vonSchröder & Kalender 23.08.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Gestern Abend stellte der Verbrecher Verlag im Festsaal Kreuzberg seine Anthologie ›Das Buch vom Klauen‹ vor. Darin steht auch eine Geschichte aus der 21. Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel ›Stille Verbraucher‹. Für alle, die nicht zur Lesung kommen konnten, bringen wir hier den Text:

›Konzerne klauen im Großen und Kleinen‹ so lautet das vulgär-marxistische Axiom Nummer eins, sie handeln wie der Besenbinder aus den ›zwei honetten Kaufleuten‹ des Johann Peter Hebel. Und damit so was nicht im Ungefähren bleibt, müssen Geschichten wie diese immer mal wieder erzählt werden. Wenn wir nämlich davon ausgehen, daß es in zweihundert Jahren noch Menschen gibt, die sich für unsere Zeit interessieren, dann sollen sie wissen: Die Holtzbrinck-Gruppe und ihre Manager betrieben einen Gaunerkonzern.

Zunächst einmal stellt sich die Frage: Geld wird geklaut aus Habsucht und Gier, aber warum bereichern sich Leute an der Lebensleistung anderer, versuchen diese auf sich umzuleiten, ohne nennenswerten pekuniären Nutzen? Glauben solche Diebe wirklich, daß etwas davon auf sie übergeht? Sie machen sich wohl falsche Hoffnungen! Jedoch kann ich mir da so sicher sein? Hätte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach nicht mein März-Archiv übernommen, als wir aus dem Haus im Vogelsberg ausziehen mußten, wären die Briefe und Autographen einzeln verkauft und verstreut worden, erzählte ich jetzt nicht diese Geschichten, was bliebe dann von meinem Tun und Machen als Verleger übrig?

Anders herum: Ich rede hier von mir wie von einer Leiche, dabei lebe ich doch noch. Und manchmal denke ich, die Parasiten lassen sich auf mich fallen, gerade weil sie frisches Blut brauchen, müssen absaugen, was sie nicht selbst produzieren können. Das sind beseelte Mülleimer, die sich auf ihren Feuilletonpartys mit den Federn anderer schmücken, denn ihre eigenen Kleider rascheln hohl. Um Menschen, die Neues machen, ist ein ständiges kapillares Saugen, da wird Mikrowatt um Mikrowatt abgezapft, so was summiert sich. Wenn du nicht aufpaßt, lutschen sie dir nicht nur die Wörter aus dem Kopf weg, von denen Leslie A. Fiedler in seinem Aufsatz ›Überquert die Grenze, schließt den Graben!‹ schreibt: »Es geht nicht um die Wörter auf dem Papier, sondern die im Leben, oder besser, im Kopf, in der intimen Verknüpfung von tausend Zusammenhängen – sozialen, psychologischen, historischen, biographischen, geographischen. Diese Wörter im Bewußtsein des Lesers werden der Gegenstand zukünftiger Kritiker sein.«

Solche beseelten Mülleimer schaffen das Kunststück, lauthals die Behauptung aufzustellen, daß Fiedler in seiner Attacke gegen die abgetakelte Moderne »noch heute ein prächtiger Beleg dafür ist, wie frühzeitig Schriftsteller, Intellektuelle, Künstler auf eine historische Entwicklung reagierten, die dann im Wendejahr 1989 einen weltweit unübersehbaren Höhepunkt erreichte«, und gleichzeitig den März Verlag, der solche Avantgarde beförderte, zu unterschlagen. Darin liegt kein Widerspruch, hier handelt es sich nämlich um die etwas raffinierteren stillen Verbraucher im Dienste des Literaturbetriebs, die jahrelang als Sesselfurzer in der Sicherheit ihres Konzernarbeitsplatzes hockten, nichts wagten und sich zwanzig Jahre später als Entdecker aufspielen. Das ist Diebstahl postmodern. Und deshalb will ich dieses Verfahren nun an einem Schlüsseltext der Postmoderne verdeutlichen.

1968 hielt Leslie Fiedler während eines literarischen Symposiums in Freiburg einen Vortrag über postmoderne Literatur. Die Wochenzeitung ›Christ und Welt‹ druckte den Text des Vortrags, und es entspann sich eine Debatte darüber, an der Rolf Dieter Brinkmann, Martin Walser, Reinhard Baumgart, Jürgen Becker, Helmut Heißenbüttel und Hans Egon Holthusen teilnahmen. Brinkmann war natürlich pro Fiedler, Walser widersprach den Thesen sozusagen im Namen der DKP. Baumgart saß wie immer auf dem hohen Roß, vermißte in dem Text die Autoren Céline, Henry Miller, Döblin, Brecht und Grass und zeigte damit, daß er nur halb verstanden hatte, was Fiedler meinte, nämlich eine subversive, vulgäre, antiautoritäre Pop- und Beatliteratur, vor der sich Baumgart sozusagen prophylaktisch ekelte. Gelesen hatte er nichts davon – nicht John Giorno, Frank O’Hara, Charles Bukowski, Leroi Jones, Ed Sanders, Tuli Kupferberg, Ted Berrigan, Lenore Kandel –, obwohl er es hätte tun können, Texte und Lyrik dieser Autoren hatte ich schon von 1966 bis 1969 bei Melzer veröffentlicht.

1969, nach meiner Trennung vom Melzer Verlag, erschien dann im März Verlag in der ›Acid‹ Leslie Fiedlers Essay ›Die neuen Mutanten‹, den er bereits 1965 in der ›Partisan Review‹ veröffentlicht hatte. Außerdem kaufte ich vom ›Playboy‹ die Rechte an ›Überquert die Grenze, schließt den Graben!‹, die erweiterte und überarbeitete Fassung des ›Christ und Welt‹-Aufsatzes, der im zweiten Band der ›März Texte‹ herauskommen sollte. 1970 veröffentlichte ich dann bei März ›Die Rückkehr des verschwundenen Amerikaners‹, in dem Fiedler den Mythos bestimmte, der der Kunst und dem Leben Amerikas ihren besonderen Charakter gibt: der Western. Darin finden sich auch Exkurse über März-Autoren wie Leonard Cohen, Harry Mathews und Ken Kesey, den Autor von ›Einer flog über das Kuckucksnest‹, das auch bei März erschien. Aber erst zehn Jahre später wurde der Begriff der literarischen Postmoderne in Deutschland virulent, dann schoß er allerdings aus allen Rohren von ›taz‹ bis › FAZ‹. Daraufhin brachte ich 1984 in ›Mammut‹ den Aufsatz ›Überquert die Grenze, schließt den Graben!«, garniert mit vulgären Illustrationen, zum Beispiel ›How The West Was Won‹ und ›Trained Pussy‹, um in der mir eigenen zurückhaltenden Ironie darauf hinzuweisen, durch wen, wo und wann die literarische Postmoderne in Deutschland erstmalig präsentiert wurde, und zwar bereits von 1967 bis 1973.

Es dauerte bis 1988, da rief ziemlich aufgeregt Wolfgang Welsch an, es erscheine jetzt sein Buch ›Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion‹, darin möchte er Fiedlers ›Überquert die Grenze, schließt den Graben!‹ veröffentlichen, leider habe der VCH Verlag die Rechte noch nicht eingeholt, der Text sei aber schon gesetzt, und außerdem habe der Verlag wenig Geld … Was nicht stimmt, denn VCH ist ein großer, gutgehender Fachverlag, aber ich sagte trotzdem: »Na schön, nehmen Sie ihn rein.« Man darf doch einem ordentlichen Professor, der monatlich seine zehn Mille auf dem Konto hat, nicht das Herausgeberhonorar schmälern. Bald nach diesem Telefonat erschien dann der Band mit interessanten Beiträgen, eben von Leslie A. Fiedler, Jürgen Habermas, Heinrich Klotz, Arnold Gehlen, Umberto Eco, Ihab Hassan, Achille Bonito Oliva, natürlich Jean-François Lyotard, Jacques Derrida und etwa zehn weiteren Autoren, sowie einem sorgfältigen Apparat nebst einer stark herausgehobenen bibliographischen Notiz, quasi als Danksagung an die Verlage, die ihre Texte und Rechte zur Verfügung stellten, in unserem Falle: »Leslie A. Fiedler, ›Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne‹. Erschienen in ›Mammut. März Texte 1 & 2, 1969 bis 1984‹. Herausgegeben von Jörg Schröder. März Verlag, Herbstein 1984, Seite 673 bis 697.« Ordentlich gemacht.

Sieben Jahre später brachte die ›Süddeutsche Zeitung‹ in der Weihnachtsliteraturbeilage als Aufmacher: »Der Autor als Hund an der langen Leine. Über neue und wiederholte Beiträge zur gegenwärtigen Literaturdebatte.« Besprochen wurde eine Anthologie, herausgegeben von Uwe Wittstock, ›Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur‹. Darin fand ich ein Zitat von Fiedler, angeblich aus »dem bekannten Vortrag«, den der 1968 in Freiburg hielt. Ich denke mir, den Text kennst du doch, kaufe das Buch, da ist tatsächlich mein ›Mammut‹-Aufsatz abgedruckt und als bibliographischer Hinweis: »wurde entnommen aus: Wolfgang Welsch, ›Wege aus der Moderne‹, Weinheim (VCH) 1988, Seite 57 bis 74«. Nein, hier ist nicht etwa dem Reclam Verlag Leipzig ein Irrtum passiert, wie du gleich hören wirst, sondern der Herausgeber – der sich im literarischen Geschäft auskennt, denn er war Cheflektor bei S. Fischer –, nämlich Uwe Wittstock, hat bewußt und nicht aus Nachlässigkeit geklaut!

Jetzt wollte ich es genau wissen, schrieb die übliche Abmahnung. Am nächsten Tag der Anruf einer resoluten Elke Kotthoff, bei Reclam Leipzig zuständig für Rechte und Lizenzen: »Ich verstehe Ihr Schreiben nicht. Herr Doktor Wittstock gab uns die Adresse von Professor Fiedler, der hat den Abdruck genehmigt, an ihn wurde das Honorar geschickt …« Ich erklärte ihr: Fiedler erinnere sich wohl nach fünfundzwanzig Jahren nicht daran, daß März damals von ›Playboy‹ die Rechte kaufte. Er könne sein Honorar gern behalten, März aber gehörten eben auch die Rechte an der Übersetzung. Sie konnte es nicht glauben. Ich erklärte es ihr dreimal, die Frau blieb stur, da brüllte ich in den Hörer: »Lecken Sie mich am Arsch!« und legte auf. Nun, dachte ich, würde es wieder einmal nötig werden, den lästigen Rechtsweg zu beschreiten, aber – kaum zu glauben – die Dame aus Leipzig rief kurz darauf wieder an, bat mich, ihr die Sachlage nochmals zu erklären. Das hatte Art, meine Wut verrauchte. Ich erzählte ihr etwas von den Achtundsechzigern in der BRD und den gelben Bücher aus dieser Zeit, über die stillen Verbraucher in den Konzernverlagen und Feuilletons in Gestalt solcher Wittstocks. Jetzt war Elke Kotthoff wie verwandelt, verstand bei ›Konzern‹ sofort, was ich meinte. Wir einigten uns auf das übliche Seitenhonorar, zum Schluß allerdings konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen: »Wozu Sie mich vorhin aufgefordert haben, das werde ich natürlich nicht tun.« So versöhnlich möchte man doch jede Verhandlung beenden!

Wenn Wittstock bei mir angeklopft hätte, so wie Welsch es tat, hätte ich ihm die Abdruckgenehmigung erteilt. Aber diesem Herausgeber passierte ja kein Malheur. Gerade weil März der Pilotverlag der Achtundsechziger ist und sein Verleger zahlreiche Themen besetzt hat, reißen bei gewissen Kadetten eben alle Bande frommer Scheu. Um sich im nachhinein als Entdecker aufspielen zu können, muß man den März Verlag einfach nur nicht nennen. Und der Rezensent quakt für die ›Süddeutsche Zeitung‹ Wittstocks »bekannten Vortrag des Leslie A. Fiedler aus dem Jahr 1968« nach, von dem er, bevor er anfing, darüber zu schreiben, noch nie etwas gehört hatte. Diese Feuilletongaukler wissen nämlich wenig! Und auf solchen Tickets der Unwissenheit reisen Wittstock und Konsorten durch die Lande mitsamt ihren gestohlenen Koffern und regen sich hinterher künstlich über mich auf, weil ich keine blasierte Ästhetikerfresse aufsetze und das leise weinend schlucke. Denn darüber herrscht Einigkeit, daß man sich seiner Leistungen nicht offen rühmen darf. Tut man es doch, kommt sofort ein indigniertes »Eigenlob stinkt«. Deshalb schlucken die meisten Bestohlenen diese Kröten! Und es ist kein Wunder, daß sich solche Nahrung auf die Verdauung der Schlucker ungünstig auswirkt – aus einem traurigen Arsch fährt nun mal kein fröhlicher Furz.

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2006/08/23/diebstahl-postmodern/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • In den Hundstagen nerven solche Haarspaltereien über Nach-Moderne, Post-Moderne oder Postmoderne. Natürlich kann man das alles im März-Archiv des DLA in Marbach recherchieren. Aber eben nicht wir, sondern derjenige, den es interessiert. Go ahead!
    BK / JS

  • Vielen Dank, das war sehr erhellend. Aber ich hätte noch eine pedantische Nachfrage zu den Übersetzungen von “postmodernism”.
    In ‘Christ und Welt’ von 1968 steht die Wendung “eine nach-moderne Epoche” und “die Nach-Moderne” (ziemlich unauffällig im Text). In ‘Mammut’ (1984) steht dann der Untertitel “Über die Postmoderne, 1969” und im Text selbst “Post-Moderne”. Das alles ist schon in Ordnung, aber vielleicht kann noch erfahren, ob dieser Wandel von “Nach-Moderne” zu “Postmoderne” über “Post-Moderne” nicht zufällig geschehen ist, ob die Diskussion über den Begriff da mitgewirkt hat und wann die Prägung “Postmoderne” in dieser Übersetzung tatsächlich erfolgt ist.
    Wie gesagt, pedantische Fragen, aber vielleicht gibt’s dazu auch plausible Antworten?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert