vonSchröder & Kalender 26.01.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Im Rahmenprogramm zu ›Brinkmanns Zorn‹ läuft am Samstag, den 27. Januar 2007 um 18:00 Uhr im Berliner Kino Central die Spieldokumentation über den März Verlag.

Aus diesem Anlaß bringen wir die Produktionsgeschichte des Films in vier Fortsetzungen:

Die dicken Ohren des Moderators Martin Schulze erglühten, während ich die Philippika gegen den Papst Johannes Paul II. abließ. Die Grünen-Politikerin Waltraud Schoppe riß sich vor Aufregung fast ihren großen Ohrring ab. Die Funktionärinnen dieser Partei tragen ja aus nicht nachvollziehbaren traditionellen Gründen keine Stecker oder Perlen, sondern immer nur den einen Dumpfklunker, so auch diese Gunda Röstel, ewig jenes Perpendikel am Ohr! Sogar Graf Lambsdorff – natürlich ohne Ohrring –, der sonst die Gelassenheit gepachtet hat, war perplex, als ich gegen Karol Wojtyla loslegte. Aber womit ich nicht gerechnet hatte: Die Bildregie mixte mich wie der Blitz weg, als ich das ›Mammut‹ hochhielt, und mein Mikrophon wurde abgestellt.

Diese Sendung löste nicht nur bei den Talkgästen starke Reaktionen aus, sondern auch bei den Zuschauern, die Telefone standen während der Sendung nicht mehr still. Sogar bei der wöchentlichen Intendantenschaltkonferenz kam es zu Turbulenzen. Nur der freche Friedrich Nowottny vom WDR meinte: »Es muß doch auch mal einer seine Meinung zum Papst sagen können.« Der Intendant des Bayerischen Rundfunks schäumte natürlich als katholischer Medienvertreter, und Peter Gehrig, der die ›Moment mal‹-Sendung auch gesehen hatte, ging die Muffe. Er rief mich an: »Wenn die Teleclub-Redaktion im Bayerischen Rundfunk erfährt, daß der Film, den ich plane, von dem Mann handeln soll, der gerade den Papst beschimpft hat, Jörg, dann …« Wenn du aber den Mitarbeitern großer Organisationen nicht gerade auf die Nase bindest, was im übernächsten Büro ihres Hauses passiert, kriegen sie meistens nichts mit. Jedenfalls das Büro des Intendanten und die Teleclub-Redaktion merkten nicht, was für ein Hecht sich in ihrem Karpfenteich tummelte, und Gehrig schrieb sein Exposé für die Münchner Balance Film.

Ungewöhnlich, denn meistens produziert der Regisseur eine Dokumentation selbst. Aber Peter mit seiner übergroßen Angst vor dem Risiko gründete keine eigene GmbH und drehte selbst sichere Auftragsproduktionen nicht auf eigene Kosten, lieber überließ er einer Produktionsfirma den größeren Teil des Gewinns und kassierte nur für die Regie. Solche Bequemlichkeit kann man sich als Regisseur von Fernsehdokumentationen allerdings nur leisten, wenn man Geld geerbt hat. Jedenfalls scheute Gehrig das Risiko, so kam es, daß ich den Produzenten Jürgen Dohme wiedertraf, dem die Balance Film gehörte. Er hatte 1973 als Produktionsleiter bei Intertel gearbeitet, die den ZDF-Fernsehfilm ›Immobilien‹ produzierte, den ich mit Otto Jägersberg geschrieben hatte. Und in derselben Firma saß damals auch Dohmes Freund Helmut Dietl als Dramaturg. Dietl hörte sich im Neu-Isenburger ›Ammerländer Krug‹ mit großem Interesse meine Filmideen an, die ich bei Schinken und Aquavit extemporierte. Einige davon hat er später sogar realisiert. Ja, damals verstreute ich meine Einfälle noch kostenlos und freigebig! Und nun, über die ›März-Akte‹, war ich wieder bei einem aus dieser Münchner Abstauberriege gelandet.

Die Grundidee für die ›März-Akte‹ war einfach: Der Betriebsprüfer Horst Tomayer fragt den Verleger nach diversen Ereignissen und Zusammenhängen, dazwischen werden Statements von Leuten geschnitten, die für die Schröder-Biographie und die Geschichte des Verlags von Belang sind. Bei der Auswahl dieser Interviewpartner verließ sich Peter Gehrig auf die Figuren, die wir ihm nannten. Nach welchen Kriterien wir sie aussuchten? Zunächst schöpften wir aus dem Vollen, strichen dann aus der Liste mit zig Namen in nächtelangen Gesprächen eine immer kleiner werdende Crew zusammen. Wir stellten uns vor, was diese Typen wohl zu März und Schröder sagen würden. Bei diesen begründeten Vermutungen – einer Art imaginärem Drehbuch – wollten wir es, bis der Film abgedreht war, belassen. Wir sahen uns also die Interviews, die Peter Gehrig aufgenommen hatte, während der Produktion des Films nicht an. Denn das Reagieren auf Stichworte – seien es nun Vorwürfe oder Lobhudeleien – ist ja öde. Nein, wir hofften, daß diese unterschiedlichen Sichtweisen und Kommentare, hart gegeneinander geschnitten, irritierende Sequenzen ergeben würden.

