vonSchröder & Kalender 20.08.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südwestlicher Richtung.

Tagebuch
Sonntag, 5. August:
Heute scheint wieder die Sonne. Wir hatten uns wegen des ständigen Wetterwechsels vorgenommen, wenn irgend möglich an schönen Tagen zum Müggelsee zu fahren, denn ein Urlaub an der Ostsee war ohnehin nicht drin. Also erledigten wir vormittags noch die dringendsten Arbeiten, schrieben ein paar Mails und machten uns um eins auf zur S-Bahn. Um halb zwei gingen wir am Bahnhof Ostkreuz gemütlich die Treppe herunter zur S 3 nach Erkner, da standen Bundespolizisten in schwarzer Kampfmontur mit martialischen Helmen auf dem Bahnsteig, immer zu dritt in etwa zehn Gruppen. Früher hieß dieselbe Truppe harmlos »Bundesgrenzschutz« und fungierte als Bahnpolizei.

Der Grund für diesen Auftritt war sofort klar: Fußball. Denn zwischen den Männern der Überwachungseinheit standen viele Glatzen, aber auch behaarte Fans mit weißroten Fahnen und Schals. Jedoch, es herrschte Ruhe, keine Gesänge, kein Gegröhle. Wir betrachteten angelegentlich drei schwarze Polizisten, die Gruppe stand direkt neben uns. »Sind das schon Taser, was die Polizei da trägt?«, fragte ich Barbara, »ich meine diese Griffe am Gürtel.« »Die gibt’s doch nur in Amerika, ich glaube, die sind hier noch nicht eingeführt. Das sind die Griffe der Schlagstöcke«, meinte sie. Während wir uns so unterhielten, nicht laut oder provozierend, fixierten uns die drei Beamten sehr ungemütlich, als wollten sie nicht den Glatzen, sondern lieber uns einen über den Schädel geben. Also gingen wir ein paar Schritte weiter, aus dem Dunstkreis dieser gewaltgeneigten Verfassungsschützer.

Und dann kam auch schon die S-Bahn. Wir mit dem Pulk der Fußballfans rein in den Zug. Neben mir saß ein pickliger, junger Mann, der einen rotweißen Schal in den Händen drehte. »Wer spielt da eigentlich?« fragte ich ihn. »Na, Pokalspiel! Union Berlin gegen Eintracht Frankfurt. Regionalliga gegen Bundesliga«, gab er mir höflich Auskunft. Es ging ruhig zu in der Bahn, obwohl keine Polizisten mitfuhren. Keiner der Fans pöbelte andere Fahrgäste an und in Köpenick, wo offensichtlich das Spiel stattfand, stieg die ganze Fußballblase aus.

Wieder standen wir in Friedrichshagen an der Haltestelle Ecke Bölschestraße, der Ostrambla, die uns gestern so freundlich erschienen war. Und eben hatten wir sie zum ersten Mal in natura gesehen, die Ost-Glatzen auf dem Weg zur Fußball-Randale und ihren Widerpart, die Mobile Kontroll- und Überwachungseinheit. Während Barbara und ich auf die Straßenbahn warteten, redeten wir über diese schwarze Truppe. »Die Länderpolizei sieht ja auch martialisch aus in ihren Kampfanzügen, die sind aber wenigstens noch grün«, sagte ich. »Ja, das erinnert fatal an die SS«, stimmte Barbara mir zu. Da schaltete sich ein junger Mann mit halblangem, blondem Haar ein: »Genau, diese Bundespolizisten sind selber Nazis. Ein ganzer Zug von denen ist im letzten Jahr bei einer Nazi-Demo mitmarschiert. Auf ihre Schlagstöcke hatten sie ›Odin‹ gemalt und anderes Nazi-Zeug. Unter den Uniformen trugen sie T-Shirts mit der Aufschrift: ›Unsere Heimat / unsere Liebe / unser Stolz‹.« »Das ist ja Wahnsinn«, sagte Barbara. Er nickte und redete weiter: »Nur zwei von der Truppe aus Schöneweide wurden entlassen. Die anderen sind weiter im Dienst. Was da läuft bei der Bundespolizei, das stinkt zum Himmel!« Er steigerte sich immer mehr in Rage. Währenddessen schwieg seine Freundin und zuckte nur einmal kurz mit den Schultern. Die anderen Wartenden an der Haltestelle verdrehten die Augen und seufzten, sie wollten hier kein Aufsehen. Offensichtlich fielen ihnen diese aufgeregten Wessis auf den Wecker.

»Das wird alles immer brauner«, empörte sich der blonde Mann, »vor drei Tagen in der Brunnenstraße haben 600 Bullen 30 Bewohner eines alternativen Wohnprojekts überrollt. Angeblich nur, um die Personalien zu überprüfen! 600 Bullen für 30 Mieter, das muß man sich mal vorstellen!« »Haben wir in der taz gelesen«, unterbrach ich ihn, »das hatte doch aber nichts mit Braunen oder Faschos zu tun, sondern mit der strukturellen Idiotie der Bürokratie. Wenn diese furchtbar überlasteten Polizisten zu lange untätig in ihren Quartieren sitzen, müssen sie halt mal bewegt werden. Den Steuerzahler kostet das auch nicht mehr, denn die Beamten beziehen ja so oder so ihr Gehalt …« »Also ich bin ja kein Fußballfan«, unterbrach mich Barbara, »aber was ist da los mit diesem Pokalspiel …« Da war der Knabe in seinem Element: »Wenn Union Berlin spielt, gibt es regelmäßig Putz. Die heißen nicht umsonst ›die Eisernen‹! Die haben eine harte Hool-Truppe, die brüllen auch regelmäßig Nazi-Parolen …« Er hatte es wieder geschafft, das Gespräch auf sein Lieblingsthema zu lenken, die Wartenden seufzten hörbar. Dieser Kenner der braunen Umtriebe merkte es noch nicht einmal: »Die Union-Fans gelten als Kategorie C, gewaltsuchend und…« Da kam die Straßenbahn und schnitt ihm das Wort ab. Die Ossis waren froh, daß diese Wessis mit ihrem penetranten Nazi-Gesprächen von ihrer schönen Bölschestraße verschwanden. Wir rumpelten zum See und legten uns unter die Eichen.

Wenn wir abends nach Hause fahren, so dachten wir, sind keine Hool-Truppen der ›Eisernen‹ und auch keine schwarzen Bahnpolizisten mehr unterwegs. So war es. Um 19 Uhr saßen wir in der S-Bahn Richtung Ostkreuz, das Abteil war voll. In Köpenick, kurz vor der Abfahrt, kamen doch drei Glatzen in unseren Wagen und blieben im Einstiegsbereich stehen. Jeder hatte eine Flasche Bier in der Pfote, und sie trugen alle ein ›Braune Musik Fraktion‹-T-Shirt. Das Symbol ist aus dem RAF-Logo abgeleitet: eine Maschinenpistole gekreuzt mit einer Gitarre. Darunter der Buchstabe L in Fraktur, das Symbol der Skinhead-Band ›Landser‹, es ähnelt auch dem Divisionsabzeichen der SS-Kavalleriedivision Lützow.

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Die drei braunen Fraktionäre redeten und lachten laut, aber sie randalierten nicht. In Köpenick war vor ihnen noch eine Fußball-Familie eingestiegen, sie hatten sich zu uns gesetzt. Gegenüber saß die Frau, Mitte Vierzig, dicklich, blond gefärbt, randlose Brille. Ihre Kinder, ein Mädchen und ein Junge teilten sich einen Sitz, denn mittlerweile war unser Abteil voll. Der Vater trug, so wie die ganze Familie, ein rotes Union-Trikot. Er stand voll breit im Gang neben ihnen. Als er die Nazi-Gesellen sah, schwankte er zu ihnen hin und lallte auf sie ein. Die kümmerten sich nicht groß um ihn.

In Wuhlheide stiegen zwei junge Frauen zu mit einem dunkelhäutigen Mädchen, etwa zehn Jahre alt. Sie blieben im Gang vor unseren Sitzen stehen. Die deutsche Union-Mutter musterte das braune Kind und ihre Mutter mit verächtlichen Blicken. Daraufhin musterten wir die Rassistin verächtlich und wurden nun von den anderen Fahrgästen verächtlich gemustert. Erst jetzt entdeckte die Mutter des dunkelhäutigen Mädchens die drei Braune-Musik-Glatzen, beugte sich runter und flüsterte der Tochter etwas ins Ohr. Diese umklammerte panisch ihre Mutter. Um das Mädchen zu beruhigen, versuchten wir ihr nonverbal zu signalisieren: Keine Angst, wir helfen dir. Aber die drei drängelten sich panisch an den Fahrgästen vorbei in den hinteren Bereich des Wagens, um aus dem Blickfeld der Nazis zu verschwinden. Der Zug lief im Betriebsbahnhof Rummelsburg ein, die beiden Frauen und das Mädchen stiegen aus, vermutlich wechselten sie das Abteil. Ob die Typen von der ›Braune Musik Fraktion‹ das dunkelhäutige Mädchen überhaupt gesehen haben, wissen wir nicht. Aber die Mutter und das braune Kind hatten wohl bereits üble Erfahrungen mit Nazis und anderen Heimatfreunden gemacht.

(BK / JS)

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