vonSchröder & Kalender 08.08.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

27. August. Beim Blättern in den Coffeetable-Magazinen des Hyatt Hotels fällt uns eine Kolumne der Dumpfbacke Patrick Graf von Faber-Castell aus der Kristian-Kracht-Generation auf. Er schreibt über Luxussonnenbrillen: »Nicht alle ganz mein Style und Geschmack, weil nicht immer 100 % heterosexuell … Die nächsten zwei Tage höre ich von meiner Freundin, ich solle doch ab und an von meiner Lässigkeit absehen und die Brille wenigstens im Bett abnehmen.« Was denn nun Patrick, 100 % heterosexuell oder doch ein bißchen schwul?«

Abends mit Victor dem Zivilisationsästheten nach Mainz-Finthen, ein typisches Rhein-Hessisches Dorf mit verwinkelten Fachwerkhäusern. Hinter einer dieser bescheidenen Fassaden befindet sich das Restaurant Stein’s Traube, trotz des falschen Genetivapostrophs ein gutes Wirtshaus. Die resolute Chefin mit Grübchen läßt sich von Victors anspruchsvollem Weingeschmack nicht irritieren. Ihr Mann Peter hat im Tantris, dem Erbprinz und der Ente vom Lehel gekocht. Es gab einen Steinpilz-Salat mit Balsamessig, Carpaccio vom Schwertfisch, dazu Schloß Vollrats Riesling Kabinett trocken. Barbara und Victor aßen knusprig gebratenen Milchferkelrücken mit Serviettenknödeln und Wirsing, Jörg nahm ein Lammfilet in Basilikumjus. Dazu tranken wir einen australischen d’Arenberg, The Dead Arm Shiraz mit 92 Parkerpunkten. Leider mußte Victor mit dem Auto zurückfahren, sonst hätten wir die Lagerbestände des toten Arms womöglich ausgetrunken.

Danach zum Absacker in die Mainzer Schickimickibar Heiliggeist, eine spätromanische Spitalkirche. In diesem Gebäude befand sich ab 1400 ein Seniorenstift für reiche Bürger. Da die medizinische Pflege zu dieser Zeit hauptsächlich aus Beten bestand, kam der Nähe zu einem geweihten Ort hohe Bedeutung zu. Außerdem konnte man sich hier das Seelenheil im Jenseits sichern. Im 19. Jahrhundert war das Heiliggeist eine Korrektionsanstalt für gefallene Mädchen. Nach 1945 wurde es zur Amibar und in den 50er Jahren zum Tummelplatz für Prostitution. Eine schöne Gebäudekarriere – von der Korrektionsanstalt für Huren zum Bordell. Heute gibt es im 12 m hohen Kreuzgewölbe eine Bar, Ambiente: New York, Barbestand: nach wie vor Baumholder. Nicht ein Absinth auf den Regalen!

28. August. Auf der Rückfahrt von Mainz nach Berlin finden wir ein leeres Sechserabteil. Kaum haben wir am Fenster Platz genommen, fragen zwei Polizisten, ob hier noch frei sei. Polizisten, das wissen wir von einer anderen Zugfahrt, reisen kostenlos mit der Bahn, müssen dann aber Uniform tragen und sind verpflichtet, wenn nötig als Polizeibeamte ihre Pflicht zu tun.

Jörg liest, Barbara will wieder einmal die Landschaft bis Fulda betrachten, es ist schließlich ihre Heimat. Der Zug fährt an einer Talsperre vorbei, Barbara fragt: » Jörg, wie heißt die noch mal?« »Kinzigtalsperre.« Der dunkelblonde Polizist verbessert: »Das ist die Nidda.« Der Rotblonde korrigiert seinen Kollegen: »Nein, natürlich ist das die Kinzig.« Dem hessischen Beamten ist der Lapsus peinlich – vermutlich war er schon immer schlecht in Heimatkunde. Es entspannt sich ein kleines Gespräch, wir kommen auf den neuen Berliner Hauptbahnhof. Jörg sagt: »Den haben sie gut gebaut. Wegen der zahlreichen Etagen hat er eine relativ kleine Grundfläche, ist aber trotzdem übersichtlich und das Tageslicht reicht bis zum Tiefgeschoß. Nun wird über den Frankfurter Bahnhof gefachsimpelt. Und schließlich geht es um die Terrorkoffer. Barbara meint: »Jetzt kann man seinen Koffer nicht mehr einfach stehen lassen.« Darauf der Nidda-Polizist, der immer alles besser weiß: »Das hat man auch früher nicht gekonnt! Koffer stehen lassen, das machen nur die Japaner, und dann wundern sie sich, wenn sie weg sind. Bei denen wird nämlich Gepäck nicht geklaut. Da gibt es aber auch sehr hohe Strafen. Bei uns ist das ja kein Risiko für die Verbrecher. Sie brauchen nur zu erzählen, daß sie in Not seien und schon sind sie wieder frei.«

Ende der Reise. Danke Florian, danke Victor. Aber jetzt wird nicht mehr diskutiert und luxuriert, jetzt wird wieder gearbeitet und gebloggt.

(BK / JS)

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