vonSchröder & Kalender 09.06.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Es war neun Uhr fünfundvierzig, als ich mit meinen bedröppelten Mitarbeitern das Zimmer des Generalbevollmächtigten verließ. Im Sekretariat sagte ich ihnen: »Ich rufe mal Kade Wolff an, der muß uns doch einen guten linken Anwalt empfehlen können.« Wenn ich bedenke, wie wenig ich mich damals noch auskannte im Arbeitsrecht und mit dem Kündigungsschutz! Was heißt wenig? Gar nicht! Ich wußte noch nicht mal, was eine fristlose Kündigung bedeutet und wie man sich dagegen wehrt. Heute pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, daß du silberne Löffel gestohlen haben mußt, damit ein Arbeitgeber mit einer fristlosen Kündigung durchkommt. Runter zur Telefonzelle in der Spreestraße. Ja, verrückt, daß ich nicht einfach in den Keller ging, um zu telefonieren; so ist das mit Formalien! Dieser Kurzhals ahnte nichts vom Souterrain, weil wir uns aber an das Verbot hielten, erfuhr er auch nichts von meinem späteren geheimen Befehlsstand direkt unter ihm. Das zweite Glied der Fehlerkette: Er machte sich nicht mit dem Terrain des Schlachtfeldes vertraut.

Ich erklärte Karl Dietrich Wolff die Lage: »Es sieht so aus, als ob es mit deinem Job zum ersten April nichts wird. Melzer hat uns alle rausgeschmissen. Wir wissen nicht, wie wir reagieren sollen, müssen das mit einem Rechtsanwalt besprechen. Kannst du mir einen empfehlen?« »So ein Mist!« sagte er, »ich habe mich schon auf die Arbeit gefreut und fest mit dem Geld gerechnet. Geh doch zu Johannes Riemann, der hat gerade sein Büro im Westend eröffnet. Warte, ich gebe dir die Nummer …« Ich bekam sofort einen Termin, und mit Beitlichs grünem R 4 juckelten wir, das heißt, nur Peter und ich, in sehr gedrückter Stimmung von Darmstadt nach Frankfurt. Der Verlag, für den ich vier Jahre lang geackert hatte, ging mir von der Fahne, und eigentlich rechnete ich mir keine Chance mehr aus. Auf der Autobahn fuhr vor uns ein Bauwagen, der Kies abwarf. Die Frontscheibe des Renault zerplatzte im strömenden Regen. Als wir im Büro des Anwalts ankamen, konntest du uns auswringen.

Johannes Riemann war ein junger Mann, dem drei Schneidezähne fehlten, die Lücke kaschierte er durch krampfhaftes Herunterziehen der Oberlippe, und zwar perfekt. Selbst wenn er erheitert war, gelang es ihm, die Lippe unten zu halten, wodurch seine Lache eher einem Hecheln glich. Das ließ er uns hören, als wir so durchnäßt vor ihm saßen. Dann begann er seinen juristischen Vortrag: »Fristlose Kündigung – so einfach ist das nicht. Melzers Gründe sind anfechtbar, da Sie nichts weiter reklamiert haben, als mündliche Vereinbarungen schriftlich niederzulegen. Herrn Melzer wird es im Streitfalle schwerfallen, das Gegenteil zu beweisen. Sie dürfen nur nicht den Fehler machen, Ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Fahren Sie zurück und bieten Sie Ihre Arbeitskraft an. Das gilt auch für die anderen Mitarbeiter. Im übrigen, wie verhält es sich denn mit dieser Olympia Press?« Ich erklärte ihm den Stand der Dinge. »Wie es aussieht, haben Sie mit Melzer mündlich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, an der Sie beide zur Hälfte beteiligt sind, auf die jedenfalls erstreckt sich seine Kündigung nicht. Möglicherweise ist auch noch gar keine Gesellschaft zustande gekommen. Wenn dieser Girodias bisher Melzer gegenüber nichts erklärt hat, dann könnten Sie zum Beispiel mit Girodias eine Firma gründen und wären nicht verpflichtet, Melzer in diese aufzunehmen. Oder gibt es einen Vorvertrag, irgend etwas, auf das er sich stützen könnte?« »Natürlich nicht! Der Vorvertrag ist ja der Grund, weshalb es überhaupt zu dieser Kontroverse kam.« »Na, seien Sie doch froh, und sehen Sie zu, daß Sie jegliche Korrespondenz mit Ihrem zukünftigen Partner Girodias an sich nehmen. Solange die Gegenseite nichts in der Hand hat, stehen unsere Chancen gut.« Da erst fiel bei mir der Groschen: Soll der Melzer mich doch am Arsch lecken! Ich nehme einfach alle Akten mit! Fragte sich nur, wie ich damit an Kurzhals vorbeikommen würde.

Beim ADAC an der Autobahnauffahrt holten wir uns eine provisorische Windschutzscheibe aus Plastik. Die Sonne schien, und so war auch meine Stimmung, nur Beitlich saß immer noch gedrückt hinter dem Steuer. Kurz vor zwölf hockten wir bereits wieder alle konspirativ im Sekretariat, und ich flüsterte den anderen: »Es ist wunderbar gelaufen! Ich rufe Girodias an, und dann gründen wir eine eigene Olympia Press. Mensch, überlegt mal, wenn wir das machen, haben wir doch Kapital für einen eigenen Verlag! Wir nehmen einfach alle Bücher, die bei Melzer erscheinen sollten, mit rüber. Bloß dieser Kurzhals ist ein Problem, der darf von unserem Plan nichts merken! Wir müssen zerknirscht und kooperativ tun.« Beitlich wackelte mit dem Kopf, Heinzlmeier griente ungläubig, Hansal und Brand lachten unsicher. Ich gab die Parole aus: »Wenn der was fragt, einfach weiterwurschteln und ihn ins Leere laufen lassen.«

Mit Beitlichs Renault düste ich zur Post in die Rheinstraße, holte Maurice Girodias in New York aus dem Bett. Von nun an klappte alles! Ich berichtete ihm, daß Melzer kalte Füße bekommen habe wegen des Pornographierisikos nach der ›Spiegel‹-Geschichte. »Die Zeit rennt, die Anzeigen sind erschienen, Waschkörbe voll Bestellungen, und Melzer blockiert uns! Wir müssen ohne ihn starten.« Und wieder hörte ich sein »Go ahead«, allerdings mit der Einschränkung, daß seine Kapitalbeteiligung entfalle, weil er leider gerade kein Geld frei habe. Statt dessen wollte er eine Lizenzgebühr von sieben Komma fünf Prozent vom Umsatz zusätzlich zum Autorenhonorar. »D’accord«, sagte ich, und die deutsche Olympia Press gehörte mir.

Kurz vor eins war ich wieder im Verlag und verkündete meinen Mitverschwörern: »Girodias macht mit! Melzer ist draußen! Aber wie kriegen wir die Unterlagen raus? Und wohin damit? Am besten ich karre den Kram erst mal in meine Wohnung nach Eberstadt.« Jetzt fiel mir die Packerei wieder ein; bisher gab es zu deren Anmietung doch nur eine mündliche Vereinbarung. Ich also runter zur Besitzerin der Sprachschule: »Der Melzer Verlag hat Probleme, braucht das Souterrain nicht mehr. Aber wir wollen eine eigene Firma gründen und würden es gern übernehmen. Haben Sie etwas dagegen?« Sie war froh, das Kellergelaß loszuwerden, unterschrieb sofort den Untermietvertrag zwischen Frau Bénédict und Herrn Schröder, handelnd für die Firma ›Olympia Press in Gründung‹.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

 

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