vonSchröder & Kalender 14.02.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Wir sehen nicht, wie der Bär flattert, denn wir sind in Düsseldorf.

Im Programmheft von ›POP am Rhein‹ wurde für den 14. Februar eine Lesung von Jörg Schröder in Bonn angekündigt, die wegen eines Planungsfehlers des Veranstalters nun doch nicht stattfindet. Wir bitten die Freunde unserer Literatur um Nachsicht und bringen hier einen Text, den wir in Bonn lesen wollten.

1. Teil

Tante Gretel, die zweite Frau meines Vaters, hörte im Finanzministerium auf, angeblich, weil sie sich jetzt um mich kümmern müsse. Nichts war mir widerwärtiger. Es war eine Abwechslung vor oder nach der Schule gewesen — wegen des Raummangels der provisorischen Hauptstadt hatten wir Schichtunterricht in den Gymnasien —, mit der Straßenbahn in die Rheindorfer Straße zu fahren. Der Grenzschützer vor dem Eingang sah noch zivil aus ohne Pistolentasche, geschweige denn MP. Mit dem Vater ging ich entweder in die Kantine der alten Innenministeriumskaserne oder in die des neu gebauten Finanzministeriums, so daß ich anderthalb Jahre lang fast jeden Mittag mit anderen Beamten an einem Tisch aß. Und da Kurt Schröder bereits im Innenministerium in Berlin als Amtsrat gearbeitet hatte, lernte ich im Laufe der Zeit seine alten Kollegen und Freunde kennen, wovon viele aus der gehobenen Laufbahn, die eigentlich beim Amtsrat endet, zu Ministerialräten und sogar Ministerialdirigenten aufgestiegen waren. Und ich kann dir sagen, die Leute waren alle Nazis. Dieser Oberregierungsrat Franke aus dem Gesundheitsreferat, der uns zu Hause besuchte, es gab noch kein Gesundheitsministerium, war zunächst Mitglied der Deutschen Partei, eines der Sammelbecken der Nazis, und dann natürlich in der CDU, ein unverhohlener brauner Hetzer. Ebenso der Ministerialrat Buthenut, auch er nahm bei Tante Gretels schlesischem Streuselkuchen kein Blatt vor den Mund.

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Dabei hatte ich meinen Vater nach dem Krieg erlebt, wie er einen Tanz aufführte während eines seiner riskanten Besuche im Ostsektor, die er 1946 unternahm, um mich zu sehen. Man traf sich im Elternhaus meiner Patentante Elfi Rusch am Lehnitzsee. Es begann zunächst als friedlicher Spaziergang auf einem märkischen, mit langen Kiefernnadeln bestreuten Sandweg, die Sonne glitzerte auf dem See, die Unterhaltungen der Erwachsenen plätscherten dahin, irgendwo weiter weg detonierten Handgranaten, die Russen fischten, als Tante Elfi in ihrem hellen Singsang nebenbei sagte: »Die armen Menschen im Konzentrationslager. Daß es so schlimm war, haben wir nicht gewuhußt.« Da schrie Kurt cholerisch los, ich kriegte einen Schreck, so laut und wütend hatte ich ihn noch nie erlebt: »Lüg doch nicht! Du hast es doch auch gewußt!«

Mit diesen Wahrhaftigkeitsausbrüchen hatte er sich schon während der Nazi-Zeit fast um Kopf und Kragen gebrüllt, ständig versuchte er dem Nachbarn Rinklef, dem Reichsredner aus dem Propagandaministerium, irgend etwas Politisches klarzumachen, drehte dem die goldenen Uniformknöpfe fast vom braunen Tuch, faßte auch Tante Sommerfeld an die Bluse, ohne sexuelle Absichten. Er ging den Leuten, wenn er sich in Rage redete, regelrecht an die Wäsche und führte als Beamter defätistische Reden. Ich bekam es als Knabe mit, ohne den Inhalt der Gespräche zu verstehen, fürchtete mich nur wegen der Angstwellen, die die Erwachsenen, besonders meine Mutter, aussendeten. Onkel Rinklef aber, ein anständiger Mann, denunzierte ihn nicht. Und jetzt Elfi mit ihrer Flötenstimme: »Kuhurt, das haben wir nicht gewuhußt.« Er führte einen Veitstanz auf dem stillen Weg auf, meine Mutter und Elfi bekamen es mit der Angst zu tun, es gab überall Russen am See, die dort auch spazierengingen, wenn das einer hörte! Er brüllte, daß sie schließlich in einem Verbindungsreferat zu Himmler gearbeitet und bei ihr doch ständig die SS rumgesessen habe. Ausgerechnet Tante Elfi warf er das vor, deren Mutter Jüdin war und die trotzdem im Ministerium arbeiten durfte, weil ihr Referatsleiter den fehlenden Ariernachweis ignorierte.

Kurt Schröder war bereits Beamter im preußischen Innenministerium gewesen und damals Mitglied der SPD, später dann der NSDAP. Als ich bei ihm in Bonn lebte, wollte er mit Parteien nichts mehr zu tun haben, trat auch in keine ein. Nur so aber hätte er ohne akademischen Abschluß Karriere machen können wie seine früheren Kollegen. Die Ministerialbürokratie mußte wiederaufgebaut werden, dafür standen nur diese ›131er‹ zur Verfügung. Der logische Verlauf der Entwicklung wäre gewesen, daß Kurt Schröder nach dem Krieg wieder zum sozialdemokratisch gesinnten Mann geworden wäre. Sonderbar, er entwickelte sich nach rechts. Ob das mit seiner Gretel zusammenhing, dieser erzreaktionären Tante aus Oberschlesien? Noch heute, nach vierzig Jahren, ist sie mir ekelhaft, diese Volksgenossin. Für mich stellte sie mit ihren zugeschwollenen Augen und angeschwollenen Beinen die Inkarnation der häßlichen Frau dar. Auch weil sie zur Spezies der ordnungsfanatischen Monstren gehörte und versuchte, aus mir einen Androiden zu formen. Und ich bedeutete für die alte Jungfer einfach den Knaben-Antitypus. Was heißt alt? Sie wird meinen Vater mit fünfundvierzig kennengelernt haben, er war fünfundfünfzig. Für mich mit fünfzehn waren sie zwei alte Leute, die auf peinliche Weise miteinander turtelten: Kuttel hin, Kuttel her. Sie buk täglich für ihn, manisch fraß er die schlesischen Butterkuchen in sich hinein, schrieb dabei den ›Großen Brockhaus‹ ab, fügte die alphabetisierten Personen, Begriffe und Fakten wieder zu einem sinnvollen Ganzen zusammen. Kaum war der Teller leer, stellte diese Kuh, die im Bundesfinanzministerium im Vorzimmer des ehemaligen Zahngoldverwalters Vialon gesessen hatte, ein neues Kuchentablett auf den Tisch.

Es ist nach wie vor unfaßbar, daß es einer wie Karl Friedrich Vialon, der als Regierungsdirektor und Leiter der Finanzabteilung beim Reichskommissariat für das Ostland in Riga mithalf, die ›Endlösung‹ umzusetzen, in der rheinischen Republik zum Staatssekretär brachte. Im Bereich der baltischen Staaten und der bjelorussischen Sowjetrepublik wurden über eine Million Juden ermordet. Vialon besorgte die Ausplünderung der Opfer und sammelte deren Vermögen, Habe und physische Überreste, nämlich Haare und Zahngold. So sah die ganze Bonner Ministerialbürokratie aus! Die ganze? Ja, natürlich die ganze! Andere Beamte gab es nicht! Jüngere wuchsen erst zehn, fünfzehn Jahre später nach. Einer, der 1938 geboren wurde, konnte frühestens von 1965 an in den gehobenen und höheren Dienst eintreten. Deshalb brauchten sie zu Beginn der Fünfziger das alte Pack. Präziser gesagt: zweiundachtzig Prozent der Ministerialräte und Ministerialdirigenten des Bonner Innenministeriums waren Beamte des Hitler-Staates, vierundachtzig Prozent der Botschafter und Abteilungsleiter des Auswärtigen Amtes bereits unter Ribbentrop im diplomatischen Dienst tätig gewesen, siebzig Prozent aller Richter und Staatsanwälte dienten bereits im Dritten Reich der Justiz, und natürlich waren alle Bundeswehroffiziere Offiziere der Hitler-Wehrmacht gewesen.

Der Mitverfasser der Nürnberger Gesetze und deren Kommentator, Hans Globke, der bis zuletzt Himmlers rechte Hand war, lancierte als Staatssekretär des Bundeskanzleramtes mit Hilfe des von ihm ausgearbeiteten 131er-Gesetzes seine Gesinnungsfreunde von einst in die höchsten Positionen. Er hielt den Beamtenapparat des Bonner Staates fest in den Händen und bestimmte als Chef des braunen ›Schattenkabinetts der Staatssekretäre‹ über die Politik der Regierung. Die wenigen Emigranten, die zurückkamen, gingen nicht in eines dieser Globke-Ministerien. Robert Kempner beispielsweise, der Regierungsrat im preußischen Innenministerium war und später stellvertretender Ankläger bei den Nürnberger Prozessen, wurde Rechtsanwalt. »Man mutete es mir nicht zu«, sagte er mir später, »in ein solches Ministerium zu gehen.« Großzügig wurden ihnen Pensionen unter Berücksichtigung der entgangenen Karriere gewährt, damit sie die braunen Kreise nicht störten, die sich als ›unbelastet‹ selbst entnazifizierten. Wie konnte ich daher das Wunder erwarten, daß dieser Amtsrat Schröder nicht ebenfalls auf Linie war in einem solchen Verwaltungsapparat, dazu noch Gretel, die ihn betüttelnde Ministerialhausfrau? Ihr Vater war Oberförster bei den Fürsten Pleß gewesen, deren Steinkohlengruben und riesenhafter Grundbesitz von fünfzigtausend Hektar 1921, nach der ersten Teilung Oberschlesiens, zu Polen kam. Sie arbeitete in Kattowitz, nachdem die Gebiete wieder von den Deutschen vereinnahmt worden waren, im Sekretariat des Kohlenbarons Springorum, der zum Freundeskreis Heinrich Himmlers zählte, was allerdings nichts Außergewöhnliches ist, fast alle Großindustriellen gehörten dazu. Sie kam so richtig aus der dicken braunen Soße dieses Oberschlesiens, ich bin nie fanatischeren Faschisten begegnet. Eine brisante Mischung: der alte Streit wegen des Gebietes zwischen Polen und Deutschen, dann die Neigung dieser Menschen, sich mit der Welt besinnlich-grüblerisch auseinanderzusetzen, worauf sie sich viel zugute halten, dazu kommt ihre fatale Liebe zu Trachtenumzügen und zu Rübezahl.

(Fortsetzung folgt)

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Das Plakat zu ›POP am Rhein‹ entwarfen: Barbara Kalender, Till Kaposty und Jörg Schröder.

Der Katalog zum ›POP am Rhein‹-Festival erschien im Verlag der Buchhandlung Walther König.

Ausstellung im Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstr. 1 bis 3, 50667 Köln.
Dauer der Ausstellung: 13. Dezember 2007 bis 17. Februar 2008
Öffnungszeiten: Dienstags von 10:00 Uhr bis 20.00 Uhr, Mittwochs bis Sonntags von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr- Eintritt: 5 € / 4 €

Übrigens: Am Webdesign von ›POP am Rhein‹ begehren wir nicht schuld zu sein.

In Düsseldorf wird ›Der März-Raum‹ gezeigt in der Müller & Böhm Literaturhandlung, Bolkerstr. 53, 40213 Düsseldorf.
Dauer der Ausstellung: 23. Januar bis 16. Februar 2008
Öffnungszeiten: Montags bis Freitags: 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr, Samstags 10:00 bis 18.00 Uhr. Eintritt: Frei!

(BK / JS)

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