vonSchröder & Kalender 01.11.2011

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

***
Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
***

Der Sozialwissenschaftler und MÄRZ-Autor Günter Amendt, der in diesem Jahr tödlich verunglückte, veröffentlichte 1968 in Bernward Vespers Voltaire-Flugschriften-Reihe: ›China. Der deutschen Presse Märchenland‹,worin er zahllose Desinformationen über die Ereignisse in China ad absurdum führte. Darunter übrigens auch die These »China hat kein Geld«.  Was gegenwärtig nun wirklich wie ein Märchen aus uralten Zeiten klingt. Denn es vergeht ja kein Tag, an dem die Medien nicht Chinas modernen Imperialismus »ein Zwitter zwischen Kommunismus und Kapitalismus« ängstlich bewundern oder verteufeln.

Zur Verteufelung gehören Unterteufel, und den Diensthabenden dieser Gattung spielt der Künstler Ai Weiwei. Deshalb hatte die Publizistin Vera Tollmann die gute Idee, in Anlehnung an Amendts China-Märchenstunde und im Design der Voltaire-Flugschriften, eine Blütenlese der Presseartikel zur Festnahme und späteren Freilassung des Künstlers Ai Weiwei zu montieren. Und der Konzertveranstalter Berthold Seliger fand die Idee gut und veröffentlichte Tollmanns Text.

Aber was Christian Y. Schmidt im Nachwort zu Vera Tollmanns Collage über den Architekten Ai Weiwei berichtet, konnte man bisher in keinem der deutschen »Wo ist Ai Weiwei?«-Artikel lesen. Dass nämlich Ai mitten in der Steppe für den Milliardär Cai Jiang ein Kunstmuseum plante und rund um das Museum herum hundert luxuriöse Villen inklusive Indoorpools und Dienstbotenquartiere. Zum Projekt ›Ordos‹ befragt, äußerte Ai Weiwei, der Milliardär könne nur deshalb solch zukunftsträchtige urbane Räume bauen, »weil er ein Individuum sei, kein staatliches System«.

Christian Y. Schmidt fragt in seinem Essay zu Recht: »Welche und wessen Hoffnungen verkörpert Ai Weiwei bzw. was für eine zukünftige Gesellschaft schwebt ihm vor? Eine, die so aussieht, wie sein Masterplan für das Viertel in Ordos? Villen für die Reichen und 800 Yuan im Monat für den Rest?«

Also hin zur Buchhandlung Walther König in Berlin, wo es das Heft gibt und vermutlich in den anderen Walther-König-Läden auch.

* * *

Gerade hatten wir diesen Beitrag geschrieben, da kam eine Mail aus Peking von Christian Y. Schmidt – es ist eben manchmal doch was dran, an den morphischen Feldern oder dem Gedankenmeer. Wir zitieren, die uns betreffende Passage: »Im Zuge einer kleinen Recherche besuchte ich soeben ein kleines, in der Pekinger Altstadt gelegenes, ziemlich exklusives Hotel. Es ist ein umgebautes, traditionelles Hofhaus, das mit allerlei Memorabilien eingerichtet ist, die an das maoistische China erinnern. (Das hat in China inzwischen durchaus Seltenheitswert). Es gibt nur fünf Zimmer, darunter einen Mao-Raum, und ein Zimmer, das dem Andenken Edgar Snows (›Edgar Snow Author’s Suite‹) gewidmet ist. Und was war das Erste, worauf mein Blick fiel? Ach, seht selbst… «


* * *

* * *

* * *

Sein neuestes Buch ›Im Jahr des Tigerochsen. Zwei chinesische Jahre‹ ist ein China-Tagebuch der letzten beiden Jahre. Es ist im Verbrecher Verlag erschienen und wir empfehlen es wärmstens.

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2011/11/01/hat_china_kein_geld/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert