vonSchröder & Kalender 07.05.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Unsere Clique Bismarckstraße/Bismarckplatz, ungefähr hundert Indianer, führte einen Jugendbandenkrieg in den Ruinen von Niederschönhausen und in der Schönholzer Heide. Eine sonderbare Mixtur aus Karl-May-Indianern und aufgelöster Hitler-Jugend, eine ziemlich wilde Horde von Kindern, die gegeneinander Krieg führten. Die Erwachsenen hatten was anderes zu tun, als sich um uns zu kümmern, sie jagten ständig nach Eßbarem. Es waren schöne Zeiten für Kinder, es wurde gekämpft, mit Zwillen geschossen und geprügelt. Ich prügelte mich nicht, denn meine Mutter hatte als Rot-Kreuz-Angehörige mehrere Sanitätstaschen im Hause, dazu allen möglichen Verbandskram, auf den Bereitschaftstaschen prangte ein großes rotes Kreuz. Ich nahm so eine Tasche, dazu trug ich eine Rot-Kreuz-Armbinde, ernannte mich selbst zum Sanitäter unserer Clique. Auf die Weise war ich neutral, man durfte mir nichts tun, und das klappte auch. Natürlich wollte ich auch Arzt werden, verband Schürfwunden, bepinselte sie mit Jod und sagte mit wichtiger Miene: »Zähne zusammenbeißen! Es brennt jetzt.« Die Cliquenkämpfe, der Bandenkrieg fanden nicht ständig statt, es gab auch Zeiten dazwischen, in denen wir nur als spielende Kinder rummachten, Klaus Buksch, Detlef Francke, die Kriehn-Brüder, Werner und Helmut Kriehn, und meistens wollten wir dann ins Kino gehen. Unsere Kinobesuche hatten mittelbar mit der Roten Armee zu tun. Sie war über Buchholz/Blankenfelde einmarschiert, die Russen setzten sich zuerst in Niederschönhausen fest. Hier hatten sie ihre erste Kommandanturam Reichskanzlerdamm, heute Friedrich-Engels-Straße, gleich bei uns um die Ecke, noch bevor das Schloß Niederschönhausen bezogen wurde und später Karlshorst.

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Die Kommandantur residierte in einer Villa, ziemlich groß, die eine bogenförmigen Inschrift trug: »Dieses Haus Gott bewahr, vor falschen Freunden und Gefahr«, sinngemäß, was mich irritierte. Als Kind machst du doch jeden Wunsch zum Imperativ. Ich fand es paradox, daß ausgerechnet hier die Russen saßen, denn die waren für uns Kinder so etwas wie Dämonen. Mehrfach begleitete ich mit weichen Knien Frau Klos bis zur Pforte dieser Villa – es standen zwei Posten davor –, um die Russen milde zu stimmen, damit sie vorgelassen wurde. »Die Russen sind so kinderlieb«, sagte sie. Herrn Klos hatten sie nämlich abgeholt, keiner wußte, wohin. Er war ›Kunstmaler‹, wie man das nannte, malte expressionistische kokoschkaeske Bilder von Ostseestränden. Mir hat es nicht gefallen, die Bilder waren zu undeutlich, aber Herrn Klos fand ich sehr nett. Ich besuchte ihn oft, denn sie hatten ihn nicht eingezogen, er war untauglich.

Wenige Wochen vor Kriegsende kriegten sie ihn durch die Denunziation eines Blockwarts doch noch dran: »So blind ist der Klos gar nicht, er findet doch auch den Weg zum Luftschutzkeller allein.« Sie zogen ihn zum Hilfsdienst ein, Volkssturm ging nicht, er war noch untauglicher als untauglich, hatte so dicke Brillengläser wie Lupen, zum Hilfsdienst der Wachtruppe des KZ Sachsenhausen. Kurz vor Kriegsende kam Frau Klos, eine Schöngeistin, oft in unsere Wohnung: »Frau Schröder, es ist ja unglaublich, was das für Menschen sind, wie die sich beneeehmen! Sie glauben es nicht, was mein Mann erzählt.« Viehtransporte waren bombardiert worden, es mußten Notschlachtungen vorgenommen werden, die KZ-Arbeitskommandos mußten an den zusammengebombten Waggons arbeiten, das sterbende Vieh noch vor der Entwarnung rauszerren. Frau Klos brachte einige Male Fleisch mit, in den letzten Kriegstagen eine große Seltenheit. Sie stand mit dem blutigen Klumpen in unserer Küche mit den kleinen, schmalen, rechteckig hohen Fenstern in der Neubauwohnung, mit ihren Dauerlöckchen, ihrem Seidengezuppel, ihrem immer etwas geschürzten roten Mund, aus dem sie nicht sprach, sondern flötete. Ich nannte sie wegen ihrer flatternden Zuppel ›Schmetterlingsfrau‹, voller Verachtung, was ihr aber Entzückensschreie entlockte. Das entsetzte mich noch mehr, denn ich hatte sie verletzen wollen. ›Schmetterlingsfrau‹ war herabsetzend gemeint, sie fand es poetisch, wunderbar als Dichterin, die auch mit Dichtern verkehrte, schriftlich natürlich, vor allem mit Bruno H. Bürgel, dem Volksastronom. Meiner Mutter las sie in der Küche ihre Gedichte vor, hier flötete sie auch: »Liebe Frau Schröder, stellen Sie sich vor, was mein Mann berichtet, es gibt so gänzlich verrohte Menschen, die das rohe Fleisch in der Unterhooose verstecken.« Das fand ich auch eine Sauerei. »Stellen Sie sich mal vor, Frau Schröder, solche Unmenschen, Fleisch in der Unterhooose!« Also selbst eine sensible Frau Klos und ihr sensibler Kunstmaler, den man nicht gerade zum Widerstand rechnen muß, aber jedenfalls nicht zu den Nazis oder zu deren Unterstützern, also wenn sogar solche Leute … Da krepierten in den KZs Oranienburg und Sachsenhausen Tausende an Unterernährung, und diese Spießer entsetzten sich über verrohte Menschen, da war der Weg zum Untermenschen nicht weit.

Drei Wochen nach Kriegsende wurde Herr Klos abgeholt, alle Funktionsträger, mehr oder weniger schuldig, mehr oder weniger verwickelt, deren man habhaft werden konnte, große und kleine, wurden von den Sowjets abgeholt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Deshalb schleppte mich Frau Klos zur Kommandantur der Russen, weil sie versuchte herauszubekommen, was aus ihrem Mann geworden war. Es gab keine Auskünfte. »›Klos? Klos, ja Klos‹, haben sie gesagt«, so kam sie immer verzweifelt aus der Villa zurück, »Klos? Wer ist Klos?« Wir wissen jetzt, daß diese Leute damals zu Tausenden erschossen wurden. Sicher, man weiß, daß Unrecht passiert ist, daß sie ein Aufwaschen gemacht haben, auch den einen oder anderen Sozialdemokraten mit verhafteten und liquidierten, aber im wesentlichen traf es schon die alten Nazis, die sich, wenn sie die Lager und die Liquidationen überlebten, heute in den westdeutschen Fernsehsendern bitter beklagen über das fürchterliche Unrecht, das die Sowjets in ihrer Besatzungszone begangen haben.

(BK / JS)

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kommentare

  • Meinen Beitrag wollte ich nicht als oberlehrerhafte Berichtigung verstanden wissen, nur als ergänzende Information. Obwohl auch ich damals noch ein kleiner Junge war, bin ’47 in die Schule gekommen, hat sich mir die Sache mit der Unterbringung der Wachmannschaft ins Gedächtnis eingebrannt, denn als wir einzogen, mußte meine Mutter die Bodenfliesen des Bade-
    zimmers mit einem alten Messer von den zentimeterdicken Exkrementen der Soldaten reinigen; die Kloschüssel hatten sie nicht benutzt. Anschließend durfte ich mit einer alten Bürste und Wasser nachputzen.
    ( Hoffentlich ist jetzt niemand beleidigt ! )
    mit Gruß, Dieter Löhe

  • Vielen Dank für die Information. Für mein kindliches Gemüt, ich war damals sieben oder acht Jahre alt, war das alles die Kommandantur. Jedenfalls hat dann Frau Klos die Wachsoldaten angesprochen – mit verzweifelter Vergeblichkeit.

    Viele Grüße

    Jörg Schröder

  • Die Kommandantur befand sich im Haus rechts daneben, im Haus der Familie Exner. In dem gezeigten Haus, Friedrich-Engels-Str. 5, waren die Soldaten der Wachmannschaft untergebracht. Dort habe ich von 1947-61
    gelebt.

  • Schöne Geschichte.

    Aber wer wurde denn vorher “abgeholt”, nicht von “Russen”? Frau Goldhagen vielleicht, vom Haus gegenüber, die so eine große Wohnung hatte?

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