Die beste Gelegenheit, unsere Filmfiguren zu erwischen, war die Buchmesse. Dort sind ja alle Branchenheinis versammelt und lechzen nach Spot und Kamera. Also Auftritt für einen Kollegen der sehr frühen Jahre. Süffisant schildert Klaus G. Saur »diesen Schröder« als unbedeutenden Werbeassistenten im Westdeutschen Verlag in Opladen. Dabei war der Jüngling damals selbst noch ein Lehrling. Das war bezeichnend, wie da ein erwachsener Mann nach fünfundzwanzig Jahren zurückfällt in die Protoszene von Jungbuchhändlern, die damals aufbrachen, Karriere zu machen. Ich hatte Saur im ›Siegfried‹ als jugendlichen Denunzianten denunziert, denn als solchen lernte ich ihn bei der Arbeit kennen. Und ein Schwein ist er noch heute, nicht nur, weil er ein Verteidiger seines Vaters ist, der als Amtsleiter im Rüstungsministerium am Tode von Zehntausenden KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern schuldig ist, sondern weil dieser Saur-Sohn die Goebbels-Tagebücher verlegt und gleichzeitig Exilliteratur sammelt. Nur in Deutschland sind solche janusköpfigen Biographien von Nazikindern möglich! Inzwischen ist K. G. Saur Konzernmanager, Verleger von fünftausend Dokumentationstiteln und Fachbüchern mit dem Schwerpunkt Buchwesen und biographische Enzyklopädien. Außerdem sammelt Herr Saur Ehrendoktorhüte wie andere Leute Kegelpokale. Wie es zu diesen gehäuften Ehrungen kommt? Folgendermaßen: Immer wenn er eine neue Enzyklopädie, Sammlung, Zeitschrift oder ähnliches auf Mikrofiche genommen und dabei kräftig in die Fördertöpfe sämtlicher Forschungseinrichtungen und der Münchner Verwertungsgemeinschaft Wort gegriffen hat, schenkt er ein Exemplar dieser Silberfiches großzügig der Universität, die das Original ohnehin besitzt. Dafür gibt es dann den zigsten Ehrendoktorhut.

Als Phänotyp der Nachkriegsaufsteigerszene hatte ich diesen Denunzianten und Neidhammel ausgewählt, und er legte, genau wie erwartet, lispelnd gegen mich los: »Für mich war immer so unbegreiflich später, wie unglaublich unbedeutend sich der Schröder in diesem Verlag zeigt. Daß eben nicht ein Werbetext mal brillant gekonnt war, daß nicht eine Werbeaussage getroffen hat, sondern es war biedere Kleinstarbeit, Assistentenfunktion.« Dann, er kann es eben nicht lassen, servierte er eine Überdenunziation: »Das Buch ›Siegfried‹ scheint ja so ehrlich zu sein, ist es aber schlicht nicht! Er schreibt, daß er den Verkehrsunfall hatte – wie dramatisch das alles gewesen ist und daß das mit tödlichem Ausgang war und mit Gefängnis und so weiter, das schreibt er alles nicht!« Auf eine derartig demaskierende Stürmer-Hetze hatte ich allerdings nicht zu hoffen gewagt, denn dazu gehört schon mehr als Frechheit, sich vor eine öffentlich-rechtliche Kamera zu setzen und herauszutrompeten: Der Schröder hat einen totgefahren! Obwohl er doch genau wußte, daß ich im Januar 1961 mit meiner alten Daimler-Karre nur einen Blechschaden an parkenden Autos verursacht hatte. Dieser Saur ist eben wirklich ein Denunzius h. c.! Und für die ›März-Akte‹ spielt er diese Rolle formidabel!

Eine gute Figur machte dagegen Reinhold Neven DuMont, als Peter Gehrig ihn über meine Zeit als Werbechef bei Kiepenheuer und Witsch in Köln interviewte. Wir hatten Anfang der Sechziger unterm Dach Zimmer an Zimmer gearbeitet, Neven DuMont war gerade als Anfänger in den Verlag gekommen. Im ›Siegfried‹ karikierte ich ihn als Schwiegersöhnchen des Urviechs Joseph Caspar Witsch. Inzwischen war der Mann ein geübter Verleger, und als er von Gehrig befragt wurde, reagierte er gelassen, obwohl ich ihm damals als arrogantes Werbegenie übel mitgespielt hatte.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

DIE MÄRZ-AKTE: 90 Minuten, BR, 1985 Grimme-Preis 1986, Regie: Peter Gehrig. Mit Jörg Schröder, Barbara Kalender und Horst Tomayer sowie Mathias Bröckers, Henryk M. Broder, Daniel Cohn-Bendit, Gerd Haffmans, Christian Klippel, Winfried Kumetat, Abraham Melzer, Reinhold Neven DuMont, Klaus G. Saur, Uve Schmidt, Christian Schultz-Gerstein, Matthias Wegner, Karl Dietrich Wolff.

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