vonSchröder & Kalender 30.01.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

Die ›März-Akte‹ lief vor wenigen Tagen im Berliner Kino Central. Aus diesem Anlaß bringen wir die Produktionsgeschichte des Films in vier Fortsetzungen. Der Film (mit Bonustracks) erscheint im Spätsommer als DVD bei absolut medien.

Stichwort ›Spiegel‹: Damals schon trieb das Blatt im Meer der Beliebigkeit, und einer der letzten Mohikaner des zynischen Moralismus, der das Magazin einst groß machte, war Christian Schultz-Gerstein. Ich hatte ihn Ende der Siebziger kennengelernt, er sollte über die Zeit mit Zweitausendeins und die Wirkung meiner Geschichten auf die Medien reden. Für den Film ließ Christian noch mal den Weißwein stehen und berichtete ruhig und konzentriert über unsere erste Begegnung am Bahnhof in Fulda und die verschiedenen Schröder-Bilder. Aber länger als ein paar Stunden hielt er es ohne Stoff nicht mehr aus. Christian ging bald darauf vom ›Spiegel‹ weg, und es dauerte nicht mehr lange bis zu seinem Absprung ins Nirwana.

Richtig symbolisch wurde das Interview auf dem Messestand des Rowohlt Taschenbuch Verlags. Dessen damaliger Verlagsleiter Matthias Wegner – der bald darauf von Michael Naumann, heute Staatsminister für alles und nichts, abgelöst wurde – hatte mich 1982 bei der Abwicklung des Lizenzgeschäftes ziemlich gelinkt. In unseren Vorgesprächen beschrieb ich Peter Gehrig diesen Verlagsmanager als einen Hasenfuß. Und prompt tönte Wegner im Film, der März Verlag gehe zu viele Risiken ein, damit könne er nur scheitern: »Die heutigen Kleinverleger sind sehr viel vorsichtiger und sehr viel samtpfotiger.« So ist es! Und genau wegen seiner Samtpfotigkeit ist Wegner nie ein richtiger Verleger geworden und hat es weder bei Rowohlt noch bei Bertelsmann geschafft. Er blieb immer ein Knickebein; trotz guter Startchancen, die er als Erbe eines bedeutenden Hamburger Verlagshauses hatte, schaffte er es nie, der große Verleger zu werden, der er gern geworden wäre. Seinem Halbbruder Christian Strasser gelang das ohne Erbe, der raffte sich die Econ-Ullstein-List-Verlagsgruppe zusammen, aber das ist eine andere Geschichte. Schön ist, daß Gehrig sich die Sache mit dem Hasenfuß merkte und seinem Kameramann Kurt Lorenz einen Wink gab. Der nahm Matthias Wegner auf, wie er, bedeutungsvoll an seiner englischen Pfeife paffend, auf dem Messestand neben einem ausgestopften Hasen sitzt. Frag mich nicht, für welches Rowohlt-Buch das präparierte Tier Reklame machen sollte.

Was in der ›März-Akte‹ nicht fehlen durfte, waren die ›Schröder erzählt‹-Geschichten in der ›tageszeitung‹. Denn wer über die vollgefressenen Konzerne redet, sollte über die erweiterten Medien nicht schweigen, die hauptsächlich von der Luft und der Liebe leben und deshalb einen schöneren Teint haben. Der ›taz‹-Redakteur Mathias Bröckers sprach über die subkutane Wirkung von ›Maggi pur‹. Darin hatte ich gegen das Arno-Schmidt-Hochwasser polemisiert und auch den Verleger Gerd Haffmans sowie den Zigarettenerben Jan Philipp Reemtsma zur Brust genommen, der sich damals auf dem harten Stuhl des Meisters drehte und den heimlichen Kultusminister spielte. Gerd Haffmans schoß zurück: »Ich weiß nicht, woher es kommt, Schröder hat sich irgendeine Wahnwelt aufgebaut von Reemtsma bis Schmidt und Wollschläger und Jörg Drews und Zweitausendeins, einen großen Feind, der auf ihn zukommt.« Eine gute Gelegenheit für mich, das Ei zu drehen und zu verkünden, daß nicht ich unter Paranoia leide, sondern selbst der Verschwörer bin. Und natürlich kamen Reemtsmas Nazivater-Zigarettenerbteil und sein Abschreibungsmäzenatentum aufs Tapet.

Peter Gehrig zog mit seinem Team von Verlag zu Verlag, und wenn er nicht bei Haffmans, Kiepenheuer und Witsch, Melzer oder Rowohlt drehte, leuchteten die Spots auf dem März-Stand. Das machte einen ziemlichen Wirbel. Der Film über uns war das Messethema. Zwischendurch fuhr ich mit der Crew nach Florstadt zu einem Rundgang in meinem ehemaligen Schloß, in dem ich 1970 die Multimedia-Fabrik ansiedeln wollte. Es war zu dieser Zeit in desolatem Zustand, heute ist es zum Kleinod der Wetterau mit gepflegtem Park herausgeputzt, die Gutsgebäude sind ebenfalls renoviert und werden von Frankfurter Bankern bewohnt.

