm des Filmfestivals in Cannes)

(komplette Schmähkritik hier)



5. Die WELT über Bayreuth:


“Vor einigen Tagen, da habe ich gelesen, dass im Rotmain alle Fische gestorben sind, und ich habe mich nicht gewundert. Der Rotmain ist der sogenannte Fluss, der durch diesen Ort plätschert, den man Bayreuth nennt, und meine Verwunderung, die blieb aus, weil es ja schon lange überliefert ist, dass am Ende der Zeit die Vögel vom Himmel fallen und die Fische in den Flüssen sterben und wenn die Apokalypse tatsächlich beginnt, dann beginnt sie natürlich in Bayreuth und nirgendswo sonst. Ich bin mir sehr sicher, dass es in diesem Land keinen Ort gibt, der der Hölle näher seien könnte. (…) Die Stadt ist der ortgewordene Stillstand. Nichts bewegt sich. Und das ist so, weil die Bayreuther nicht wollen, dass sich etwas bewegt. Bewegung ist für sie etwas Schlechtes, weil sie glauben, dass die Dinge gut sind, wie sie sind. (…)
Es gibt nicht so viele Wände in Oberfranken, wie man sich wünscht, um seinen Kopf dagegen zu schlagen. Oder andere Köpfe.” (Dennis Sand in der WELT)

(komplette, sehr viel ausführlichere Schmähkritik hier)



Schmähkritik-Archiv:
* 500 Folgen Schmähkritik – Das Archiv (1): Musiker, Bands und Literaten
* 500 Folgen Schmähkritik – Das Archiv (2): Sport, Kunst, Film und Fernsehen

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kommentare

  • Übrigens, eine der schönsten Schmähkritiken, die mir unlängst untergekommen sind: Mark Kermodes Abrechnung mit Tarantino im Jahr 2009 anläßlich Death Proof. Schmähkritik classic.

    https://www.youtube.com/watch?v=os-u9M8kRYk
    Ab 6:00 wirds besonders schön. “What Quentin Tarantino has turned into is your embarrassing uncle who turns up at a wedding in a leather jacket and tells you how swinging he was back in the 90s. He’s not a fan, he’s a money grubbing sell-out who write, can’t direct and has run out of ideas.”

  • Na komm, irgendwas absurderes in 2014 gelesen? Das ist doch unfreiwillig pures Gold. Ich habe sogar mehrfach nachgeschlagen, ob sie das denn wirklich ernst meinen kann.

  • Das auf vorsätzlicher Ahnungslosigkeit und reinem Querulantentum basierende Geschwafel einer rechtskonservativen attention whore auf 1?
    Warum nicht mal demnächst eine freche Kolumne von Jan Fleischhauer?
    Nicht alles, was polemisch überzogen ist, ist auch eine gute Schmähkritik.

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