vonSchröder & Kalender 03.08.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Endlich! Gestern haben wir neun gelbe Kästen mit der Sackkarre zur Postfiliale am Bundesplatz gerollt: Auslieferung unserer achten Folge aus der Schwarzen Serie von Schröder erzählt. Der Titel: ›Klasse gegen Klasse. Zweiter Teil‹.

Und heute ist in der Post ein Sonderdruck unseres Freundes Martin Klaußner, des berühmten Fürther Antiquars. Es ist ein kritischer Aufsatz über den Egozentriker und Freund Kurt Hiller, der uns so gut gefallen hat, daß wir die ersten zwei Seiten hier bringen. (BK / JS)

Martin Klaußner, Kurt Hiller zwischen ›Logos‹ und ›Eros‹. Einige Anmerkungen

Für Dr. Ursula Bär, Cambridge

Noch ein Artikel über Kurt Hiller, diesen ›Vordenker des 21. Jahrhunderts‹ frugen die Bären erstaunt, die mir beim Schreiben über die Schulter sahen. »Der letzte«, antwortete ich. »Wozu«, sagte sie, »seine Hagiographen und Proselyten werden sich ärgern und bleiben unüberzeugbar, sonst wird das sowieso niemand lesen. Dir selbst ist das alles bis zum Überdruß bekannt, wozu also und zu welchem Zweck?« »Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur Schüler bleibt?« »Wissen wir schon, Nietzsche«, sagten sie, ist aber dummes Zeug, wie das böse Wetter von Zollern bemerken würde, weil Du ja nie in diesem Sinn sein Schüler gewesen bist.« Und zitierten ironisch im Chor: »›Nietzsche ist ein Heroenbild‹, ›der größte und verehrungswürdigste Denker‹, ›man hat nicht nur zu beten vor ihm‹, ›in Nietzsches heiligem Werk‹ finden sich, ›denn keines Lehrers Lehre entnahm ich‹, bereits so viele ›Gedanken zum neuen Adel und zur Herrschaft der Geistigen.‹«

Doch: »Wozu sich, ›weil es vom Leben frißt‹ noch einmal mit einem Autor befassen, für den ›jedes Buch ein Übel‹ ist, dessen Ziel, ›eine Welt ist, in der man des Buches nicht mehr bedarf‹?« Der Laotse »Scheintiefe« attestiert, der noch des »herzlosen Stümpers« Hegels Gerippe gern »boxen« möchte, Heidegger, Wittgenstein als »Kroppzeug« abtut, Thomas Mann als »überschätzten Unterhaltungsschriftsteller«, für den Benn ein »Feind«, Ernst Jünger »gefährlicher als Hitler« ist, Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen »gefährlicher als Jünger« sind.

Die Bären lachten und fuhren fort: »Kaddinsky ›bar des Geistes, imgrunde Volksbetrug‹, und Dada ›von Anfang an Kot war‹, Ebert rechtens aufs Schafott gehört hätte, der vom ›Reichstagspack‹ schwadroniert, von der ›Pöbelherrschaft‹, und ›Ungeziefer‹, ›Minderwertlern‹ und ›Mehrwertigen‹, von ›Feinden‹ umzingelt ist und ›Mastdarminhalt‹, von ›Muckern‹ und ›Tieren‹, der auf dem ›Weg zu den Gipfeln der Sanftmut‹ die Peitsche nicht vergißt, dem so viele Menschen und Gegebenheiten ›tiefverhaßt‹ sind, der sich derart selbst überschätzt, daß er im tödlichen Unglücksfall des Verlegers Kurt Wolff eine nachträgliche, ausgleichende Gerechtigkeit für dessen Nichtweiterverlegung seiner ›Ziel‹-Jahrbücher sah und allen Ernstes der Selbstadhäsion huldigt: ›Hätte ich im Herbst 1921 die mir angebotene Präsidentschaft [der Deutschen Friedensgesellschaft] angenommen, dann würde die Geschichte Deutschlands ein klein wenig anders verlaufen sein, als sie verlief.‹«

Natürlich ist ebenfalls er es, der den »letzten Versuch«, den »Rutsch des Reiches in den Dreck« zu verhindern unternimmt, nach 1945 als erster den »neue[n] Idiotengeheimbund« erschnüffelt, von »passivistischem Bildungspack« in seiner »Liebe zum Geist und zum Guten« behindert, sich vom »Gift der Crapule« bespritzt, von ihn anräuspernden »Zeitungszwerge[n]« in ihrer »Dummdreistigkeit« mißverstanden fühlt und konstatiert, all dies »kapiert natürlich ein Affe nicht«, oder »eine drollige Mißgeburt wie der Heideggerkämpe und Pornosoph [Ludwig] Marcuse«. »Masse aber, die Summation der vielen minder Werten, Masse bleibt unmündig« und sollte samt der »Phrase Demokratie« und »Demokratismus« endlich durch die »Geistigenherrschaft« abgelöst werden, »denn der geistige Mensch ist der machtberufene Mensch«.

Selbstverständlich wird er »der Minderwertigen Wohl« nicht aus den Augen verlieren, aber die »Mehrwertigen der Gesellschaft« sollen auch ihre Geschicke lenken. Diese »Phalanx der Geistigen« erkennt und findet sich, und Nietzsche nimmt das bereits vorweg, durch »gegenseitige Auswitterung und Anerkennung«, und wie Hiller in seiner Schrift »Ein Deutsches Herrenhaus« (!) 1918 breit darlegt, durch »Urzeugung«, »Autogenesis« etc. entsteht dann ein »Oberhaus! Eine Kammer der Geistigen! Ein Deutsches Herrenhaus! Niemand hat da ernannt; niemand hat da gewählt; die Befugten traten eines Tages zusammen und sagten: wir sind es«.

Hier hielten die Bären inne, murrten etwas wie »Waih geschrien«, »was ist das für ein pseudoidealistischer Denkkitsch«, »das kann der doch unmöglich selbst für wahr, durchsetz- oder erreichbar gehalten haben; von dem Vokabular und der Sprache einmal ganz abgesehen.« »Und über dies ›peinlich duftende Egozentrikertum‹ willst Du schreiben? Auch ›über die Liebe oder wie man es nennen mag‹?« Ich nickte. »Na dann«, sagten die Bären, »herzliches Beileid«, und zogen sich in die Bibliothek zurück.«

Es folgen 72 Seiten. E-Mail: Martin Klaussner@web.de

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