vonSchröder & Kalender 14.10.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Den zweiten Teil haben wir bereits am 25. 08. 2006 veröffentlicht.

Diesen Text setzt die nachfolgende Passage fort:
Erst als wir in der Nähe von Landsberg lebten, wurde mir wieder bewußt, daß ich als Junge in Berlin den Namen oft gehört hatte. In Niederschönhausen wohnte neben uns die Familie Rinklef. Lina Rinklef war neben meiner Mutter die wichtigste Person für mich. Sie kam aus dem Taunus, sprach hessisch; dieses exotische Idiom war für mich als Berliner Kind so fremd und interessant wie später Französisch oder Englisch. Wenn ich irgendwelche Streiche gemacht hatte, rief sie: »Eijeijeijeijei, Jäggsche!« Komisch, so redete sonst niemand. Deswegen ärgerte ich sie manchmal mehr als nötig, nur um dieses melodiöse »Eijeijeijeijei!« zu hören. Und diese liebe Tante Rinklef lief nach dem Kriegsende verzweifelt zu allen Nachbarn und versuchte entlastende Aussagen für ihren Mann zu erhalten. Karl Rinklef war Reichsredner im Propagandaministerium gewesen. Für mich als Kind war er ein strahlender Held in seiner braunen Parteiuniform mit den goldenen Biesen, den Breeches, den Stiefeln. Den netten Onkel hatten die Amerikaner geschnappt, es gab ja nach den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher noch zahlreiche andere Verfahren, so auch gegen Partei- und Propagandabonzen. Unser Nachbar Rinklef saß also in der ›Festung‹, während sein Verfahren lief, und ich hörte ständig den Namen der Stadt Landsberg. Wo sie lag, davon hatte ich keine Vorstellung.

In Familien, die auch nach dem Krieg in Treue fest zum Deutschen Reich standen, war der Ort schon konkreter. Bernward Vesper, wie ich 1938 geboren, berichtet in der ›Reise‹: »Es ist wahr, die Päckchen müssen gepackt werden. Päckchen für die Angehörigen der von der Siegerjustiz Ermordeten, Päckchen für die zu Unrecht als Kriegsverbrecher Inhaftierten in Wittlich, Werl und Landsberg (ich las in der Broschüre ›Über Galgen wächst kein Gras‹, daß man sie gefoltert hatte; ich sah die Zeichnung von der Erschießung deutscher Soldaten in Brüssel, sie lehnten es ab, eine Augenbinde zu tragen; während das Mündungsfeuer aufblitzte, riefen sie wie aus einem Munde: ›Es lebe Deutschland!‹). Kann man das Weihnachtsfest genießen, ohne sie mit Gebäck, Zigaretten und Büchern versorgt zu haben? Mußte man nicht helfen, diese Verbrechen, dieses kaum zu ertragende Unrecht zu mildern. Man hatte sie herausgegriffen, weil sie Deutsche waren.«

Das hatte Will Vesper seinem Sohn Bernward eingebleut, aber auch sonst gab sich die Bundesrepublik bereits sechs Jahre nach millionenfachem Mord und Totschlag wieder selbstbewußt und verlangte einen Schlußstrich unter der Vergangenheit. Am 7. Januar 1951 fand auf dem Hauptplatz in Landsberg eine Demonstration statt. Vor viertausend Teilnehmern forderte der CSU-Bundestagsabgeordnete Richard Jäger: »Jetzt muß die Stimme des Herzens sprechen!« Ausgerechnet jener Mann verlangte die Begnadigung der Kriegsverbrecher, der später wegen seines Kampfes für die Wiedereinführung der Todesstrafe als »Kopf ab«-Jäger bekannt wurde.

Von 1945 bis 1958 saßen im ›War Criminal Prison No. 1‹ in Landsberg 1543 Häftlinge, davon wurden 255 am Galgen hingerichtet, 29 starben durch Kugeln am Pfahl. Nachdem nochmals 21 »Rotjacken«, wie die Todeskandidaten im Volksmund hießen, begnadigt worden waren, wurden die letzten Urteile 1951 vollstreckt: Paul Blobel, Führer eines Sonderkommandos, dem der Befehl zur Ermordung von 60 000 Menschen nachgewiesen werden konnte; Erich Naumann, der als SS-Offizier in Rußland 3539 Juden und Zigeuner töten ließ; Werner Braune, Kommandeur des Einsatzkommandos, das bei Simferopol Tausende von Juden und Zigeunern umbrachte; Hans Schmidt, stellvertretender Kommandant des KZ Buchenwald; Otto Ohlendorf, Kommandant der Einsatzgruppe D, der 90000 Menschen ermorden ließ und der als einziger die Taten nicht bestritt, sondern sich damit verteidigte, auf höheren Befehl gehandelt zu haben; und Georg Schallermair, Führer eines Rollkommandos, der beim Bunkerbauprojekt ›Ringeltaube‹ zahlreiche Häftlinge totgeprügelt hatte.

(BK / JS)

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