vonDetlef Berentzen 02.04.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

Mehr über diesen Blog

Der Hirbel ist der schlimmste von allen, sagten die Kinder im Heim. Das war nicht wahr. Doch die Kinder verstanden den Hirbel nicht. Sie hielten sich ohnehin nie lange auf in dem Heim, einem Haus am Rand der Stadt, in das Kinder gebracht wurden, die herumstreunten, Kinder, mit denen ihre Eltern nicht mehr zurechtkamen, die von ihren Müttern verstoßen wurden, die bei Pflegeeltern waren und nicht ‚guttaten’ – es war ein Durchgangsheim. Von dort wurde man in andere Heime geschickt. Den Hirbel wollte niemand, deshalb war er schon Stammgast am Rande der Stadt…(Peter Härtling: “Das war der Hirbel”, Beltz&Gelberg, Weinheim 2014, 7. Auflage)

Sehr geehrter Herr Härtling! In den letzten Deutschstunden haben wir Ihr Buch „Theo haut ab“ gelesen. Mir persönlich hat das Kapitel 9 „Keschius ist kein Weltmeister“ gefallen. Es war richtig spannend, wo Theo in der Kneipe war. Was mich aber sowas von beeindruckt hat, dass sie alles jugendlich beschreiben. Man konnte alles verstehen. Sie haben das nicht so harmlos dargestellt, sondern wie es wirklich ist. Das ist wirklich neu für mich…..

Wenn ich schon mit Kindern zusammenlebe, wenn ich als Kind Erfahrungen gemacht habe, daß Erwachsene mich im Stich lassen können, muss ich erzählend immer wieder vorführen, wenn auch mit Macken, mit Einbrüchen , dass es Menschen gibt, die sich um Kinder kümmern können. So habe ich in vielen meiner Bücher Rettungsfiguren erfunden, Erwachsene, die oft schrullig sind, am Rand stehen, die spinnen, bei denen Kinder Unterschlupf finden, die in ihrer Eigenheit den Kindern nahe sind.. Und das war für mich das Pädagogische, wenn man so will, in Anführungszeichen. Ich habe keine pädagogischen, keine didaktischen Bücher schreiben wollen, sondern Bücher fürs Leben. (Peter Härtling)

Hallo Peter Härtling! Ich frage mich, wie es Dir geht. Du hast ein sehr tolles Buch geschrieben, das heißt „Mit Clara sind wir sechs“. Es war lustig, traurig und schön, aber am lustigsten fand ich, als Paul gegen die Wand gepinkelt hat. Traurig war es, als Clara auf einem Auge blind war. Schön war es, als sich Vater und Mutter immer wieder vertragen haben. Es wäre toll, wenn Sie noch ein Buch über Clara schreiben……

Ich bin sicher, dass das Flüchtlingskind in seinen Ängsten, auch in seinem Zorn, in seiner Abwehr, in einigen Figuren meiner Bücher steckt, hauptsächlich im Thomas bei “Krücke”, im “Hirbel” oder auch im “Kalle”. Das, was in einem lebendig ist und lebendig bleibt, was man in seinem Gedächtnis einschließt, das einen lebendig machte, das kann man nicht ausschließen. Und ich wurde im Nachkrieg lebendig gemacht, indem ich meine Umgebung provozierte, weil die Antworten der Erwachsenen mich verletzten – ich holte mir sozusagen meine eigenen Wunden. Und dieses Kind, das ich einst war, ist immer noch in mir lebendig. (Peter Härtling)

(Auszüge aus meinem Hörfunk-Feature: “Kindheit steckt in jedem Anfang”, Die Kinder- und Jugendliteratur des Peter Härtling, SWR2)

Illustration: Joern Schlund, Münster

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/spurensuche/2015/04/02/internationaler-kinderbuchtag-2-april/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert