vonChristian Ihle 09.01.2020

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Normalerweise nehmen wir in dieser Rubrik ja keine zu leichten Opfer, aber da Jochen Werner ALLE Til-Schweiger-Filme gesichtet und dazu seine Notizen gemacht hat (hier, sehr lesenswert auch weil er alle Plotkapriolen der Schweiger-Filme minutiös protokolliert!), rechtfertigt diese grundlegende Analyse des Schweigerseins auch einen neuerlichen Schmähkritik-Auftritt:

KEINOHRHASEN

Weil Til Schweiger aber beim Versuch, ein Paparazzifoto von Vladimir Klitschkos Heiratsantrag an Yvonne Catterfeld aufzunehmen, durch ein Glasdach im Wellnessbereich des Hotel de Rome bricht, wird Til Schweiger zum Sozialdienst im von einem sympathischen und gern mal misogyne Witze erzählenden Manic Pixie Dreamgirl (Nora Tschirner) geleiteten Kindergarten verurteilt, den diverse minderjährige Nachfahren von Til Schweiger besuchen.

Diese junge Frau kann Til Schweiger zunächst nicht ausstehen, da sie ihn als Schulhofbully ihrer traumatischen Kindheit wiedererkennt, verliebt sich schließlich aber doch in Til Schweiger, als sie hinter die Fassade von Til Schweiger blickt und erkennt, dass Til Schweiger noch genau dasselbe Arschloch ist wie früher. Außerdem erkennt sie, dass alle Menschen, die nicht so sind wie Til Schweiger, einfach mal mitlachen sollten, wenn sie von Til Schweiger auf humorvolle Weise erniedrigt werden.

BARFUSS

Am Ende scheint kurzzeitig etwas Vernunft in das wirklich komplett irre Geschehen dieses kaum glaublichen Filmes zu geraten, wenn auch Til Schweiger in die Psychiatrie einzieht. Aber sie lassen ihn dann doch wieder raus.

ZWEIOHRKÜKEN

ZWEIOHRKÜKEN ist vielleicht die faulste Fortsetzung, die ich kenne. Wo es sich viele Sequels leicht machen und dieselbe Story leicht variiert noch einmal erzählen, erzählt Schweiger hier 124 Minuten lang eigentlich fast gar nichts mehr.
Der zentrale Konflikt ist nach 15 Minuten etabliert und eigentlich auch schon beinahe auserzählt. Feuchter Traum, Nora Tschirner mit gigantischen Plastiktitten im Top-Gun-Outfit (was Til und Männer wie Til so träumen), dreckige Socken auf dem Fußboden, Frauen meckern dauernd über sowas. Ex mit gigantischen (echten) Titten taucht auf, Til ist treu und widersteht zuerst, Ex von Nora taucht auf, so ein dreckiger Intellektueller, der sich nicht für Fußball interessiert und stattdessen lieber in Afrika die Welt rettet. Dafür bekommt er von Til die Nase gebrochen, Applaus, Brüller. Matthias Schweighöfers Kot in einer Plastiktüte.

1 1/2 RITTER – AUF DER SUCHE NACH DER HINREIßENDEN HERZELINDE

Unter den fünf Filmen, die ich von Til Schweiger inzwischen gesehen habe, ist 1 1/2 RITTER – AUF DER SUCHE NACH DER HINREIßENDEN HERZELINDE eindeutig der am wenigsten verstörende. Und eigentlich auch der erste, der auf keiner Ebene faszinierend ist. Das Obsessive, mit dem Schweiger uns in seinen radikaleren Filmen einlädt, ihm in die verknotetsten Winkel seines manischen Hirns zu folgen, hat im generischen Format der Mittelalterkomödie wenig Platz. (…) Während ich mich nach den bisherigen Sichtungen stets ausgebrannt und erschöpft fühlte, bin ich nach der heutigen lediglich etwas ermüdet – nach dem komplett irren BARFUß hingegen war an Schlaf zunächst gar nicht zu denken.

DER EISBÄR

Til Schweigers offizielles Regiedebüt ist der sieben Jahre bevor er regelmäßig als Regisseur zu arbeiten begann veröffentlichte DER EISBÄR, der sich laut DVD-Klappentext „bewusst ein wenig an PULP FICTION orientiert“, was man als bewusst ein wenig untertrieben betrachten kann. (…) Man kann festhalten, dass der Film immerhin nicht fürchterlich ist. Er bleibt mit seinen begrenzten narrativen und intellektuellen Kapazitäten recht nah an der Oberfläche des Genrekinos, dem er seine Reverenz erweisen möchte, und Schweigers Handschrift als Auteur ordnet sich diesem Epigonentum noch deutlich unter. Anfangs, wenn er als tough guy eingeführt wird, versucht er sich sogar noch an der Schauspielerei, während er ja in seinen späteren Arbeiten ausschließlich der virtuoseste Verkörperer seiner selbst ist.

SCHUTZENGEL

Moritz Bleibtreu ist Til Schweigers Freund, hat im Krieg beide Beine verloren, reißt Behindertenwitze und stirbt den Heldentod.

KEINOHRHASE UND ZWEIOHRKÜKEN

Für seinen ersten, bis dato und hoffentlich auch in Zukunft einzigen Animationsfilm holte sich Til Schweiger mit der versierten Animationsregisseurin und -produzentin Maya Gräfin Rothkirch, verantwortlich etwa für LAURAS STERN oder DER KLEINE EISBÄR, eine Coregisseurin vom Fach, was man ob der verblüffend grobschlächtigen Animation der Figuren nicht unbedingt auf den ersten Blick gesehen hätte.

KOKOWÄÄH

KOKOWÄÄH [sticht] selbst in Schweigers ohnehin tendenziell soziopathischem Œuvre noch als ein besonders irrer Film heraus.

KOKOWÄÄH 2

Betrachtet man die Filmografie Til Schweigers als einen fortschreitenden Krankheitsverlauf, dann markiert KOKOWÄÄH 2 den Punkt, an dem er endgültig verrückt geworden ist. Alles, was Schweigers Kino ausmacht, erscheint in dessen ADHS-Schnittmassakern bis zu kompletter Hysterie übersteigert und ergänzt durch allerlei neuen Irrsinn. (…) während Henry im Filmbusiness unterwegs ist, wo er sein ultrageiles Drehbuch „Patchwork“ (aka KOKOWÄÄH 1) vor einem in Cannes prämierten Regisseur in Schutz nehmen muss, den der psychopathische designierte Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer (Matthias Schweighöfer) unbedingt engagieren will. Bei einem Erstgespräch mit Henry erschießt Matthias Schweighöfer seine Katze und begräbt sie im Garten.
Magdalenas Zweitvater, der Zahnarzt Tristan (Samuel Finzi), hat sich von Magdalenas nach Mexiko ausgewanderter Mutter getrennt, weswegen Meret Becker nicht mehr in diesem Film mitspielen muss, und mit der viel jüngeren Anna angebändelt, deren Namen er sich als Arschgeweih tätowieren lässt, woraufhin sie sich von ihm trennt und er den Schriftzug in „Annanas“ ändern lässt. Am Ende des Films trifft er eine Frau mit einem „Tomate“-Tattoo. (…) Matthias Schweighöfer findet eine tote Katze in seinem Garten und beschließt, mit der Schauspielerei aufzuhören. (…) Nach einer an eine Bierwerbung erinnernden Montagesequenz, in der sämtliche Protagonisten bei verschiedenen sportlichen Tätigkeiten Spaß haben, während ein Popsong von Til Schweigers iPod läuft, endet KOKOWÄÄH 2 mit der Wiedervereinigung von Henry und Katharina und der Hochzeit der beiden neunjährigen Kinder. Während der Abspann läuft, tanzen alle Hochzeitsgäste an einem Seeufer, spritzen sich gegenseitig mit Wasser nass und sehen dabei aus wie die Manson Family auf einem ganz schlimmen Trip.

HONIG IM KOPF

Das Härteste an HONIG IM KOPF ist diesmal tatsächlich, ganz prosaisch, seine Laufzeit von schier endlosen 134 Minuten. Zu lang ist ja nun wirklich jeder Film von Til Schweiger, aber dieser wirkt manchmal, als wolle er nie mehr aufhören und einfach immer weiterlaufen, bis man selbst aus Notwehr Alzheimer bekommt. Was HONIG IM KOPF generell aber guttut ist der Umstand, dass DirActor Til hier selbst über weite Strecken in die zweite Reihe zurücktritt und seiner Tochter sowie Dieter Hallervorden die Bühne überlässt – auch wenn die Sequenzen, in denen er selbst im Zusammenspiel mit Gattin Sarah in den Vordergrund tritt, von besonders erwähnenswerter Peinlichkeit und frappierend ausgestellter Misogynie sind. Emma Schweiger trägt ihre Hauptrolle allerdings ziemlich gut, und die spürbare Zuneigung, mit der Papa Til sie inszeniert, tut dafür ihr übriges. Und Hallervorden mal wieder zu sehen ist ja eh grundsätzlich schön, auch wenn die Übererfüllung der beiden klassischen, von Schweiger sehr geschätzten humoristischen Topoi „Pinkeln“ und „Pupsen“ der Würde des Spätwerks etwas abträglich sind.

