vonSchröder & Kalender 19.05.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Auf vielfachen Wunsch bringen wir als Ergänzung zum Fall ›Havemann‹ unsere Erzählung zur Produktionsgeschichte von Florian Havemanns Buch ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals aus der Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel ›Sieben Sachen‹.

Und so geht’s weiter: Daß dieser späte Futurismuswälzer von Florian Havemann ein Flop werden würde, stand für mich außer Frage. Da half auch der Schmonzettentext des ›Merkheft‹-Dichters Bertel Schmitt nicht, irgendwie ahnten die Zweitausendeins-Kunden wohl: Das kann nicht das richtige Buch für mich sein. Und wirklich, noch nie und wahrscheinlich niemals wieder ist ein Titel so schlecht im »Versand der zweiten Kultur« verkauft worden. Ich glaube, nur dreihundert von den fünftausend Exemplaren gingen weg. So entstand das bis dato teuerste und unrentabelste Buch bei Zweitausendeins.

Sehr bald, um die lästigen flopgemahnenden Paletten aus den Augen und dem Lager zu bekommen, wollte Lutz Kroth die ›Tafeln des Schicksals‹ makulieren. Florian Havemann entschloß sich, sie zu übernehmen, wollte mit seinem Menetekel der zweiten Moderne ein tolles Geschäft machen. Zweitausendeins schenkte sie ihm, der Autor sollte lediglich die Frachtkosten von Frankfurt nach Berlin bezahlen, tat es aber nie. Acht Europaletten wurden am Kottbusser Damm angeliefert, viertausend Exemplare mußte Florian mit seiner Freundin Renate in den dritten Stock tragen – auch eine Geh-Performance.
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Fünf Komma zwei Tonnen ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals‹ hatten die beiden hochgeschleppt in ihre Drei-Zimmer-Wohnung. Für die Übergangszeit bis zum Verkauf der Exemplare schichtete Florian sie an den Wänden entlang auf, denn er verstand etwas von Statik, wollte ja ursprünglich mal Architekt werden. Ein großes Vorbild war ihm schon als Knabe sein Onkel Hermann Henselmann gewesen, der Erbauer der Hochhäuser am Strausberger Platz und zahlreicher anderer Straßenprojekte und sozialistischer Foren. Dieser Henselmann hatte seinen Beruf in den Hoch-Zeiten der ersten Moderne gelernt, aber seit 1950 mußte er wie alle DDR-Stararchitekten nach der Stalinschen Devise bauen, »dem Inhalt nach sozialistisch, der Form nach national«, und verzierte seine Hochhäuser mit Säulen und Kapitellen wie Albert Speer die Repräsentationsbauten im Dritten Reich.

Florians ›Tafeln‹ lagerten noch nach zwei Jahren in seiner Wohnung am Kottbusser Damm, nicht mal zehn davon konnte er verkaufen. Die Bücher waren im Weg, also baute er daraus Tische und Sitzgelegenheiten im Flur. Jedoch – chapeau! –, Florian steckte den Mißerfolg seines Werkes gut weg, kompensierte ihn mit noch größerer Arroganz. Die alltäglichen Geldsorgen hatte er an seine Freundin Renate delegiert, die stammte aus Grebenhain im Vogelsberg. Ursprünglich wollte sie in Berlin Kunstgeschichte studieren, statt dessen gab sie nun als Berufsziel an: »Mäzenin für den Künstler Havemann.« Ein schöner Zug, wenn man Guggenheim heißt, Renate aber kam aus kleinen Verhältnissen. Florian juckte das nicht, er ließ sich mit Adelsgeste von Renate und ihren Eltern aushalten als Abkömmling des Anführers der DDR-Gegennomenklatura.«

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(FH / BK / JS)

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