vonChristian Ihle 08.05.2017

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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“München ist eine Theaterkulisse auf den Schultern von sechs DAX-Konzernen. Die Schleuser hierher nennen sich Headhunter. Sie haben eine Karriere- und Schlafstadt geschaffen, in die unentwegt Menschen kommen, um Geld zu verdienen und am Wochenende wandern zu gehen. Mit dem Geld kaufen sie sich erst eine Portion Stadtstolz, dann eine bayerische Tracht, dann eines der Autos von hier und dann eine Wohnung und daneben ist eigentlich keine Zeit für irgendwas anders, höchstens mit dem Hund in den Park, weil was anderes kannst du in den Münchner Parks auch nicht machen. Das sind dunkle Reinkackparks, die nicht bespielt werden, wo es kaum Sportplätze oder Fußballkäfige gibt und selbst wenn du kicken willst, musst du dich anstellen oder hoffen, dass das Gras mal gemäht ist. (…)

Du darfst nix. Keine Bank auf den Gehweg, keinen Stuhl auf die Grünfläche, keine Musik im Hinterhof, keinen Blumenkübel aufstellen, keine Lichterkette in die Bäume, kein Straßenflohmarkt, schon gar keinen Foodtruck. Versuch mal ein Brotzeitfahrrad für den Englischen Garten anzumelden, da gibst du auf. Es gibt keinen Ermessenspielraum, kein Augezudrücken, keinerlei Wildwuchs, keinen Platz, keine Lust. (…)

Eine Stadt soll ihre Leute verdammt noch mal nach der Arbeit unterhalten, betören und sedieren. London ist auch eine fiese, verspiegelte Bürostadt, aber da rennen die Anzugmenschen um 18 Uhr zu Tausenden in die tausend Pubs und saufen sich solidarisch an, und alle kriegen irgendwo einen Tresen und niemand schaut und niemand hat reserviert. Und mittags gehen sie alle zu tausenden dampfenden Takeway-Läden und Ständen, die so tadellos, modern, international und interessant sind, dass sie bei uns wieder zwei Monate voraus ausgebucht wären. Hier hingegen stapeln sich die Bürogemeinschaften vor dem letzten verbliebenen Döner der Straße. Der Rest isst in der Kantine, fühlt sich workhard-playhard und geht trotzdem nach Feierabend brav heim, in eine hässliche, niedrige, kleine Isolierfensterwohnung, weil’s uns die alten Häuser nun mal zerbombt hat und seitdem nur mit Kleingeist gebaut wurde. In Italien kriegst du an jeder Ecke ein Glas Prosecco, was Kleines dazu, in Wien hast du bis spät in die Nacht überall tadellose Ober, die dich akkurat mit Gulasch und Wein versorgen, egal in welchen Zustand du ankommst, in Lissabon kannst du dich den ganzen Tag in einem der winzigen Jugendstil-Kioske verköstigen und vor dem Schlafengehen noch Kirschschnaps trinken bis der Boden klebt. Herrgott, sowas sind doch die Basics, da müsste man doch gar nicht drüber reden, schon gar nicht in so einer Speckgürtel-Wohlstandsgemeinde. Aber hier schwitzt du, wenn sich ein Gast spontan ankündigt, wenn du mit den Nachbarn mal schnell irgendwohin hocken, einen weitgereisten Interviewpartner Nachmittags irgendwo schön empfangen willst oder auch nur eine Flasche Wein kaufen nach acht Uhr, da musst du googlen, gibt’s diesen eine Tankstelle in der Innenstadt noch? Nö. (…)

Es gibt große Viertel in München, in denen bist du so dankbar, wenn wenigstens mal ein Aufback-Bäcker neu eröffnet, weil es kilometerlang sonst nichts gibt als senfgelbe Wohnblöcke aus den 70er-Jahren und Bürobauten. Da ist nix. Ich bin in Laim aufgewachsen, damals war der McDonald‘s an der Fürstenrieder eine Sensation. Das ist er heute immer noch. Fahr mal von der Donnersberger bis Pasing, das sind zehn Kilometer bitterster, sterilster Wohnungsbau. Da schlafen hundertausend stolze Eigentümer, aber da ist kein Leben, leere Gehsteige, höchstens ein unterbudgetierter, sicherheitsfixierter Spielplatz. Und alle vier Straßen das immergleiche Kleeblatt aus Rossmann, Lidl, Apotheke und Tengelmann, damit keiner verhungert. Du bist hier dankbar für jeden schäbigen Getränkemarkt, der noch nicht Kinderpsychologe ist. Dankbar für irgendein altes Firmenschild, das dich daran glauben lässt, dass es hier früher auch Menschen gab. Für jede Initiative, die ein bisschen mehr als nur das Nötigste will. Aber jeder kreative Vorstoß wird ja Stadtpolitikum, jede Zwischennutzung, jedes Stadtgartendings verstrickt sich nach kurzer Zeit in Ego-Stolz-Knatsch, denn so sind wir hier. Das Mia san Mia hier ist eigentlich ein Ich bin ich. Das bedeutet eigentlich nur Mia stehen jeder einzeln in seinem 5er im Stau und zwar jeden Tag und morgens und abends. So bled san mia. (…)

München ist eigentlich keine funktionierende Stadt, sondern eher ein Übungsplatz für Hausmeister. Klar, Berliner Verhältnisse, wo du in deiner Straße alles bekommst und die Läden und Kneipen sich so schnell austauschen wie die Mieter, das gab es hier nie. Dickicht, Gemenge, Potzblitz – das kommt auch nie mehr. Jeder Zentimeter ist gekärchert und vom Ordnungsamt abgenommen. Die zehneinhalb offen kreativ Lebenden stehen genau so unter Denkmalschutz wie die vier Verrückten und die drei Traditionsgeschäfte, die es hier noch gibt. Lies mal die täglichen Münchner Polizeimeldungen, die eine Hälfte sind Senioren, die an falsche Handwerker und Polizisten versehentlich zehntausende Euro weiterreichen und das anderen sind Unfälle, in denen die gleichen Senioren mit ihrem Range Rover in einen Mini krachen. (…)

Gibt’s irgendwas Neues, außer zweier bildschöner Tunnels? Gibt’s einen Fortschritt, eine Großzügigkeit, ein Experiment, gibt‘s irgendwas aus dem digitalen Zeitalter? Bist du auf irgendwas stolz, das die Stadt in den letzten zehn Jahren aus sich heraus geschaffen hat? Was zeigst du einem Gast, der in München zu Recht den Wohlstandsmotor Europas vermutet? Du zeigst ihm den SUV-Stau und die Burnout-Visagen.

Klar, das ist jetzt eine ziemlich gestreute Schrotladung in den breiten Arsch der Tante. Diese Stadt hat ihre Momente, natürlich und auch ihre Adressen. Sicher, man kann hier gut leben. Aber auch nur noch in dem Sinne, wie man in einem Rewe-Markt gut einkaufen kann. Man geht halt in die vier Bars, die drei Clubs, die zwei Theater und an den einen Fluß, wie eine halbe Million anderer Bedürftiger eben auch. Und wischt sich mit ihnen einmal im Jahr auf dem Königsplatz ein Tränchen aus dem Auge, weil der Monaco wieder so schön ist. Dann bringt man den Pfandbecher zurück und fährt mit funktionierendem Rücklicht durch die fest schlafende Stadt nach Hause. Echt, zum Verklären besteht kein Anlass.”

(Max Scharnigg auf seinem Blog über München)


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