vonSchröder & Kalender 10.03.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Mein Lieblingsfilm als Junge hieß ›Die Frau gehört mir‹, ein klassischer Western, der lief etwa zwei Monate nach dem Umbruch im Kino ›Blauer Stern‹ in Niederschönhausen, wenige Schritte vom Bismarckplatz entfernt, wie er damals hieß, und zwar im ständigen Wechsel mit einem dreistündigen Farbspektakel über die Spartakiade in Moskau, das uns anödete, diese schrägen Aufnahmen der Sportlertruppe von unten, die da endlos aufmarschierte, ein Riefenstahl-Verschnitt auf sozialistisch. Aber auch das sahen wir uns an, wir gingen halt ins Kino.

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Es kostete nur fünfzig Pfennig. Was heißt nur? Auch dieses Geld war ja nicht massenweise vorhanden. Ich erzähle gleich, woher wir es hatten. Es gab ›Die Frau gehört mir‹, diese ›Spartakiade‹ und einen Film, der ›Woyzeck‹ hieß, eine frühe Büchner-Adaption in russischer Sprache mit Untertiteln, moorig düster, die Nebel waberten, ich verstand überhaupt nichts, nur, daß der Soldat später seine Frau ersticht und ins Wasser geht, warum, habe ich nicht begriffen. Als Vorspann lief jeweils der neueste Bericht vom Nürnberger Militärtribunal gegen die Hauptkriegsverbrecher, dann gab es noch einen Aufklärungsfilm mit dem Titel ›Aus alt mach neu‹, in dem eine grüne Militärschildmütze zu einem New-Look-Damenhut umgepreßt und das Stricken eines Damenpullovers aus Mullbinden vorgeführt wurde, danach: Kino!

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Auf dem französischen Filmplakat sind wenigsten die Indianer zu sehen.

Bei ›Die Frau gehört mir‹ hat mich die Liebesgeschichte zwischen Barbara Stanwyck und ihren beiden Liebhabern überhaupt nicht interessiert, aber es gibt darin eine Szene – ich habe den Film als Erwachsener noch einmal gesehen und war natürlich enttäuscht –, die uns immer wieder in den ›Blauen Stern‹ getrieben hat, ein paar Ein-stellungen, die sich zu einer endlosen Sequenz verklärten. In der Realität vielleicht eineinhalb Minuten, nämlich der Indianerüberfall auf den Union Pacific. Wie diese Indianer »whowhowhow« den Zug stoppen, mit ihrem Tomahawks die Waggontür aufbrechen, die schrillen, spitzen Schreien der Damen im Zug, die wir mit Vergnügen aufsogen, das Rausreißen eines Klaviers aus dem Transportwaggon, das drei Indianer auf ihren Pintopferden dann heulend umreiten, abspringen und das Klavier in einer Art Kriegstanz mit ihren Tomahawks zerhacken. Diese Szene war es, die uns immer wieder in das Kino zog. Ich schätze mal, der Film lief ein halbes Jahr lang, ich glaube, ich war fünfzigmal drin. Jedenfalls so oft, wie man es sich nicht vorstellen kann, und zwar mit der ganzen Clique, die bestand aus den Brüdern Kriehn, aus Klaus Buksch, Detlev Francke und Wladimir, eine kleine Clique, die verhältnismäßig friedlich miteinander spielte. Wir waren Teil einer paramilitanten Großclique, die manchmal gegen die Grabbeallee antreten mußte, unter der Fuchtel des ehemaligen HJ-Führers Horst Tribke. Unterführer dieser Rotte von ungefähr hundert Jungs, Clique Bismarckplatz, war Kalle Backs vom ›Sturmeck‹, einer Kneipe am Bismarckplatz. Nach 1989 war darin der erste moderne Friseurladen von Niederschönhausen, da muß die Subventionskasse besonders schnell geklingelt haben.

(BK / JS)

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