vonSchröder & Kalender 03.10.2017

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert östlicher Richtung.
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Blick von unserem Balkon: Auf diesem Gelände neben den Gleisen der Ringbahn zwischen den Stationen Innsbrucker Platz und Handjerystraße wurde gestern gegen 11:30 Uhr eine 250-Kilo-Bombe entdeckt. Foto: Barbara Kalender
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Wir erfuhren davon zunächst einmal nichts, weil wir an unseren Schreibtischen saßen. Um 17:30 Uhr klingte es bei uns, als Barbara die Wohnungstür öffnete,  hörte sie im Treppenhaus: »Hier ist die Polizei, bitte verlassen Sie ihre Wohnung im Sperrkreis und folgen Sie den Anweisungen! « Die Nachbarin in der Wohnung unter uns rief: »Sie machen doch wohl einen Witz?!« Der Polizist: »Das ist kein Witz, ziehen Sie sich bitte eine Hose an und kommen Sie  umgehend mit!«»Das ist doch ein Witz!« Da zog ich Barbara von der Tür weg und flüsterte: »Wir müssen uns erst einmal informieren.« Im Netz lasen wir dann vom Bombenfund: »Das Rathaus Schöneberg dient als Notunterkunft. Seit 16 Uhr sind die Straßen gesperrt. Zehntausend Menschen müssen ihre Häuser verlassen …«

Siehe blauer Pfeil: Unsere Wohnung liegt aber genau auf der Grenze des Sperrkreises. Und da ich gegenwärtig wegen meiner koronaren Probleme nicht sehr belastbar bin, entschlossen wir uns zu Hause zu bleiben. Die Polizei klingelte noch dreimal, wir reagierten nicht . Auf der Wexstraße patrollierte ein Polizist, er rief wiederholt durchs Megaphon: »Achtung! Achtung! Hier spricht die Polizei, bitte verlassen Sie ihre Wohnung im Sperrkreis und folgen Sie den Anweisungen vor Ort!« Wir saßen nun bei Kerzenlicht und mucksmäuschenstill unterm Dach auf dem Sofa, tranken Wein und spähten ab und zu aus den Fenstern. Im Hinterhof war alles dunkel. Auf der Wexstraße war die Situation absurd:  Bis zur Nummer 29 (also unserem Wohnhaus) waren wohl alle Anwohner evakuiert worden und alles war stockdunkel. In den Häusern außerhalb des Sperrkreises (also direkt neben uns oder gegenüber) waren alle  Fenster  erleuchtet,  die Menschen gucken neugierig oder entsetzt raus. Sie versuchten etwas zu sehen, obwohl es nichts zu sehen gab.

Gegen Mitternacht gingen wir zu Bett, die Bombe war noch immer  nicht entschärft. Allerdings war nun die A100 gesperrt. So still wie in dieser Nacht war es bei uns noch nie. Und so ging das Abenteuer, das für uns keines war, aus: »Weltkriegsbombe in Berlin-Schöneberg entschärft.«

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Aber etwas Bombenarchäologie muss sein: Wir  wohnen nahe der Ringbahn, und diese war im 2. Weltkrieg eine der wichtigsten Strecken mit Anschluss an die Siemenswerke und andere kriegswichtige Industrieanlagen, wie an den Westhafen. Wer einmal eine Runde mit der Ringbahn gefahren ist, kann noch heute die vielen Baulücken sehen, auf denen die Gebäude standen, die weggebombt wurden (siehe unser Foto oben). So sind auch die Häuserzeilen in der Bernhardstraße fast völlig zerstört worden, wegen ihrer Nähe zum Wilmersdorfer Güterbahnhof. Heute rauscht  auch die Stadtautobahn A 100 vorbei, und gleich daneben rattern die Züge der S-Bahn. Die meisten Häuser in der Bernhardstraße wurden nicht wieder aufgebaut, nur drei blieben stehen. Über diese Lücken baute man in der Nachkriegszeit plane Hallen für Autowerkstätten und Gebrauchtwagenhändler, nur der Neubau eines Touristenhotels kam hinzu.

Diese Bernhardstraße liegt  bei uns gegenüber, sie verlief ursprünglich U-förmig entlang von achtzehn vierstöckigen Häusern. Die drei Schenkel dieses Quadrats bildeten zusammen mit der Wexstraße ein Karree. Im Haus Nr. 5, das es heute nicht mehr gibt, wuchs Hildegard Knef auf, ihr Stiefvater hatte dort eine Schusterwerkstatt, die Familie lebte in der Mietwohnung darüber. »Schräg gegenüber der Südseite war der S-Bahnhof Wilmersdorf, dadurch bekamen wir viel Laufkundschaft, wie mein Stiefvater das nannte«, so beginnt Hildegard Knef ihren ›Geschenkten Gaul‹. Und mit der alten Bernhardstraße endet auch ihr Buch.

Jedes ihrer Domizile in aller Welt verglich die Knef mit der alten Wilmersdorfer Wohnung. Über den Bombenkrieg schrieb sie: »Ich schlief mit einem Heizkissen ein und wachte auf, weil mein Bett brannte, gleichzeitig hörte ich das sanfte, stete Surren, das wir alle so gut kannten – eine Bombe und danach noch eine und noch eine, und ich schrie Alarm und schrie und schrie. Unsere Sirenen waren beim letzten Angriff kaputtgegangen, und keiner in der Bernhardstraße hatte es gemerkt, und als wir unten am Kellereingang ankamen, traf ein Volltreffer unser Haus, und wir waren verschüttet. Man hat uns ausgegraben. Wir bedankten uns beim Heizkissen. In Nr. 6 war eine Wohnung frei, wir zogen um, das heißt wir nahmen unser Handgepäck, einen Tisch und zwei Schüsseln, die wir über die unzerstörte Hintertreppe herausgeholt hatten. Im Wohnzimmer stand unser Klavier auf einem Mauervorsprung, aber da kamen wir nicht ran. Wir sahen uns von Nr. 6 unser Klavier im vierten Stock von Nr. 5 an und warteten, dass es herunterfiel …« Später: »Kurz nach Silvester war Großangriff. Die Bombe, die endgültige, fiel auf die Bernhardstraße, auf den Bahnhof Wilmersdorf.« Heute heißt diese Station Bundesplatz.

Von unserer Südterrasse blicken wir rüber zu den drei Häusern der Bernhardstraße, die stehen blieben, von der Ostterrasse aus sehen wir links den Bären auf dem Schöneberger Rathaus flattern und rechts davon die ›rote Insel‹, wo Marlene Dietrich aufwuchs. Das Viertel wird so genannt wegen seiner Lage zwischen Bahngleisen und weil dort traditionell eine linksorientierte Bevölkerung lebte. Später wohnte Marlene Dietrich in einem Haus in der Bundesallee bei uns um die Ecke. Die gemeinsame Heimat trug dazu bei, dass sich die beiden Frauen sehr zugetan waren, in den New Yorker Ninotschka-Zeiten kochte die ältere Marlene häufig für Hilde Berliner Hausmannskost.

Gegenwärtig läuft der alte Berliner Westen dem lange gehypten Prenzlauer Berg den Rang ab, und die nur notdürftig mit Hallen bebauten Grundstücke in der Bernhardstraße sind jetzt Spekulationsobjekte für den Wohnungsboom. Vor kurzem wurde dort der einstöckige ›Waschtrog‹, ein Waschsalon aus den fünfziger Jahren, abgerissen. Ein Jammer, dieses Unikum hätte man unter Denkmalschutz stellen müssen! Jetzt bietet man das Gelände zum Verkauf an, temporär werden auf dem Splitt des Eckgrundstücks Gebrauchtwagen angeboten. Wir können uns an den Fingern abzählen, wann dort eine Spielzeugraupe scharren  und nach Blindgängern suchen wird.

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BK / JS

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