Nach der Messe fuhren wir in den Vogelsberg, hier wollte Gehrig mich befragen, und Horst Tomayer kam auch nach Schlechtenwegen angereist. Er hatte sich sorgfältig auf seine Rolle vorbereitet und erschien im korrekten Anzug, das gute Stück hatte seinem kürzlich verstorbenen Vater gehört. Es war grotesk, ihn so spießig gewandet zu sehen, denn auf der Buchmesse läuft der Mann in kurzen Hosen herum und entzückt oder verschreckt mit seinen unheimlichen Radlerwaden die Damenwelt. Jetzt trug Tomayer dieses graugrünlich changierende Unikum, also den perfekten Betriebsprüferanzug. Nur die Krawatte paßte nicht, ich lieh ihm eine aus meiner Sammlung. Für die erste Einstellung wurde er mit einem Velox ausgerüstet und sollte mit dem Pöttchen durch die Gegend knattern. Barbara meinte: »Horst, du kannst doch nicht im Oktober nur im Anzug mit dem Moped durch den Vogelsberg fahren, das ist unrealistisch. Hier hast du einen Kleppermantel.« Ein uraltes Ding aus den fünfziger Jahren von ihrem Vater – sie kann ja nichts wegwerfen! –, um das sie jeder Gummifetischist beneidet hätte. Doch das wichtigste Requisit des Betriebsprüfers stammte aus Barbaras Motorrad-Sturm-und-Drang-Zeit. Sie verpaßte ihm noch den agv-Sturzhelm mit entsprechender Motorradbrille. Derart minimalistisch ausgestattet, konnte nichts mehr schieflaufen. Das Team kringelte sich vor Lachen, als der Betriebsprüfer im Anzug und mit Sturzhelm losknatterte – den Kleppermantel trug er erst später. So beginnt der Film, Tomayer fährt auf dem Moped durch den Vogelsberg, am Ortsschild ›Schlechtenwegen‹ vorbei, dann auf unseren Hof. Er klingelt an der Haustür, Barbara und Marron empfangen ihn. Wir hatten uns vorgenommen, keinen Dialog zu proben, nur die jeweilige Einstellung war wegen der Beleuchtung festgelegt. Horst überlegte sich seine Fragen und Sentenzen, Barbara und ich reagierten spontan.

Stop! Hier muß die Betriebsprüfung unterbrochen werden, denn was ist ein Verlag ohne junge Autoren?! Ich wollte einen Schriftsteller zeigen, der mir sein Manuskript anbietet. Klar, das war auch als Reklame für Christian Klippels autobiographischen Roman ›Barfuß nach Palermo‹ gedacht. Der Autor hatte nach seinem Wehrdienst ›456 Tage und der Rest von heute‹ geschrieben. Dieser Bundeswehrroman erschien im Weismann Verlag und später als Lizenz im Bertelsmann-Buchclub. Anschließend studierte Christian evangelische Philosophie und katholische Theologie, lebte in Paris, auf Korsika, in New York und Italien. Anfang der Achtziger verdingte er sich dort als ›Geschäftsführer‹ bei einer bayerischen Hochseiltruppe. Und so geht seine Geschichte los: Der Chef der Artistenfamilie, ein brutaler Schläger, nimmt ihm erst den Reisepaß ab und läßt ihn dann die Drecksarbeit machen. Bei der Truppe lernt Christian Pezzi kennen, einem Punk, der in Ingolstadt wegen Drogensachen gesessen hatte. Gemeinsam entfliehen sie ihren Peinigern und wandern ohne Paß durch Italien.

Wir haben Fotos gesehen, Christian hatte als Zivilisationsästhet Overalls der Luftlandetruppen besorgt, darin sahen diese Punks wie von Jean Paul Gaultier gestylte Models aus – sogar Fallschirmspringeruniformen sind eben in Italien elegant. Deswegen werden die italienischen Soldaten ja bei allen Konflikten mit ihren Federbüschen gefilmt, selbst im Kosovo – immer »bella figura« – mitten im größten Schlamassel! So auch Christian und Pezzi, aber »senza scarpe«, aus den Hosenbeinen gucken ihre nackten Füße raus. Pezzi war der No-future-Typ, der den Leuten witzigerweise die Zukunft aus der Hand las. Christian mußte seine Wahrsagungen übersetzen, weil der Ingolstädter Punk sich weigerte, auch nur ein Wort Italienisch zu sprechen. Dieser Spaziergang nach Palermo strotzt nur so vor komischen Situationen, und Pezzi ist eine der schönsten Picaro-Figuren der neueren deutschen Literatur. Bei März kam das Buch nicht mehr heraus, weil wir uns zuviel vorgenommen hatten. Wir wollten damit einen Bestseller landen, und über der ganzen Planerei ging erst mir und dann dem Verlag die Puste aus. Gerade ist ›Barfuß nach Palermo‹ bei Editions Mathieu, einem kleinen Heidelberger Verlag, endlich doch noch herausgekommen, wir hatten uns schon darauf eingerichtet, den Titel in die März-Abteilung ›Mehr nicht erschienen‹ aufzunehmen.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

DIE MÄRZ-AKTE: 90 Minuten, BR, 1985 Grimme-Preis 1986, Regie: Peter Gehrig. Mit Jörg Schröder, Barbara Kalender und Horst Tomayer sowie Mathias Bröckers, Henryk M. Broder, Daniel Cohn-Bendit, Gerd Haffmans, Christian Klippel, Winfried Kumetat, Abraham Melzer, Reinhold Neven DuMont, Klaus G. Saur, Uve Schmidt, Christian Schultz-Gerstein, Matthias Wegner, Karl Dietrich Wolff.

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