vonSchröder & Kalender 24.01.2017

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

***
Der Bär flattert in östlicher Richtung.
***

In der letzten Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel ›Die Zweite Natur‹ haben wir aus gegebenem Anlass eine Intervention zur Flüchtlingsfrage gebracht, die im Kreise der Subskribenten lebhaft diskutiert wird.

»Menschen leiden an fatalen Spätzündungen«, schrieb der polnische Satiriker Stanisław Jerzy Lec, »sie begreifen alles erst in der nächsten Generation.« Eine Spätzündung in der ersten Generation produzierte kürzlich Angela Merkel, viel zu spät reiste die Bundeskanzlerin in drei afrikanische Staaten und traf deren Regierungschefs, um sich einen Eindruck vom Stand der Dinge in der Flüchtlingsfrage zu verschaffen. Anschließend empfing sie in Berlin den kenianischen Präsidenten Kenyatta, den Staatspräsidenten von Tschad, Idriss Déby, und den nigerianischen Staatspräsidenten Muhammadu Buhari. Die Kanzlerin sagte den Afrikanern freigiebig zusätzliche Millionen zu, die ihnen helfen sollen, Migranten von der Flucht nach Europa abzuhalten. Es ist doch klar, dass die afrikanischen Potentaten den Millionensegen einsacken werden, aber mehr wird nicht passieren. Seit Jahren werden deutsche Soldaten in sieben Missionen in Afrika eingesetzt, nun sollen neue Kontingente auch noch die afrikanischen Grenzen dicht machen. Das ist vergeblich, denn die Flüchtlinge werden bald neue Schlupflöcher an den hunderte Kilometer langen Grenzen finden.

Tatsächlich sollte der Afrika-Aktionismus der Kanzlerin dazu dienen, die Wähler, welche massenhaft von der CDU zur AfD wechselten, zurückzuholen. Jetzt aber zeigt sich, dass die Regierung gleichzeitig einen anderen perfideren Plan verfolgt, und der heißt: Rückführung. Bis zum Ende des Jahres 2016 wird es etwa dreihunderttausend »vollziehbar ausreisepflichtige« Ausländer in Deutschland geben. Davon ist etwa ein Drittel Afrikaner, die nun in die par ordre du mufti als sicher deklarierten Herkunftsländer abgeschoben werden sollen – »konsequent und mit der gebotenen Härte«, so der CDU-Innenminister von Baden-Württemberg und stellvertretende Vorsitzende der christlichen Partei Thomas Strobl.

Das Ganze wurde in aller Stille vorbereitet und sollte nicht zu früh »kommuniziert« werden, sondern wegen der Bundestagswahl erst Anfang des Jahres 2017, um die zarten Seelen der Deutschen vor Weihnachten nicht zu erschrecken. Jedoch das schwäbische Ekelpaket Strobl konnte das Wasser nicht halten, in einem Interview mit den Journalisten Jasper von Altenbockum und Rüdiger Soldt in der ›FAZ‹ erfuhr man frühzeitig von der neuen Strobl-Strategie: »Die zurückgeführten Zuwanderer, die aus asylfremden Gründen zu uns kamen, sind unsere besten Botschafter in ihren Heimatländern – gegen falsche Träume und illegale Schlepperbanden.«

Das ist zynisch! Merkel und Strobl wollen Menschen, die bereits halbwegs integriert sind, ins Flugzeug setzen und zurückschicken. Diese Migranten haben ihr Geld und das ihrer Familien in die Flucht investiert, schlimmste Strapazen überstanden, lange in Turnhallen campiert und werden nun »mit aller Härte« rausgeschmissen. Ausgerechnet diese gedemütigten Menschen sollen in ihren Heimatländern die frohe Botschaft verkünden: »Bleibt zuhause!« Bald werden in Afrika und anderswo die »hässlichen Deutschen« verhasst sein, wie es die Amerikaner in den Sechziger Jahren weltweit waren. Die Folgen für die deutsche Exportwirtschaft scheint sich keiner der Kurzschluss-Politiker von der großen Koalition aus CDU und SPD klarzumachen.

Die deutsche Kanzlerin, die noch vor Kurzem im christlichen Überschwang eine Million Menschen »eingeladen« hatte, vollführte eine radikale Kehrtwendung und schloss die Balkanroute. Danach reduzierte sich allerdings der Flüchtlingszuwachs in Deutschland radikal. Jetzt kommen pro Monat nur noch fünfzehntausend Menschen nach Deutschland. Das sind verschwindend wenige, verglichen mit Zählungen der UN-Flüchtlingskommission, die für die letzten Jahre vierundsechzig Millionen weltweit ermittelte.

Ein reiches Land wie Deutschland, in dem dringend Arbeitskräfte gesucht werden, könnte aber zweihunderttausend sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge pro Jahr sehr gut gebrauchen. Australien, Kanada, die USA und andere reiche Länder haben im Rahmen von Kontingenten seit 1945 Abermillionen Einwanderer angesiedelt. Zwar will jetzt ein Präsident Trump, der selbst von einer Immigrantenfamilie aus Kallstadt abstammt, diese bewährte Praxis brutal einschränken. Anders als die USA sollte die deutsche Politik  sofort das Asylrecht mit einer großzügigen Übergangsregelung für Zuwanderer ergänzen, bis ein neues Gesetz formuliert ist, statt dreihunderttausend Antragsteller abzuschieben.

Mal abgesehen von den horrenden Kosten, ist nämlich Großzügigkeit das Stichwort. Die könnte sich Deutschland ganz bestimmt leisten, anstatt kleinmütig den AfD-Affen Zucker zu geben. Statt über »sichere« und »unsichere« Herkunftsländer zu streiten, muss die deutsche Politik endlich an einer verbesserten Regelung für Zuwanderer arbeiten. Es versteht sich von selbst, dass ein Zuwanderer-Gesetz nur eine einzige Voraussetzung haben darf: Jeder Zuwanderer muss unsere Rechtsnormen anerkennen. Eine vorauseilende Gewissensprüfung und Bespitzelung, wie sie das Bayerische Landesparlament gerade dekretiert hat, ist eines demokratischen Landes unwürdig.

***
Aus ›Schröder erzählt: Die Zweite Natur‹, 66. Folge, Kapitel IX
***

BK / JS

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2017/01/24/intervention-zur-fluechtlingsfrage-2/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert