vonSchröder & Kalender 15.02.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in nordöstlicher Richtung.

Im Programmheft von ›POP am Rhein‹ wurde für den 14. Februar eine Lesung von Jörg Schröder in Bonn angekündigt, die wegen eines Planungsfehlers des Veranstalters nun doch nicht stattfindet. Wir bitten die Freunde unserer Literatur um Nachsicht und bringen hier einen Text, den wir in Bonn lesen wollten.

2. Teil

Tja, ich glaube fast, mein Vater blieb in diesen Lebensumständen nichts anderes übrig als eine Art von innerer Emigration, nämlich Amtsrat zu bleiben, also Karriereverweigerung. Was mich aus Statusgründen ärgerte, mir wäre es lieber gewesen — umgeben von den vielen Großbeamtensöhnen —, mein Vater wäre Ministerialrat geworden. Nur noch ein Beispiel: Neben uns in der Breslauer Straße wohnte Hans Trossmann, der Direktor des Deutschen Bundestages und vormalige Sekretär des Parlamentarischen Rates. Sein Sohn ging in meine Klasse, und ich war eine Zeitlang mit ihm befreundet. In Lodz gehörte Trossmann als Oberregierungsrat zur Leitung des Ghettos, auch er natürlich nur ein ›Verwalter‹. Damit du weißt, was er verwaltete: Am 27. Mai 1942 forderte er in einem Schreiben sechzehn Lastkraftwagen an, um die bei ›Judenaktionen‹ des Sonderkommandos Lange angefallenen Kleidungsstücke und Wertgegenstände abtransportieren zu können. Des weiteren kündigte Trossmann an, daß zum Abtransport der Beute des Kommandos, von dem hundertfünfzigtausend Juden ermordet wurden, noch weitere neunhundert Lastkraftwagen nebst Anhängern erforderlich seien. Ich las das alles später und erfuhr so, bei welchen Biedermännern ich im Jugendzimmer verkehrt war. Damals in Bad Godesberg fand ich den Direktor des Bundestages viel imposanter als meinen Vater, den kleinen Amtsrat.

Schon wieder Essig, erst die Null Siegfried, der zweite Mann meiner Mutter, und jetzt dieser Ministerialversager. Dabei arbeitete er für drei in seinem Referat. Der Leiter, Ministerialrat Schultheiß, tat fast nichts, worüber Kurt sich häufig erregte. Wenn ich ihn zum Mittagessen abholte, sah ich, wie die Aktenterrier die Stapel in sein Zimmer rollten, der reinste Kafka-Muff. Kurt stürzte sich darauf, penibel, machte sich verrückt, schleppte dazu noch dicke Aktentaschen nach Hause. Das bemerkte ich bei anderen Beamten nicht. Sonderbar, ein Mann, der sich während der Nazi-Zeit fast defätistisch gebärdete, wird in der neu entstehenden Republik immer mehr zu einem passiven Nichts, einem Akten- und Kuchenfresser, zum ›Brockhaus‹-Abschreiber. So sehe ich ihn heute, dreißig Jahre nach seinem Tode.