KLASSENTREFFEN 1.0 – DIE UNGLAUBLICHE REISE DER SILBERRÜCKEN

Thomas (Til Schweiger), Nils (Samuel Finzi) und Andreas (Milan Peschel) sind Ende 40, und alle von ihnen, die nicht Til Schweiger sind, sind verbitterte, zerknitterte, gnomenhafte, ihren Hass auf alle, die jünger sind als sie, in mit wutverzerrten Gesichtern gekeiften Schimpftiraden auskotzende alte weiße Männer. (…) Dem polygamen Lebensstil schwört Thomas jedoch seiner neuen Lebensgefährtin Linda zuliebe ab – ausgerechnet einen Tag vor dem großen Klassentreffen, das das frustrierte Trio eigentlich als Anlass nehmen wollte, sich im Wellness-Spa eines Luxushotels zu „entschwulisieren“ und sich „ein bis drei Schlampen ins Gesicht zu klatschen“. (…)
Der Weg ist jedoch von Hindernissen geprägt: zunächst zerlegt Ralf Möller nach einem Auffahrunfall Nils‘ brandneues Automobil, dann schneidet sich dieser bei der Intimrasur in den Hodensack, der nach vollbrachter Enthaarung auch noch zwischen den Latten der Saunabank steckenbleibt – ein Dilemma, das eine Serie von Schwulenwitzen zu ihrem vorläufigen Höhepunkt führt und erst aufgelöst werden kann, als Cindy aus Marzahn mit einer Stichsäge die Sauna betritt. (…)
KLASSENTREFFEN 1.0 – DIE UNGLAUBLICHE REISE DER SILBERRÜCKEN ist einer der schlimmsten Filme von Til Schweiger. Er ist nicht nur noch stärker von Misogynie durchzogen als etwa die beiden KOKOWÄÄHs oder der in dieser Hinsicht schon schwer erträgliche HONIG IM KOPF. Vielmehr ist er von einem ungeheuren, völlig ungefilterten Hass der als Sympathieträger installierten Protagonisten Samuel Finzi und Milan Peschel vergiftet, der weder ironisch gebrochen noch relativiert erscheint, sich in Hate Speech und körperlicher Gewalt Bahn bricht und als liebenswerte Schrulligkeit inszeniert ist. In dieser Hasslogik des Films wäre es im Grunde auch nicht weiter verwunderlich gewesen, hätten die beiden im Finale mit automatischen Schusswaffen die gesamte Festgesellschaft niedergemäht. KLASSENTREFFEN 1.0 ist, laut einer von Til Schweiger auf seinem Instagramkanal geteilten Fanmail, „ein Film, der Männer in den besten Jahren haargenau beschreibt“, und ganz ehrlich: ich habe eine Scheißangst vor allen Menschen, die das so sehen.

HEAD FULL OF HONEY

Über weite Strecken ist HEAD FULL OF HONEY ein Shot-by-Shot-Remake (…) Einige Pipi- und Pupswitze sind hier abhanden gekommen, vermutlich weil Nick Nolte nicht so leicht dazu zu zwingen war wie Dieter Hallervorden. (…)
Ein sehr irritierender Effekt ergibt sich daraus, Schauspieler wie Nolte, Matt Dillon oder Emily Mortimer in diesem durch und durch durchgeschweigerten Szenario zu sehen, in diesem Film, der, wie ein US-Kritiker in spürbarer Verwirrung anmerkte, aussieht wie in einer Küchenmaschine geschnitten. Wie alle Schweigerfilme eben. Im Grunde sind die Irritationen, die HEAD FULL OF HONEY auslöst, nur ein weiterer Beweis dafür, wie sehr die Filme von Til Schweiger ihr eigenes Genre und ihre eigene Ästhetik geschaffen haben, in denen alles noch weniger Sinn als ohnehin schon macht, sobald sie sich auf ein Außen hin öffnen. Und sei es nur das vermeintliche Außen des Hollywood-Kinos, das Schweiger selbst sicherlich als Maßstab für sein erklärtermaßen „undeutsches“ Kommerzkino betrachtet, innerhalb von dessen Bezugssystemen er aber zum größtdenkbaren Fremdkörper wird. Ein tragisches, aber wohl unabwendbares Schicksal.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2020/01/09/schmaehkritik-682-die-komplette-filmographie-des-til-schweiger/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert