vonSchröder & Kalender 18.02.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Im Juli 1975, zwei Jahre nach dem Konkurs des ersten März Verlags, nahm ich mir vor, ein Bauernhaus zu kaufen. Das war kein Rückzug, denn mein Verlegerleben ging ja weiter, die Bücher bei Zweitausendeins brummten. Es erschienen Nachauflagen von ›ACID‹; Günter Amendt, ›Sexfront‹; ›Siegfried‹; und Edgar Snow, ›Roter Stern über China‹. Es gab einen dicken Erotikreader, in dem waren zusammengefaßt: Rosemarie Heinikel, ›Rosy Rosy‹; Jan Cremer, ›Made in U$A‹; Catherine de Prémonville, ›Schamlos‹; und Esteban Lopez, ›Liebe und Tarot‹. ›Headcomix‹ von Robert Crumb wurde neu herausgegeben sowie Thomas Bayrles ›Feuer im Weizen‹. Ich machte außerdem einen US-Reader mit Leslie Fiedler, ›Die Rückkehr des verschwundenen Amerikaners‹; Kenneth Gangemi, ›Olt‹; Harry Mathews, ›Zlahn‹; Leroi Jones, ›Schwarze Musik‹; Parker Tyler, ›Underground Film‹; ›DIG · Neue Bewußtseinsmodelle‹; Valerie Solanas, ›Manifest zur Vernichtung der Männer · SCUM‹; Irvin Rosenthal, ›Schöps‹; und von Gerhard Bott erschien die ›Erziehung zum Ungehorsam‹. Alles Reprints – aber für die Zweitausendeins-Leser waren das neue Bücher. Eine Flut renommierter März-Titel war auf dem Markt, die sich zum Teil erst jetzt durchsetzten und große Erfolge wurden.

Alle sechs Wochen machte ich mich mit den Materialien zu den Titeln, also Pressebesprechungen, Fotos und sonstige Werbeunterlagen, auf zur ›Merkheft‹-Session bei Lutz Kroth. Er war mit Dorle und den beiden Kindern etwa zur selben Zeit wie ich aufs Land gezogen, doch nicht in den Vogelsberg, sondern an den Fuß des Knüllgebirges in der Nähe von Bad Hersfeld. Sie hatten sich ein ehemaliges Schulhaus in Stärklos gekauft. Das Kaff heißt wirklich so! Auch ich habe mir meine Domizile ja nicht nach dem Witzgehalt der Ortsnamen ausgesucht. Jedes dritte Dorf in Deutschland hat einen komischen Namen, du kannst den Böß-Gesäß, Wichsenheim, Ludenhausen, Großkötz, Wüstwillenroth und Fickmühlen einfach nicht entkommen.

Unsere neue Landexistenz trug wohl auch dazu bei, daß Kroth und ich eine Weile so eng zusammenarbeiteten, obwohl wir als Typen und Charaktere wenig gemein haben und unser Verhältnis eher spröde blieb. Da aber die Lebensumstände sich ähnelten, entstand eine größere Nähe, und es führte uns das Interesse am frühen Ökokram zusammen. Allerdings haben wir uns dabei gegenseitig gründlich mißverstanden und harmonierten deshalb prächtig.

Aus den Unterlagen, die Lutz und ich zu den Büchern vorbereitet hatten, schrieb Bertel Schmitt übers Wochenende die ›Merkheft‹-Anreißertexte. Er war früher ›Pardon‹-Autor gewesen, arbeitete jetzt hauptberuflich für die Düsseldorfer Werbeagentur Gerstner, Gredinger, Kutter. Bertel gehörte zu den Stars von GGK, textete auch für die damals beliebte ›Jägermeister‹-Serie mit ihren tausend Motiven in der Art von: »Ich trinke ›Jägermeister‹, weil ich eine Wiese kaufen will.« Doch über diesen Scherz kannst du erst ein bißchen später lachen, wenn ich die Geschichte vom Kauf meines Wiesengrundes erzähle. Es war Bertel Schmitt, der den erfolgreichen Zweitausendeins-Ton erfand, der uns anfänglich witzig vorkam, bis er dann zunehmend auf die Nerven ging – diese »Guten Tag«-Briefe, die mit »nichtsahnenden Grüßen Ihr Lutz Kroth« und ähnlichem Schwachsinn endeten, dieses »Au weia«, »gell«, »haha«, »das Witzigste zum Kapitulierpreis«, »Sie werden gebeten, den zeitweiligen Hirnausfall im Raum Frankfurt zu entschuldigen«, »›Hä?‹ hörte ich eine Stimme fragen, die wie meine klang« oder »konnte gerade noch verhalten kalauern«, »Partner Treumann freut sich schon so auf Weihnachten«, »kommt ihr Kunden, ach kommet doch all« und so weiter und so fort. Ernst gemeint hingegen war: »Bitte keine Manuskripte schicken, wir haben uns auf Nachdrucke und andere sichere Sachen spezialisiert.«

Ich begann also einen Bauernhof zu suchen. Im häßlichen Bebrahaus in Jossa wollte ich nicht ewig wohnen bleiben, und das Sparen war durch die schönen Erfolge bei Zweitausendeins nicht mehr so notwendig. Lutz Kroth und ich gehörten zur Frankfurter Vorhut, die aufs Land zog, ebenso Peter O. Chotjewitz, der sich mit seiner Familie in Kruspis, nur ein Dorf von Kroths Schule in Stärklos entfernt, ein Haus kaufte. Auch die Fotografin Inge Werth wohnte dort; praktisch für Inge, da sie in der Nähe lebte, bekam sie von Lutz und mir häufig lukrative Fotoaufträge fürs ›Merkheft‹, bis Lutz Eva Kroth kennenlernte, die ja selbst Fotografin ist. Da war dann damit Essig.

Fast wäre ich selbst in die Gegend am Rande des Knüllgebirges gezogen. Dorle Reinecke – damals hieß Lutz Kroth ja noch Reinecke – gab mir den Tip, daß in Müsenbach eine Hofreite zum Verkauf stehe. Das Fachwerkhaus lag am Rand des Weilers, am Fuß eines Buchenhorstes, die Scheune war in den Hügel hineingebaut. Hinter den Gebäuden erstreckte sich eine große Wiese von viertausend Quadratmetern, teilweise mit Obstbäumen bepflanzt, ein Bach floß daran entlang. Das Wohnhaus war in schlechtem Zustand, und die Scheune mit dem leicht eingesunkenen Dach sah desolat aus. Allerdings kostete die Bruchbude nur fünfzigtausend, soviel war schon das Gelände wert. Das kann man alles renovieren, dachte ich, kaufte das Anwesen und beauftragte meinen SPD-Genossen Peege aus Hosenfeld, einen Tiefbauingenieur, mit der Sanierungsplanung. Für die Pferde brauchte ich noch eine weitere Weide und erfuhr, daß gleich bei meinem Grundstück, nur durch einen Feldweg getrennt, eine zu verkaufen sei, ein Hektar groß, ideal für die Gäule.

Wegen dieser Wiese mußte ich mit dem Ortssäufer verhandeln, er wohnte in einem Neubau aus den sechziger Jahren, der früher ganz proper ausgesehen haben mußte, jetzt aber hatte er die typischen Alkoholikermerkmale: den mit Leukoplast verklebten Sprung von links unten bis rechts oben in der gläsernen Eingangstür mit den schwärzlichen Messingleisten, die vergilbten Vorhänge und die stumpfen Scheiben. Wenn ein Haus so aussieht, kannst du sicher sein, darin regiert König Alkohol. Der Bewohner war ehemals der größte Bauer in Müsenbach gewesen, inzwischen gehörten ihm nur noch das Haus und drei Wiesen, alles andere war für die Flasche draufgegangen. Er lebte allein, war auch gewalttätig, denn keiner von den Dorfbewohnern traute sich an ihn heran. Sie steckten mir, daß ein Sohn ihn ab und zu besuche, dann prügelten sich die beiden, daß die Fetzen flogen. Gier essen Angst auf, ich wollte die Wiese haben!

Die Klingel funktionierte nicht, ich klopfte an die kaputte Glastür, er zeigte sein zerstörtes Gesicht mit dem Ofenrohrmaul im Türspalt, in der linken Hand hielt er einen zur Hälfte gehäuteten Stallhasen, in der rechten ein Messer. »Habe gehört, Sie wollen Ihre Weide, die neben meinem Grundstück liegt, verkaufen. Ich bin daran interessiert.« »Ich aber nicht! Hol erst mal ’ne Flasche ›Jägermeister‹!« Also bin ich los in den Edeka-Laden und kaufte eine Literflasche. Damit wurde ich reingelassen. »Jetzt trinken wir einen«, sagte er, schraubte den Verschluß der Pulle auf, und dann erzählte er mir sein ganzes elendes Leben in nicht sehr schönen Sätzen. Als die Flasche leer war, hatten wir uns darauf geeinigt, daß er mir den Hektar für fünfzehntausend verkauft. Eine Mark fünfzig pro Quadratmeter für Ackerland war korrekt. Den gehäuteten Hasen mußte ich auch mitnehmen, das Geschenk durfte ich nicht ausschlagen. Nach der gelungenen Verhandlung fuhr ich sternhagelvoll nach Hosenfeld, sackte ins Bett und blieb auch den nächsten Tag liegen. Ich sage dir: Ein halber Liter ›Jägermeister‹ ist nicht gesund!

Müsenbach3.jpg

Mit den Sanierungsplänen besuchte ich zwei Monate später einen Zimmermann in Burghaun, der mir einen Kostenvoranschlag für die Holzkonstruktionen machen sollte. Das hätte ich besser vor dem Kauf des Anwesens getan! Der alte Meister stiefelte über zwei Stunden mit mir durch Scheune und Haus, klopfte hier, stichelte da, kratzte dort, schüttelte jedesmal den Kopf. Am Ende der Begehung sagte er: »Das Grundstück ist schön, aber die Gebäude sind Scheiße! Die Balkenköpfe angefault oder morsch! Am Dach ist nichts zu retten, auch das Fachwerk – alles Mist! Am besten, Sie reißen das ahl Gelerch ab und bauen was Neues. Das ist einfach billiger!« So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich wollte kein neues Fachwerkhaus bauen, sondern ein altes renovieren.

Im letzten Jahr haben wir unsere Fotosammlung ins Deutsche Literaturarchiv eingeliefert. Aus den über zehntausend Fotos der Jahre 1938 bis 2005 wurden ca. tausendfünfhundert Fotos ausgewählt. Wir werden gelegentlich Fotos aus dieser Sammlung zeigen, die zu ›Schröder erzählt‹-Geschichten passen.

(Fotos: privat / DLA / BK / JS)

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kommentare

  • Lieber Rudolf Görtler,

    in ihrer Zeit hat sich Rosy Rosy außerordentlich gut vermarktet. Der März Verlag trug seinen Teil dazu bei. Rosemarie Heinikel hat sich als kluge Frau, die sie ist, aus dem Rummel um ihre jugendliche Fülle zurückgezogen und lebt mit einem ebenfalls in seiner Zeit sehr berühmten Musiker in aller Stille, und soviel wir wissen, auch zufrieden im Voralpenland. Deshalb wollte sie auch nicht, daß wir ihr Buch ›Rosy Rosy‹ noch einmal nachdrucken. Dafür hatten wir natürlich Verständnis.

    Beste Grüße
    Barbara Kalender und Jörg Schröder

  • Sehr geehrter Herr Schröder,

    was ist eigentlich aus Frau Heinikel (“Rosy Rosy”) geworden? Sie hat es offenbar nicht geschafft, sich so gut zu vermarkten wie die Obermaier.

    Grüße

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