Mit sechzehn in Bonn fochten mich die vereinten Rechten noch nicht an. Ich konstatierte nur, daß mein Vater ein Dummkopf war, der eine Karriere ablehnte, und nahm mir vor: Der Fehler passiert dir nicht! Du beendest die Schule trotz aller Schwierigkeiten, trotz dieser Tante Gretel, die versucht, dir ihr ›Schlesisches Himmelreich‹ schmackhaft zu machen, eine Dörrobstpampe mit Schweinefleisch, süß und salzig zusammen, das war ja der Gipfel des Ekelhaften, sowie ihre metallisch schmeckenden, gefüllten Paprikas einzutrichtern. Abend für Abend jammerte sie ihrem Kuttel im Bett die Ohren voll, weil sie mich wieder mal überführt hatte, ihren Fraß ins Klo gekippt zu haben. Denn ich hörte sie ab, machte kleine Lauschangriffe, denn die modernen Neubauwohnungen für Beamte in Bad Godesberg besaßen noch keine Zentralheizung. Man mußte den Koks aus dem Keller holen, die ganze Bude wurde mit Warmluftschächten für jedes Zimmer vom Flur aus geheizt. Erst später rüstete man auf Zentralheizung um. Wenn du die Lamellen der Luftschächte öffnetest, konntest du hören, worüber die beiden sich im Schlafzimmer unterhielten, was die Frau ihm vorflennte über meine Sünden des Tages und die Anlagen meines Charakters: »Ist ja kein Wunder bei dem, wie die Mutter so der Sohn!« »Ja, Gretel, du hast recht, aber was soll ich machen? Er ist nun mal so.« »Huh!« heulte sie dann, »ich kann es nicht mehr aushalten! Huhuhuh!« Noch schlimmer fand ich aber ihr Geturtel: »Gretel, ich liebe dich doch!« So was zwischen alten Leuten! Jedenfalls wußte ich immer, welche pädagogischen Maßnahmen sie planten, und konnte mich darauf vorbereiten. Am nächsten Tag trug der Vater mir die Beschlüsse des Vorabends vor, und ich hatte mir eine gute Gegenrede ausgedacht, parierte Gretels Verleumdungen. Kurt war immer aufs neue verwundert, wie raffiniert ich seine Argumente widerlegte, und meinte, ich sollte vielleicht doch Jura studieren.

Inzwischen hatte ich mich mit Freund Gautsch zu einem Lehrgang für Auslandskorrespondenten und Dolmetscher in Englisch angemeldet, dreimal in der Woche fuhren wir abends in die Berlitz School nach Bonn. Im Kurs saßen junge Beamte aus dem Auswärtigen Amt, Kaufmannsgehilfen und Sachbearbeiter, die Tochter eines französischen Botschaftsrats, etwa fünfzehn Leute, die meisten Anfang der Zwanzig, einige um die Dreißig, also alle viel älter als ich. Sie hatten Berufspraxis, und mir dämmerte, wie sehr ich in meinem Gymnasium hinter dem Mond lebte und lernte. Bald stand für mich fest, nachdem ich dann Erich Wollenberg kennengelernt hatte: Ich werde Journalist. Bloß raus aus diesem Ministerialmief! Das hatte wenig mit Durchblick zu tun, wenn das alles nette Leute gewesen wären, hätte ich sie vielleicht auch nett gefunden. Nein! Es muß mal deutlich gesagt werden: Ich habe noch nie einen netten Nazi kennengelernt, das ist ein Widerspruch in sich. Damals kannte ich aber kaum andere Menschen, schließlich lebte ich nicht in Arkadien, sondern im Bonner Deutschland. Zynisch machte ich mir also klar: Menschen sind Schweine, es gilt sich damit einzurichten, Karriere zu machen im Schweinestall. Die SPD kam dafür weniger in Frage, sie war verschrien als ewiger Neinsager. Beim Aufsteigen konnte nur die CDU helfen, deshalb besuchte ich eines Nachmittags deren Ortsverein in Bad Godesberg. Auf der Theke Parteibroschüren, an der Wand ein buntes Plakat in Comic-Manier, in der linken oberen Hälfte auf rotem Untergrund eine verhärmte grausträhnige Frau mit Kopftuch, die ihre Arme sehnend nach einem totenbleichen, zum Skelett abgemagerten Gefangenen ausstreckt, der sich mit seinen Knochenfingern am Stacheldraht festkrallt. Zwischen den beiden ein schlitzäugiger, brutal grinsender Sowjetsoldat mit Kalaschnikow, darunter auf gelben Grund ein stilisiertes Telegramm: »Moskau, den 12. 9. 1955 stop Adenauer und Brentano erfolgreich stop Freiheit für zwölftausend Kriegsgefangene stop«. Rechts unten dann auf blauem Grund die Apotheose: Mutter und Knochenmann liegen sich in den Armen, väterlich umfangen von einem um dreißig Jahre verjüngten Konrad Adenauer.

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Ich sei zu jung für die Partei, sagte mir eine freundliche Sekretärin mit dicken Brillengläsern, aber am Dienstagabend solle ich vorbeikommen zum monatlichen Treffen der Jungen Union. Dort begrüßte mich der Vorsitzende Alo Hauser nebst seiner hübschen Freundin, die züchtig die Lippen schürzte wie die fromme Helene, noch weitere fünf junge Männer waren anwesend. Hauser ruhte mit seinen vielleicht dreiundzwanzig Jahren bereits in seinem ganzen Fett, hatte etwas glupschige Augen, die er nach oben drehte, wenn sich seine Rede etwas Höherem zuwandte. Auch er eine Wilhelm-Busch-Figur, aber noch wollte ich ihn gut finden. Man nahm mich als Hospitant auf, und ich durfte bei der Renovierung des neuen Versammlungsraums helfen. Ein Drecksladen, der in Eigenarbeit renoviert werden mußte, wie es immer läuft bei Jugendorganisationen. Drei Wochen wurde jeden Abend malocht, erst mal das ganze Gerümpel raus, dann das Abkratzen der Wände und Rausreißen eines alten Klos, ich war mit Feuereifer dabei. Es nahte der Tag der Einweihung, und weil ich als neuer Besen so gut gekehrt hatte, konnte ich die Zeit nicht abwarten und kam eine halbe Stunde zu früh. So überraschte ich Alo und seine fromme Tussi, wie sie sich engumschlungen abküßten. Sie spritzten auseinander, als ich den Raum betrat, aber geistesgegenwärtig legte Hauser den Kopf schief, drehte synchron mit seiner Helene die Augen zum Himmel und sprach die salbungsvollen Worte: »Wir haben auch schon ein Kreuz.« Der CDU-Ortsverein habe dieses Kreuz gestiftet, das jetzt schwarz auf der weißen Wand hing. Während er noch redete, wußte ich, der Kerl lügt, wenn er das Maul aufmacht, nicht nur, wenn es um Kreuze geht, der tut alles, um Karriere zu machen, und dachte: Das will ich ja auch, aber nicht so wie der. Der erste Karrieresündenfall, so darfst du nicht mal denken! Alo wurde übrigens später Bundestagsabgeordneter. Was weiß ich, wo er heute als Generaldirektor ein Elektrizitätswerk regiert. Es kommt schließlich nicht jeder durch und wird Bundeskanzler, auch bei denen geht es zu wie bei den Spermatozoen.

(Fortsetzung folgt)

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Das Plakat zu ›POP am Rhein‹ entwarfen: Barbara Kalender, Till Kaposty und Jörg Schröder.

Der Katalog zum ›POP am Rhein‹-Festival erschien im Verlag der Buchhandlung Walther König.

Ausstellung im Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstr. 1 bis 3, 50667 Köln.
Dauer der Ausstellung: 13. Dezember 2007 bis 17. Februar 2008
Öffnungszeiten: Dienstags von 10:00 Uhr bis 20.00 Uhr, Mittwochs bis Sonntags von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr- Eintritt: 5 € / 4 €

Übrigens: Am Webdesign von ›POP am Rhein‹ begehren wir nicht schuld zu sein.

In Düsseldorf wird ›Der März-Raum‹ gezeigt in der Müller & Böhm Literaturhandlung, Bolkerstr. 53, 40213 Düsseldorf.
Dauer der Ausstellung: 23. Januar bis 16. Februar 2008
Öffnungszeiten: Montags bis Freitags: 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr, Samstags 10:00 bis 18.00 Uhr. Eintritt: Frei!

(BK / JS)

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