vonSchröder & Kalender 24.07.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Das vierte 68er Jubiläum wirft seine Schatten voraus. Wir bringen dazu ein Interview, welches Albrecht Götz von Olenhusen anläßlich der Marbacher Ausstellung ›Protest! Literatur um 1968‹ mit Jörg Schröder führte. Es erschien 1999 als Heft 186/190 in der Zeitschrift ›Die Aktion‹ (Edition Nautilus). Zu dem Interview schrieb Albrecht Götz von Olenhusen eine Einleitung, die wir hier bringen. Das Interview selbst veröffentlichen wir in Fortsetzungen.

Albrecht Götz von Olenhusen: »… Es hat 1968 angefangen und ist bei mir weitergegangen bis heute«

Einleitung
Jörg Schröder, den MÄRZ-Verleger, ewiges enfant terrible der Verlags- und Buchszene, habe ich bei der Eröffnung der Ausstellung des Marbacher Deutschen Literaturarchivs am 9. Mai 1998 getroffen und interviewt. In der ersten Reihe des überwiegend von mehreren hundert grauen Angehörigen der ehrwürdigen Schiller-Gesellschaft bevölkerten Vortragssaals war er, einer der wenigen Anwesenden aus der auch schon ergrauten Generation der 68er, sofort kenntlich – mit seinem Montecristo-Panamahut ebenso auffallend wie ehedem 1968 die MÄRZ-Bücher, knallgelb mit signalrotem großlettrigen Aufdruck.

MÄRZ – das stand für Schröder und sein Publikum vor allem seit seiner mit viel munterem Medien-Lärm begleiteten Sezession vom Darmstädter Melzer-Verlag für die allzeit allgegenwärtige Verbindung von Literatur im Geiste neuer Sensibilität und radikaler Politik. ›PROTEST!‹ als Überschrift – das Wort bildet auch den Titel der exzellenten, von Ulrich Ott, Direktor des Schiller-Nationalarchivs, herausgegebenen Ausstellungskatalogs zur 68er Literatur – war das Markenzeichen eines von den Medien hofierten, vom Feuilleton angebeteten und nach einer mehrjährigen Periode der Prosperität bis hin zum Konkurs von zahlreichen Feinden aus Kunst, Kommerz und Politik befehdeten Verlagskonglomerats. Die Verbindung von Postmoderne, Politik und Pornographie, diese edel-unedle »Mixtur aus Literatur, Comics, Pädagogik, Sex, Politik, Drogen als Experiment der Postmoderne« – (so Schröder selbst 1996 in seiner Retrospektive in ›Schröder erzählt‹, 27. Folge) mündete in dem autobiographischen Rundumschlag ›Siegfried‹ (1972): ein prozeßträchtiges skandalöses, mit Ernst Herhaus als Tonband-Geburtshelfer publiziertem dokumentarisch-brachialen Werk.

Schröder, in der Ausstellung nicht nur wegen seines mittlerweile als sogenannter »Vorlaß« ins Marbacher Archiv
gelangten Verlagsarchivs fast überall präsent, hat nichts von dem ihm seit vier Jahrzehnten rechtmäßig nachgesagten Schandmaul eingebüßt. In der jüngeren literarischen Szene wird ihm, etwa von Gerhard Henschel, Wiglaf Droste und anderen weniger prominenten Nachfahren bis in FAZ und TAZ-Spalten attestiert, daß seine bedeutende Literatur inzwischen höchst literarisch-subtil elaboriert und forensisch noch erfahrener geworden sei.

Im Juni 1968 hatte Leslie A. Fiedler, auch MÄRZ-Autor, auf dem legendären Freiburger Symposium, das zwar in die Literaturgeschichte eingegangen, aber dennoch nicht tot ist, sondern bis heute fortwest, apodiktisch den Tod der Moderne verkündet. Fiedler richtete seinen letalen Bannstrahl gegen liebgewordene Ideale und die tausend Tabus der deutschen Literaturtradition: Das passte zu Schröder mit seiner aggressiven Werbung, seiner unangepassten, unpassenden und dennoch den richtigen Zeitpunkt abpaßenden Literauturproduktion wie die Faust, die damals aufs Auge der herrschenden Klasse zielte.

Uns Zeitgenossen mußte Rolf-Dieter Brinkmanns subkulturell geprägte ACID-Ausgabe, seine entschiedene, der Protestbewegung verpflichtete Parteinahme für Fiedler zusagen, wenn er den damals en vogue befindlichen Literaten und Interpreten ins Gesicht schleuderte: »Die Toten bewundern die Toten!«. Nicht zufällig gehörte damals Martin Walser, von der Gruppe 47 preisgekrönt, als junger Vierziger mit seinem noch arg DKP-nahen »Engagement als Pflichtfach für Schriftsteller« – so der Titel seines Vortrags beim Freiburger Symposium – zu den schärfsten Kritikern Fiedlers. Zwischen die Parolen vom ewigen Elfenbeinturm der Literatur und dem ehrlichen, wahren, schönen und guten Engagement der Autoren schiebt sich 1968 Schröders weit rauherer verlegerischer Aktivismus – als Protagonist der neuen, sensibel-unsensibel, protestierend Proteste provozierenden, auf Veränderung zielenden und zumeist treffenden Szenerie.

Das Interview mit Schröder, wie stets in Begleitung seiner kundigen, gleichfalls nicht heftiger Spontaneität und rüder Wortgewalt entbehrenden Verlegerin Barbara Kalender, wurde von mir am Tag nach der feierlichen, durch den Festvortrag des Quasi-68ers Michael Rutschky garnierten Ausstellungseröffnung aufgezeichnet.

Bevor es zu den fundierten Festvorträgen kam, mußten die späteren Interviewteilnehmer erleben, wie scheinbar spontan und unprotokollarisch eine vielköpfige Truppe von Tübinger Studentinnen und Studenten im ordentlichen Gänsemarsch sich der Bühne im Vortragssaal der Schiller-Gesellschaft bemächtigte. Sie brachte sogleich eine ausstellungs- und veranstaltungskritische Resolution zum Gedächtnis von Ulrike Marie Meinhof und der RAF zur exakt auf zehn Minuten getimten Verlesung – noch vor den Lautdationes von Rutschky und Ott zu Ehren der »Literatur um 1968«.

Die Erregung der feinen Schiller-Gesellschaft hielt sich in vornehmen Grenzen. Ausgenommen ein Altvorder, der die Verlegerin Barbara Kalender, weil sie den artig in Reihe und Glied abtretenden Studenten Beifall spendete, als »Schlampe« bezeichnete. Aber vielleicht war das auch nur eine literarische Reminiszenz an den Tonfall der 68er. Der rüpelhafte Ruf nach neuer alter Ordnung verhallte jedenfalls ungehört – ebenso wie die freundlichen Worte eines Studenten: Dieser wollte, ausgerechnet Jörg Schröder nicht erkennend, der jetzt zusammen mit mir am Rande des Podiums die Szenen observierte, uns Grufties offenbar beruhigen. Denn als die Studenten auf die Bühne platzten, flüsterte er: »Keine Angst! Es passiert Ihnen nichts!« Niemals zuvor habe ich den nie um ein Wort verlegenen Schröder sprachloser gesehen als in diesem Moment.

(AGvO / BK / JS)

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